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Der Kampf um die Bombe

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Vor seiner Niederlage in der Fragt der atomaren Rüstung und Verteidigung am Parteitag im Oktober vergangenen Jahres hielt der Führer dei Labour Party, Hugh Gaitskell, eine leidenschaftliche Rede, die auch seine Gegner als rhetorische und taktische Meisterleistung anerkannten und die ihm sicherlich die Unterstützung einer zur Mehrheitsbildung genügenden Anzahl von Delegierten gewonnen hätte, wenn das Schicksal der kritischen Abstimmung nicht durch die gebundenen Massenstimmen der einzelnen Gewerkschaften schon im voraus zuungunsten Gaitskells entschieden gewesen wäre. Gaitskell wies in dieser Rede die Argumente der Anhänger einer einseitigen Abrüstung zurück und erklärte, daß er die Verfolgung einer den Kommunismus geradezu ermunternden Politik durch die Labour Party für eine Katastrophe hielte, der er mit all seinen Kräften entgegenwirken werde. Seine Rede gipfelte in der Ankündigung, daß er kämpfen und immer wieder kämpfen werde, um eine sich abzeichnende Entscheidung für eine einseitige Abrüstung am nächsten Parteitag rückgängig zu machen. Gaitskell hatte in Scarborough eine Schlacht verloren, und er machte seine Entschlossenheit unmißverständlich, diese Niederlage in einen Sieg zu verwandeln und den Krieg zu gewinnen.

Die Eroberung der nächsten Parteikonferenz ist für Gaitskell von höchster Bedeutung, ja sie kann zu einer politischen Lebensfrage für ihn und die Labour Party werden, schrieb doch selbst der Gaitskell-Anhänger Lord Pakenham in einem vielbeachteten Artikel im ..Observer“ kurz nach dem fatalen Parteitag, daß Gaitskell aus den besonderen Umständen und dem knappen Ergebnis seiner Abstimmungsniederlage das Recht ableiten könne, die Entscheidung des Parteitages als nicht bindend und schlüssig zu betrachten, daß ihn aber eine neuerliche Niederlage dieser Möglichkeit berauben würde. Die Autorität des Parteitages in allen grundsätzlichen politischen Fragen. ist wiederholt von Attlee und anderen maßgebenden Politikern festgestellt worden, allerdings dachten die

Führer nicht daran, daß es jemals zu einem ernstlichen Konflikt zwischen dem Parteitag und der parlamentarischen Partei kommen werde.

Revanche für Scarborough

Innerhalb der parlamentarischen Parteifraktion besitzt Gaitskell eine zwar nicht unangefochtene, aber doch genügend starke Stellung, um auch nach der Niederlage in Scarborough den Kampf mit jedem Rivalen aufnehmen zu können. So konnte der von der Linken und dem Zentrum als Gegenkandidat Gaitskells nominierte Politiker, Harold Wilson, der durch seine großen politischen Erfahrungen in der Zeit der Labour-Nachkriegsregierung und seine in vielen schweren Situationen bewiesene taktische Klugheit am ehesten die Voraussetzungen besaß, Gaitskell aus dem Sattel zu heben, bei der Abstimmung im November vergangenen Jahres nur 81 Stimmen gegenüber den 166 Abgeordneten, die weiter hin Gaitskell ihr Vertrauen schenkten, auf sich vereinigen. Schlug auch dieser Versuch, Gaitskell aus der Stellung des Parteiführers zu verdrängen, fehl, sc konnte Gaitskell bisher keine entscheidenden Erfolge erzielen, die eine Revision des Beschlusses des letzten Parteitages am kommenden mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Wohl gelang es Gaitskell, die Mehrheit eines zur Lösung der Verteidigungsfrage eingesetzten Zwölferkomitees — das in der britischen Presse daraufhin gleich ironisch die Tagung der „zwölf weisen Männer“ genannt wurde — zur Annahme einer von Denis Healey entworfenen Resolution zu bewegen, die mit einigen Zugeständnissen an die andere Seite seine Linie vertritt. Diese Resolution fand auch mit 16 gegen 10 Stimmen die Billigung des Nationalen Exekutivkomitees (Parteivorstandes) der Labour Party, während ein Minderheitsantrag des Siegers von Scarborough, Frank Cousins, mit 18 zu 7 Stimmen verworfen wurde. Aber eine vom Jahresvorsitzenden der Partei, Richard Crossman, eingebrachte Vermittlungsresolution wurde vom Parteivorstand mit nur 15 gegen 13 Stimmen abgelehnt. Eine geringfügige Änderung in der Zusammensetzung dieses politisch so wichtigen Gremiums könnte also leicht zu einem Abgehen von der Linie führen, an der Gaitskell starr festhält. Noch ungünstiger ist es um die Bemühungen Gaitskells bestellt, die großen Gewerkschaften mit ihren entscheidenden Millionenstimmen auf seine Seite zu bekommen. Waren die Trade Unions in der Vergangenheit die verläßlichsten Stützen der Politik der Mäßigung, die damit auch immer die Politik der Parteiführung war, und konnte sich die Linke demgegenüber mehr auf die lokalen Organisationen stützen, so hat sich vor und seit Scarborough eine entgegengesetzte Entwicklung angebahnt. So ist der von Gaitskell und seinen Anhängern befürwortete Vorschlag, bei den großen Gewerkschaften, wie den Metall- und Maschinenarbeitern, Urabstimmungen durchführen zu lassen, um die Atompolitik der nach links abgeschwenkten Exekutive zu Fall zu bringen, nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Es werden also auch am nächsten Parteitag aller Wahrscheinlichkeit nach massierte und durch vorherige Entscheidungen an die Anti-Gaitskell-Front gebundene Stimmen in die Waagschale geworfen werden.

