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Das Bündnis läuft bald ab

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Im Schatten der Preisspirale und in einer Atmosphäre der Rezessionsangst ging in Tokio das Interesse an den Wahlen des Oberhauses vollständig verloren. Die Preise mancher Nahrungsmittel stiegen seit dem letzten Jahr bis zu 30 Prozent. Für jede Wohnung, die von der Gemeindeverwaltung Tokio fertiggestellt und zu einer erschwinglichen Miete vergeben wird, sind 1500 Familien als Wartende eingetragen. Auf dem unkontrollierten freien Markt sind die Mieten für Häuser, die in Europa kaum als Laubenhütten gelten würden, auf mindestens hundert Dollar gestiegen. Die von den Preissteigerungen und der Wohnungsnot nicht direkt Betroffenen sind von einer Angst vor einer Rezession erfaßt, die einige sachliche, doch viel mehr psychologische Ursachen hat. Zu den sachlichen Ursachen gehört der Bankrott von fast dreitausend Klein- und Mittelunternehmen in der ersten Hälfte dieses Jahres. Zu den psychologischen Gründen gehört das schwindende Vertrauen in die Persönlichkeit des Ministerpräsidenten Sato.

Obwohl im Bild Japans die kräftigen Farben der Konjunktur noch immer vorherrschen, hat die für Japan völlig ungewohnte relative Massenprosperität zu einem Leben in Angst und Sorge geführt: Einige Grundpfeiler der Prosperität erscheinen angefault. Ein erschütterndes Desinteressement an den Wahlen zum Oberhaus zeigt, daß in der jungen japanischen Demokratie nach einer kurzen Zeit des allgemeinen politischen Interesses die Politik wieder zu einem Monopol der wirtschaftlichen, politischen und traditionellen Machtgruppen, ihrer Fraktionen und Politiker geworden ist.

Fernziel: das Jahr 1970

Doch die Wahlen zum Oberhaus haben sehr entscheidende Bedeutung. Es wird die Hälfte der Sitze neu vergeben. Die Abgeordneten, die jetzt einziehen, werden schwerwiegende Entscheidungen zu treffen haben. Vor allem werden sie noch im Oberhaus sein, wenn 1970 das japanisch-amerikanische Bündnis abläuft und das japanische Parlament, Oberhaus und Unterhaus über Beendigung, Veränderung oder Verlängerung des Bündnisvertrages zu entscheiden haben wird. Obwohl dieses Element von den Parteien beim Wahlkampf kaum in den Vordergrund gespielt wurde, beherrscht es das Denken und die Strategie der Parteien und der politischen Führer. Die Tagesfragen, um die der Wahlkampf geführt wird, sind nur der Vorhang, hinter dem heute schon um die Ausgangspositionen für die große Entscheidung von 1970 gerungen wird. Auf beiden Seiten der Trennungslinie geht eine Konzentration der Kräfte vor sich, und die Mitte, repräsentiert durch die in ihrer Sauberkeit und Anständigkeit verlorene „Demokratisch-Sozialistische Partei“, liegt in hoffnungsloser Defensive.

Der Kampf um eine Konzentration der Kräfte als Ausgangsstellung für 1970 zeichnet sich vor allem bei den antiamerikanischen Gruppen ab. Vor kurzem wurde Sasaki, der betont proletarisch-kleinbürgerliche Führer des linken Flügels, Präsident der

„Sozialistischen Partei“. Vom ersten Tag an ging er darauf aus, seine Partei, so weit wie es möglich ist, zentralistisch zu organisieren und auf das Fernziel 1970 einzustellen. Vom ersten Tag an warb er um Bundesgenossen im Kampf gegen das japanisch-amerikanische Bündnis. Sein Marxismus hinderte ihn nicht, zuerst Vorstöße in die Richtung der stärksten Kraft der Opposition zu machen und eine „nationale Front“ mit der Komei-Partei, der nationalistisch-buddhistischen Soka-Gakkai-Sekte, anzustreben. Die machthungrigen Zeloten der Soka Gakkai reagierten erstaunlich rapid, und sie zogen mit einem Programm in den Wahlkampf, das sich vom antiamerikanischen Neutralismus Sasakis kaum unterscheidet: „Hinaus mit Amerika aus Ost- und Südostasien und Aufnahme Pekings in die Vereinten Nationen.“

