DER EXITUS BRITANNIENS

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Großbritannien war einmal groß, es war eine globale Supermacht, eine starke Ökonomie, deren Einfluss auf der ganzen Welt zu spüren war. Das ist nicht mehr so. Die Abstimmung über den Austritt aus der EU kann als ein weiterer Schritt auf einem Weg der Schrumpfung gewertet werden. Vor ein paar Monaten wäre Schottland beinahe aus dem Vereinigten Königreich ausgetreten. Der Kampf um die Trennung Nordirlands begleitet meine Generation fast jeden Tag. Zu Beginn des Jahres 2011 nannte die britische Sängerin PJ Harvey ein Album "Let England Shake", als würde sie vorherahnen, welche Krämpfe auf die Insel zukommen. Im Jahr 2009 präsentierte der tschechische Künstler David Cerny in Brüssel seine umstrittene Installation "Entropa", in der das Vereinigte Königreich nur als Leerstelle im europäischen Flickenteppich vorkam, als Hohlraum. Wer hätte gedacht, dass aus dem künstlerischen Witz eine prophetische Warnung werden sollte.

Das Spiel mit dem Feuer

Das britische Referendum ist die wichtigste Abstimmung in der Geschichte der Europäischen Union. Wenn man eine Liste von Vorteilen und Risiken zu machen hätte, die der Brexit mit sich brächte, dann würde man wenige spezifische Vorteile entdecken. Die Risiken dagegen sind vielfältig. Zunächst, weil die Abstimmung auch eine Entscheidung Richtung einer Abspaltung Schottlands ist, die diesmal höchstwahrscheinlich Wirklichkeit werden wird. Und was ist mit Wales? Und was ist mit anderen Ländern, die nun wie die Briten ihre Volksstimmung ausloten wollen? Von den 28 EU-Ländern würden sicherlich einige Referenden negativ verlaufen und Europa würde eine Art Emmentaler mit unlogisch angeordneten Fehlstellen.

George Soros hat vor wenigen Tagen gewarnt, dass der Rückzug des Vereinigten Königreichs aus der EU eine größere Gefährdung für das englische Pfund bedeuten könnte, als die, die er selbst mit seinen Spekulationen am Schwarzen Freitag 1992 auslöste. Die Schwächung der Währung ist ein zweischneidiges Schwert: Sie kann einen Vorteil haben. Das Land kann billiger exportieren.

Aber wo, fragt Soros, werden die Handelsabkommen mit vielen Ländern bleiben? Im gleichen Artikel fügt er hinzu, dass Spekulanten leicht am Brexit verdienen können - Geld, das die britischen Bürger verlieren würden. So ist es auch gekommen.

Man muss auch die Visum-Problematik beachten. Wie werden die anderen Länder reagieren, wenn Großbritannien eine entsprechende Pflicht einführt? Und wird Großbritannien die Macht haben, über sein eigene Zukunft zu entscheiden, wenn es keinen Zugang zum Binnenmarkt haben wird?

Tatsächlich kann Großbritannien ein Drittland werden, mit etwa 10 Prozent Steuern auf Importe, während die EU beispielsweise 15 hätte. Würde das aber nicht jene Mechanismen in Kraft setzen, die den Binnenmarkt vor Drittstaaten und ihren Vorteilen schützen? Also sollte das Vereinigte Königreich doch eine Zollunion mit der EU errichten? Wer aber eine Zollunion will, muss eine gemeinsame Außenwirtschaftspolitik gegenüber Drittländern haben. Die Integration kann nicht einfach in der Mitte aufhören. Entweder sie geht weiter oder sie bricht zusammen. Und was ist eigentlich mit dem profitablen Finanzhandelsplatz der Londoner City? Sie kann kaum das Finanzzentrum Europas bleiben und damit der Welt. Diese Risikoliste lässt sich beliebig fortsetzen.

Es heißt ja, man nehme ein Risiko "in Kauf". Aber warum "kaufen" die Briten diese Risiken? Wegen mehr Souveränität? Weniger Bürokratie? Fühlen sie sich besser? Meinen sie, dass Norwegen weniger Bürokratie als das EU-Mitglied Schweden hätte?

Vielleicht geht es hier tatsächlich nur um Stimmungen. Man sieht schon an den Fragen und wie sie gestellt werden, dass die EU zwar als eine Wirtschaftsunion dargestellt wird. Doch die Fragen, die an das Projekt gerichtet werden, sind meist emotionaler Natur.

So ist es auch mit dem Hauptthema der Leave-Kampagne in Großbritannien - den Flüchtlingen und ihrer Aufteilung. Gerade am Thema der Verteilung der Flüchtlinge über Europa hat sich herausgestellt, dass das Überstimmen einzelner unwilliger Staaten und die Abschaffung der Einstimmigkeit ein Fehler war. Aber wie auch immer: Erwarten die Briten, alleine mit dem Problem fertig zu werden? So als hätten sie nichts mit dem Flüchtlingsproblem in der EU zu tun? Nur weil sie nichts damit zu tun haben wollen, heißt das nicht, dass das Problem an ihren vorbeigehen wird. Hatten nicht die Briten durch ihre Stellung als ehemalige Kolonialmacht die Migrationsprobleme -und zwar lange, bevor diese Probleme begannen, ganz Europa zu beschäftigen?

Es gäbe eine lange Liste weiterer Risiken - das Rentenwesen, die Gesundheitspolitik, die Ungleichheit, die Bildung, die Arbeitslosigkeit, in denen der Austritt aus der Union die Probleme nicht lösen wird, die das Vereinigte Königreich plagen, im Gegenteil. Der Brexit hat gerade ziemlich viele Probleme den schon bestehenden hinzugefügt.

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