Verteidigungsfrage im Vordergrund

Worin bestehen eigentlich die als unüberbrückbar empfundenen Gegensätze in der Verteidigungsfrage? Ein Blick auf die erwähnten Resolutionen gibt einen teilweisen Aufschluß dieser Frage: Die Mehrheitsresolution deckte sich im wesentlichen mit der in Scarborough in der Minderheit gebliebenen Auffassung, daß nämlich Großbritannien unter allen Umständen ein Mitglied der NATO-Vereinigung bleiben müsse, wenn es auch auf die Reform dieser Einrichtung hinwirken und die Verminderung des Vertrauens auf und der Abhängigkeit von Atomwaffen anstreben soll. Der Westen darf dieser Resolution zufolge niemals zuerst die Wasserstoffbombe in Anwendung bringen und soll durch eine Verlagerung des Schwerpunktes seiner militärischen Rüstungen zu einer solchen Anwendung auch gar nicht gezwungen sein. Außerdem stellt die Resolution fest, daß sich Großbritannien nicht gegen amerikanische Stützpunkte auf seinem Territorium aussprechen könne, solang sie für Amerika und die westliche Verteidigung unentbehrlich seien. Das einzige Zugeständnis, zu dem sich Gaits- kell gegenüber seiner ursprünglichen, mit der konservativen Regierung konform gehenden, und seiner letztjährigen, mit finanziellen Argumenten operierenden Meinung durchringen konnte, war die in der Resolution enthaltene Erklärung, daß Großbritannien nicht versuchen solle, eine unabhängige Atommacht zu bleiben, da dies nicht zur Stärkung der NATO beitragen könne. Die offizielle Politik des Parteivorstandes ist also der Entscheidung des Parteitages von Scarborough darin entgegengekommen, daß sie den britischen Verteidigungsbeitrag nur als Teil eines einheitlichen NATO-Kontin- gents an atomaren Waffen wirksam sehen möchte, um die Zersplitterung, Verteuerung und das Umsichgreifen atomarer Rüstung zu stoppen.

Cousins Alleingang

Die Crossman-Resolution dehnte das Verbot des erstmaligen Gebrauchs auf alle Atomwaffen aus und verwarf eine Verteidigungspolitik, die die NATO zwingt, auf diese Waffe angewiesen zu sein. Obwohl die Resolution davon spricht, daß die künftige Politik die Notwendigkeit amerikanischer atomarer Stützpunkte beseitigen solle, verpflichtet sie doch nicht zu einer unbedingten Ablehnung. Es ist also jenen politischen Kommentatoren recht zu geben, die den Unterschied zwischen der vom Parteivorstand angenommenen und der Crossman-Resolution nur für graduell halten und in der Zurückweisung dieses auch von Transportarbeiterboß Frank Cousins unterstützten Kompromißantrages einen schweren Fehler Gaitskells erblicken, der die Fronten erneut verhärtet und eine Versöhnung der Streitteile so gut wie aussichtslos gemacht hat. Nach der Niederlage des Crossmanschen Vermitt-

lungsvorschlages hielt Cousins seine Resolution aufrecht, die die Drohung mit atomaren Waffen und die Einräumung atomarer Stützpunkte überhaupt ablehnt und somit inhaltlich gegen die NATO-Politik Stellung nimmt.

Die heftigen Gegensätze sind nicht auf die Gremien der Labour Party beschränkt geblieben und in ihnen ausgetragen, sondern in aller Öffentlichkeit im Unterhaus zur Schau gestellt worden. So enthielten sich anläßlich eines nach Meinung des linken Flügels nicht genügend weitgehenden Tadelsantrages der Opposition gegen die konservative Regierung im Dezember vergangenen Jahres etwa 70 Labour-Abgeordnete der Stimme und verhalfen der Regierung so zu einer großen Mehrheit. Im März kam es sogar zum Ausschluß von vier Abgeordneten, darunter den Nachfolger Aneurin Bevans in seinem Wahlkreis Ebbw Vale, Michael Foot, und des bekannten Führers der Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe, Sidney Silverman, aus der Fraktion, da sie bei einer Abstimmung die Parteidisziplin gebrochen hatten.

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