Der Titanenkampf steht bevor

Erst nachdem die hintergründige Komei klar und eindeutig auf die Linie des Antiamerikanismus ge-

bracht worden war, wandte Sasaki sich der „Volksfront“ mit den Kommunisten zu. Die japanischen Kommunisten gehören der chinesischen Schule an und reagierten selbstbewußt und reserviert; doch in seinem Hauptanliegen „1970“ kann Sasaki natürlich mit ihnen rechnen.

So entstanden knapp vor den Oberhauswahlen die Ausgangspunkte für antiamerikanische Fronten neuer Prägung, die von der Soka Gakkai auf der extremen Rechten bis zu den Kommunisten alles umfassen wird. Die konzentrierte Kraft wird in Parlament, Unterhaus und Oberhaus in der Minorität bleiben und vorderhand bei den politischen Entscheidungen kaum wesentlich mitwirken können. Doch es ist zum ersten Male, daß diese Parteien und Gruppen sich auf einer gemeinsamen Basis gefunden haben, und ihre Kraft wird in der zerspaltenen und von Fraktionskämpfen aufgewühlten liberaldemokratischen Partei bestimmt und nicht unwesentlich darüber hinaus zu spüren sein.

Die Wirkung der antiamerika-

nischen Opposition auf die liberaldemokratische Majorität wird um so stärker sein, als die Regierungspartei nach der Umbildung des Sato-Kabi-netts den Wahlkampf ohne ihren „starken Mann“ führen mußte und einem innerparteilichen Titanenkampf entgegensieht. Sato hat bei der Regierungsumbildung seinen Rivalen Ichiro Kono ausbooten können. Für den persönlichen Erfolg Satos muß aber die Partei mit einer manifest gewordenen Spaltung zahlen. Kono, der als Bauminister in unglaublich kurzer Zeit die Olympiabauten aus der Erde zauberte und schon früher als Fischereiminister zum Experten des freundlichen Verhandeins mit den kommunistischen Staaten geworden war, ist die Hoffnung der nationalistischen Bewegungen in der Regierungspartei und verkörpert das antiamerikanische Ressentiment in der Führung der Regierungspartei.

Klarer Kurs — wie lange noch?

Das Zusammenfließen der antiamerikanischen Strömungen der Opposition führt dazu, daß Sato und seine Regierung endlich artikulierter zum japanisch-amerikanischen

Bündnis stehen. Nach Monaten des Schwankens zwischen einer klaren Haltung für die USA und einer verschwommenen Sympathie für die afro-asiatischen Sentiments gab Sato der japanischen Delegation zur abortiven afro-asiatischen Konferenz den Auftrag, in Algier klar und eindeutig den Kurs des Westens zu steuern. Außenminister Staina schaltete von einer Linie der politischen Verschwommenheit auf eine Politik des demonstrativen Vertrauens in die USA um; das gilt auch für die Wirtschaftspolitik. „Japan kann sein Hauptmärkte nicht in den unterentwickelten Ländern finden, sondern nur in den USA.“

So ist die Wahl zum Oberhaus in Japan mit einem Minimum an allgemeinem Interesse vorbeigegangen und hat doch die Weichen für große Entscheidungen gestellt. Von Tagesfragen verdeckt, begannen die Kräfte der Fronten sich zu sammeln, die in fünf Jahren, wenn das japanisch-amerikanische Bündnis wieder vor das Parlament kommt, ein Urteil zu sprechen haben, das vielleicht schwerer wiegt als der Krieg in Vietnam.

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