Die Un-Tat als Königsweg
Ist ein harter Brexit noch vermeidbar? Premier Johnson lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. Die EU hat aber noch eine Möglichkeit, das Chaos zu vermeiden.
Ist ein harter Brexit noch vermeidbar? Premier Johnson lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. Die EU hat aber noch eine Möglichkeit, das Chaos zu vermeiden.
Boris Johnson ist ein von Wundern begleiteter Mann. Er hat mehrfach über den Brexit gelogen, einen politischen und diplomatischen Fehler nach dem anderen in sein Kerbholz geschnitzt, er hat seine Partei gespalten, die Mehrheit im Parlament verloren – und dabei so viele Abstimmungsniederlagen eingefahren, dass es auch für drei Rücktritte reichen würde. Dazu noch könnte er in naher Zukunft sein Land massiv schädigen, wirtschaftlich und politisch. Er könnte sogar den Bürgerkrieg in Nordirland wiederbeleben. Und das Wunder daran ist: Nichts von alledem konnte seine Umfragewerte schmälern. Wenn er gegen die EU tobt oder das britische Parlament lahmlegt, dann ist das für seinen Fans genauso lustig, wie wenn er Witze über Muslima als Postkästen reißt. Zum Brüllen, der Lauser.
Großbritannien steht vor einem politisch-perversen Phänomen, in dem ein Premier mit Antipolitik, Schwäche und Niederlagen von Erfolg zu Erfolg eilt. Bei Johnson ist Politik die Kunst des Unmöglichen. Sie sucht nicht Kompromisse, sondern betrachtet sie als schmutzig. Konventionen werden abgelehnt, Gesetze gebrochen, Verträge missachtet.
Zwischen Herkules und Lähmung
Das ist „Johnsons Herkules-Charakter“, wie der irische Premier Leo Varadkar es nannte. Es ist das Impulsive des aufbegehrenden Menschen, die infantile Phantasie von unendlicher Stärke und Energie – die heute die treibende Kraft in der Downing Street 10 ist. Wie also nun umgehen mit diesem Mann und seinem unbedingten Wunsch, das Vereinigte Königreich am 31. Oktober von der Europäischen Union zu trennen, wenn nötig durch ökonomische und politische Sprengung? Ausgerechnet die jüngst viel belächelten, vom Brexit gelähmten Parteien im englischen Unterhaus zeigen hier – wenn auch wider Willen – einen möglichen Weg vor .
Oft und berechtigt ist der vielgerühmte britische Parlamentarismus in den vergangenen Monaten ja zerpflückt worden. Die unablässige Nabelschau, die nachlässige Verhandlungsführung in Brüssel, die Erschöpfung der politischen Energie in innerparteilichen Flügelkämpfen und endlich die Weigerung, Verantwortung für das Land und das Volk zu übernehmen. Aber vielleicht liegt in all dem der einzige Ausweg aus dem seit Jahren brütenden Schlamassel in diesem „Nicht-Entscheiden“.
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