Weicher Brexit, harter Fall

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Es gibt einen Spruch aus der alten, aber umso besseren TV-Politsatire "Yes Minister", einer britischen Ahnherrin von "House of Cards". Da näselt der Berater des Ministers: "Journalisten sollten nie Politiker werden. Sie denken nur in Schlagzeilen." Natürlich ist das ein Vorurteil. Aber es passt (wie "Yes Minister" überhaupt) gut zu den Dramen, die sich derzeit in London abspielen: Der Ex-Journalist Boris Johnson entwickelt sich da zu einem echten Problem, weil er gemeinsam mit populistischen Gesellen seinen Landsleuten einredete, man solle aus der EU austreten. Was der originelle Politiker zu diesem Zweck erzählte, waren schlagzeilentaugliche Unwahrheiten und deshalb wird Johnson heute von der englischen Qualitätspresse (Guardian, Times) straflos der Verlogenheit geziehen. Jedenfalls aber wollen die Briten nun raus aus der EU - auch und vor allem wegen "Johnsons Erzählungen": Die Briten würden reicher, das Gesundheitssystem würde besser, die Nation frei, die Menschen glücklich. Rule Britannia!

exitieren, aber wie?

Seit dem Votum 2016 weiß nun aber niemand, wie dieser Austritt funktionieren soll, am wenigsten Johnson. Das deshalb, weil die Illusionen, aufgrund derer die Mehrheit für den Brexit votierte, keine Basis für etwas Reales sein können. Die Briten werden nicht reicher, das Gesundheitssystem wird nicht besser, die Nation nicht freier. Vielmehr ist das Gegenteil wahrscheinlicher und Johnsons "Phoenix" Großbritannien entwickelt sich politisch und wirtschaftlich zu einem "Geier Sturzflug". Da drohen zehntausende Arbeitsplätze verloren zu gehen, die Dienstleistungsbranche Dutzende Milliarden Pfund pro Jahr zu verlieren, Landwirte, kleine und mittlere Betriebe ins Aus gedrängt zu werden. Und das ist nur ein Auszug der Abscheulichkeiten.

Kann man das alles dem zurückgetretenen Boris Johnson ankreiden? Ja, aber sicher nicht ihm alleine. Das gesamte politische Establishment (bis hinauf zur Königin) hat in den vergangenen zwei Jahren vollständig versagt. Man hat versucht, die auf falschen Informationen basierende Entscheidung der Briten "ernst zu nehmen", indem man es so aussehen ließ, als hätte der Lügner Johnson zumindest ein wenig recht: Als würde es schon nicht ganz so schlimm kommen. So sieht auch der Plan aus, mit dem Theresa May nun nach Brüssel fahren will: Ein bisserl Warenhandel mit der EU -ja gerne; Dienstleistungen - eher nein; die Finanzgesetze bräuchte man auch eher nicht; und Personenfreizügigkeit? Igitt! Rule Britannia!

Was auf dem spiel steht

Die Union sollte die Briten von nun an noch unmissverständlicher als bisher auf den Boden der Realität hinweisen, ehe ihre Landung sich zum Crash entwickelt: Es gibt keine Rosinen zu picken, und daher auch keinen "weichen" Brexit nach Mays Wünschen. Wo käme die EU hin, wenn sich jeder Grundfreiheiten mal so, mal so pflückte? Diese Freiheiten bedeuten zu allererst eindeutige Pflichten und die Wichtigste davon ist jene zur Gemeinsamkeit. Wenn die Union den Briten nachgibt, kommen als nächstes die Ungarn, dann die Tschechen, die Polen und wer weiß, ob Österreich nicht auch bald Geschmack fände an einem Europäertum, das die EU mit einem Selbstbedienungsshop verwechselt. Wie wir ja erfahren, sind tiefgreifende Meinungsumschwünge leicht herstellbar (siehe Flüchtlinge, Grenzen). Manchmal braucht es nur ein schönes Gesicht und alles ist anders.

Gibt es also eine Lösung? Aber ja. Wenn sie auch nicht leicht fallen dürfte. May müsste es mit der Wahrheit versuchen: "Liebe Briten, es gibt keinen 'weichen' oder 'harten' Brexit. Es gibt nur einen brutalen. Ihr werdet leiden. Lasst uns noch einmal darüber reden." Wenn sie aber weiter laviert, taktiert und schönt, wird sie gestürzt werden. Vielleicht sogar von Boris Johnson, der sich auf Illusionen besser versteht als sie. Er würde für die Misere selbstverständlich die EU verantwortlich machen, oder May, oder das Wetter. Jedenfalls die anderen. Und wetten, dass er seine Schlagzeile schon geschrieben hat?

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