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Britische Rezepte"

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Die Unruhe über die tiefe Rezession Großbritanniens und über A rbeitslosigkeit in der Rekordhöhe der dreißiger Jahre lastete über den Konferenzen von Labour in Blackpool und von den Tories in Brighlon. Die Rezepte zur Beseitigung der ökonomischen Gebrechen sind so verschieden wie die Ideologien der beiden großen britischen Parteien.

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Die Unruhe über die tiefe Rezession Großbritanniens und über A rbeitslosigkeit in der Rekordhöhe der dreißiger Jahre lastete über den Konferenzen von Labour in Blackpool und von den Tories in Brighlon. Die Rezepte zur Beseitigung der ökonomischen Gebrechen sind so verschieden wie die Ideologien der beiden großen britischen Parteien.

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Die Bevölkerung wartet mit Ungeduld auf den Augenblick, da der Thatcherismus greift, ob dieser überhaupt Wirkung zeigt, wann die Zinssätze fallen, die Inflation zurückgeht, die Talfahrt der Industrie gestoppt wird und wann wieder neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Im Augenblick hat der britische Bürger nur die Zusicherung, daß die konsequente Weiterführung der Wirtschaftspolitik, personifiziert in Margaret Thatcher, unangetastet bleibt. Das ist in gewissem Sinne beruhigend, nachdem alle bisherigen Versuche fehlgeschlagen sind, die Wirtschaft nur noch tiefer in die roten Zahlen gerissen haben.

Trotz steigender Schwierigkeiten, denen sich die Durchsetzung der mone-taristischen Kur gegenübersieht, als Entzugserscheinungen für die kranke Ökonomie apostrophiert, werden alle Aussichten auf Ab- oder Umkehr ausgeschlossen: „Die Lady ist nicht umzukehren", ruft die Premierministerin ihren Parteifreunden zu.

Labour hat jene Einigkeit verloren, die in diesem heterogenen Gebilde unter Wilson und Callaghan mühsam aufrecht erhalten werden konnte. Stattdessen bestimmen Feindseligkeiten und Absurdidäten die Szenerie. Der Sieger heißt vorderhand Tony Benn, der seinen Adelstitel abgelegt hat, um proletarisch zu erscheinen, der nun auf der Woge des Extrems nach oben getragen wird.

Die Mehrzahl der Entscheidungen fällt zu seinen Gunsten: zwei von drei konstitutionellen Neuerungen, die das Gewicht deutlich nach links verschieben. Abkehr von der Europäischen Gemeinschaft; Bekenntnis zur einseitigen nuklearen Abrüstung, Verbot der Stationierung ausländischer Truppen und Raketen auf englischem Boden. Das Bekenntnis zur NATO bleibt ohne Uberzeugung.

Wenn er in die Downing Street einzöge, erklärt Tony Benn, dann würde er mit einem Schlag drei Beschlüsse durchziehen: Abschaffung des Oberhauses, Verstaatlichung en gros und Exodus aus der Europäischen Gemeinschaft.

Benn beherrscht das Vokabular der Demagogie: er führt Demokratie und demokratischen Sozialismus stets im Munde; jongliert mit Halbwahrheiten und predigt den Klassenkampf. Er bedient sich der außerparlamentarischen Kräfte und militanten Elemente. Thatcherismus ist ein Extrem und ruft als logische Folge das andere in der Opposition hervor.

Die Rechte innerhalb der Labour-Partei die von einer sozialdemokratischen Partei nach deutschem Vorbild schwärmt, wirft Tony Benn Faschismus vor. Sie bangt um die internationalen Verpflichtungen der Arbeiterpartei; ist bestürzt über das alte antieuropäische Ressentiment, das auf der Insel immer noch lebendig ist.

Doch die Gemäßigten denken nicht mehr an Abspaltung und Austritt, womit sie vorher gedroht haben. Nun verlagern sie ihre Strategie auf die parteiinterne Ebene: Apell an die schweigende Mehrheit. Der Kampf ist nicht aussichtslos, zumal der Großteil von Labour keinesfalls radikale Programme billigt.

Labour bleibt die Herausforderung für die Konservativen. Europa und Europäische Gemeinschaft, NATO und nukleare Rüstung und die Erhaltung des Oberhauses sind im Programm der Tories nie in Frage gestellt, Labours Postuhate fallen nach Thatcher in das Gebiet „sinistrer Utopien".

Tatsächlich hat die Regierung in den ersten 18 Monaten einen direkten Kurs auf Europa genommen, nur zögernd gefolgt von den Briten. Der Hinweis auf die Verlustrechnung mit der Europäischen Gemeinschaft sticht nicht mehr, seit Großbritanniens Fehlbetrag in Brüssel nahezu ausgeglichen worden ist und seit eine Revision der für England so nachteiligen Agrarpolitik ins Auge gefaßt ist.

Carrington, der brillante Außenminister assistiert seiner Chefin: Rückzug aus der Gemeinschaft führte in die politische Katastrophe, nämlich der Isolierung von Europa, wo sich doch nicht einmal Thatcher allein stark genug fühlt, die Probleme des Landes zu lösen.

Verteidigungsminister Pyms Anstrengungen, die Insel wirkungsvoll zu verteidigen, stößt auf Grenzen nur durch den Plafond, der ihm vom Budget gesetzt ist. Die Pazifisten bei Labour folgen der Devise: Uberlaßt den Amerikanern die Verteidigung der freien Welt. Die Insel ist zu schwach, um sich selbst atomar zu verteidigen, böte sich im Besitz von Atomwaffen als erstes Ziel für einen feindlichen Präventivschlag an.

Demgegenüber der Tory-Grundsatz: Selbstverteidigung so weit wie möglich, auf jeden Fall zur Entlastung der NATO-Partner. Abrüstung ja, aber nur aus der Position der Stärke heraus.

Wider erwarten gewinnt Arbeitsminister Prior den Anhang für seine Strategie der kleinen Schritte gegenüber den Gewerkschaften. Prior ist durch üble Erfahrungen gewitzigt. Das Gesetz von 1971, unter Heath verabschiedet, wollte den Verbänden mit einem Schlag ihre übergroße Macht nehmen. Daran scheiterte Heath und die widerspenstigen Verbände zogen daraus nur noch mehr Vorteile.

Die entscheidende Frage für Thatcher aber bleibt die Wirtschaftspolitik. Ihre Selbstsicherheit ist verblüffend: „Wir werden keinen Fehlschlag erleiden". Der Optimismus der Konservativen „Mit Thatcher und dem Nord-seeöl" sei der Erfolg gesichert, vermag sich nur zögernd, wenn überhaupt, zu verbreiten.

Der eindeutige Beweis, daß das monetäre Programm Wurzeln geschlagen hat, ist ausgeblieben. Die Zeit scheint noch zu kurz. Die Erfolgsmeldungen von Thatcher, ihrem Schatzkanzler Howe und der Industrieminister Keith Joseph sind kaum konkret, die Geste an die Wähler bleibt aus: Die Zinssätze stehen nach wie vor auf 18 Prozent.

Thatcher gerät in Zeitnot, ist mit einer Vertrauenskrise konfrontiert. Die Opposition sagt die Katastrophe voraus, jedoch bietet sie nicht ein schlagendes Alternativprogramm an.

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