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Der Schauplatz des großen Kampfes

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März 1947 begann man mit dem Wiederaufbau des „House öf Commons“, für den Sir Giles Gilbert Scott verantwortlich zeichnete. Sehr schön hat man hier das Traditionelle mit dem Modernen zu versöhnen gewußt. Wieder sitzen sich Regierung und Opposition in Bankreihen gegenüber — Erinnerung an das altenglische Kirchenschiff —, während der „Speaker“ auf einem Thronsessel präsidiert. Die Farben sind durch das silbergetönte Eichenholz und jenes matte Grün gegeben, das auch im Bundeshaus zu Bonn vorherrschend ist, es scheint, daß sich die Innenarchitekten darauf geeinigt haben, daß die Farbe einen wohltuenden Einfluß auf das Temperament der Parlamentarier besitze. Die Akustik des Hauses hat sich verbessert, Mikrophone und Miniaturlautsprecher vor den Tribünensitzen machen jedes Wort verständlich. Die alten Parlamentarier klagen allerdings, daß dies die frühere Intimität zerstört habe, und vor allem Churchill, der gewohnt war, etwas freimütige Bemerkungen vor sich hinzumurmeln, liebt die neue Einrichtung nicht allzusehr. Als er kürzlich eine Bemerkung über den Verteidigungsminister machte, die darauf hinauslief, daß derselbe ein kleiner Mann sei und gerade genug Format besitze, um mit der italienischan Delegation zu verhandeln, was er denn auch tun solle, da war dies im ganzen Haus wohl zu vernehmen, und die Italiener zeigten, sich einigermaßen verstimmt, so daß sich Churchill genötigt sah, bei einer Tea Party seinen ganzen versöhnlichen Charme spielen zu lassen.

Das „House of Commons“ hat in den letzten Wochen viele dramatische Kämpfe zwischen Labour und Tories gesehen, in denen die Regierung oft auch in bedeutenden Fragen — wie etwa dem anglo-ägyptischen Zahlungsabkommen — nur mit knapper Not der Niederlage entgehen konnte. Man muß aber mit den Nuancen des' englischen Parlamentslebens schon etwas vertraut sein, um richtig auf „Windstärke 9“ diagnostizieren zu können. Für diejenigen, die Sturmtage der französischen Kammer mitgemacht haben, deren Atmosphäre mit Affektmord, gemildert durch Dickleibigkeit, angedeutet werden kann, ist die auch in kritischen Tagen vorhandene Ruhe und latente Bereitschaft zur Gutgelauntheit des englischen Abgeordneten etwas recht Verblüffendes. Dabei stellen jene pausenlosen Angriffe, die Churchill, weniger nach einem vorgefaßten Meister-plan als ständig variierend und improvisierend, gegen die Regierung richtet, für Minister wie Abgeordnete eine unerhörte Belastung dar. Von dem mächtigen Dreigestirn Attlee-Bevin-Sir Stafford Cripps hat sich nur Attlee der dauernden Beanspruchung von Ministerium und Parlament gewachsen gezeigt, auch er hat sich nun in Behandlung begeben müssen. Indes lassen sich auch bei den jüngeren Ministern die Anzeichen physischer Erschöpfung feststellen; der Ausbruch Bevans ist auch von dieser Seite zu verstehen, die jovialen Scherze Shin-wells sind seltener geworden, Gaits-kell scheint rasch in sein von Sir Stafford übernommenes Amt hineinzualtem, und auch Männer in etwas ruhigeren Positionen, wie etwa Gordon Walker (einer der wenigen Deutschlandkenner der gegenwärtigen Administration, der aber auf dem Gebiet der Commonwealth-Beziehungen eingesetzt ist), zeigen deutliche Spuren von Überarbeitung.

Endlose Gänge, pannelierte Wände, schön gearbeitete Türen. Das matte Grün weicht sattem Rot. Im eigentlichen „House of Lords“ amtieren augenblicklich die Innenarchitekten, Maler und Tischler, um jene Symphonie von Gold, edlen Holztönen und alten Bildern wieder zur besten Wirkung zu bringen. Lange Jahre war der im eigentlichen Wortsinn „noble“ Raum „zweckentfremdet“, will sagen, daß hier die „Commons“ tagten, während die Lords sich in des „Königs Ankleidezimmer“ zurückgezogen hatten, wo sonst das Appellationsgericht zusammentritt. In letzter Zeit ist es recht still geworden um das englische Oberhaus. Seine Macht, die bis 1911 groß genug war. jedes Gesetz abzulehnen, ist nun, der Kontroverse um die Nationalisierung von Eisen und Stahl folgend, auf ein bloß einjähriges Vetorecht reduziert worden. Die große Detailarbeit von Revision und Uberprüfung, die hier geleistet wird, eignet sich nicht für „head-lines“.

Wenn von der Welt letzter Adelskammer gesprochen wurde, so muß, auf die Gefahr hin, die Romantiker der Heraldik zu enttäuschen, hinzugefügt werden, daß eigentlich „blaues Blut“ auch hier relativ selten ist. Denn über die Hälfte der „peerages“ wurde erst nach 1880 geschaffen, und von den 719 peers,* die es 1946 gab, war über ein Fünftel Männer, die ihre Titel erworben hatten. Noch mehr tritt der Einfluß des erblichen Adels in den Hintergrund, wenn nicht das rein numerische Verhältnis, sondern die tatsächliche Einflußnahme auf das Geschehen im Oberhaus untersucht wird. Daß, solange Labour am Ruder ist, die Regierungssitze beinahe ausschließlich von ernannten Peers besetzt sind, versteht sich vielleicht von selbst. Verschiedene Stichproben haben ergeben, daß nur etwa 37 Prozent der Reden und Fragen auf die erblichen Peers entfallen. Die oft gestellte Frage, warum dann das Prinzip der Erblichkeit nicht überhaupt fallengelassen wird, findet doppelte Antwort. Die Sozialisten erhalten es, um das Oberhaus, falls notwendig, feudal und reaktionär nennen zu können, die Konservativen zögern, das erbliche Prinzip der Monarchie völlig zu isolieren.

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