6840530-1975_41_06.jpg

Die Zwölfte Stunde der "Iron Lady"

Werbung
Werbung
Werbung

Margaret Thatcher, äußerlich so sehr der Prototyp der britischen Hausfrau und Mutter des gehobenen Mittelstandes, ist eine Persönlichkeit von überraschenden Fähigkeiten und stets fähig zu Überraschungen. Sie bewies dies zuerst, als sie als Tochter eines Gemischtwarenhändlers zur zweifachen Akademikerin — Juristin und Chemikerin — und danach zur prominenten Politikerin aufstieg; und als sie dann im vergangenen Jahr, allen politischen Traditionen Großbritanniens zum Trotz und entgegen allen Voraussagen, den Expremier Edward Heath stürzte und als erste Frau die Führung der britischen konservativen Partei übernahm, hatte Margaret Thatcher nicht nur eine innenpolitische Sensation ersten Ranges geliefert, sondern schien auch den arg darniederliegenden Tories neues Leben eingehaucht zu haben. Jetzt, nach einer monatelangen „schöpferischen Pause“, hat die First Lady der britischen Politik die Welt wieder aufhorchen lassen — und zwar anläßlich ihrer offiziellen Rundreise durch die Vereinigten Staaten.

Nach dem Abklingen des ersten Siegesrausches und nach dem Verbrauch des Vertrauensvorschusses, den ihre eigene Partei und die ganze britische Öffentlichkeit Mrs. Thatcher entgegengebracht hatten, war es ein wenig still um sie geworden. Sie schien auf die essentielle Malaise der Tories im Grunde doch keine Antwort gefunden zu haben, und schon seit einiger Zeit hat sie nun die Linie eingehalten, die man in England ein „low profile“ nennt, eine mehr oder weniger unauffällige, zurückhaltende Einstellung, mit der sie wohl kaum irgendwo anstieß, aber auch durchaus nicht die Hoffnungen erfüllte, die man in sie gesetzt hatte. Nun aber scheint es, als ob Margaret diese Zeit lediglich als Periode der Sammlung, der Besinnung verbracht hätte, als Lehrzeit sozusagen, auf die jetzt die Zeit der Reife, der aktiven und konstruktiven politischen Tat folgen soll.

Origineller- und kontroversieller Weise, ganz ihrer bisherigen Laufbahn entsprechend, wählte die britische Oppositionsführerin als Sprungbrett für ihre neue Grundsatzerklärung kein britisches Forum, sondern den neutralen Boden der Vereinigten Staaten von Amerika. Bisher hatte es unter britischen Politikern — und ganz besonders unter Mitgliedern der Oppositionspartei — stets als ungeschriebenes Gesetz gegolten, bei Auslandsbesuchen unter keinen Umständen das eigene Land zu kritisieren oder gar parteipolitische Differenzen auszutragen. Nun aber, bei zwei großen Reden in New York, hat Margaret Thatcher-nicht nur das gesamte gegenwärtige in Großbritannien herrschende politische Klima scharf kritisiert, sondern auch eine neue konservative Philosophie verkündet, die umfassender und entschlossener ist als alles, was sie seit ihrer Wahl zur Parteiführerin ausgesprochen hat.

Bei ihrer ersten Ansprache im New Yorker Institut für Sozialwirtschaftliche Studien griff sie vor allem zwei typisch britische Entwicklungen an, und zwar die sich ständig vergrößernde Rolle des Staates und die wachsende Tendenz zur Gleichmacherei. „Diese beiden Trends“, so sagte Mrs. Thatcher, „fügen unserer Gesellschaftsstruktur und unserer Wirtschaft beträchtlichen Schaden in mehr als einer Weise zu; für das, was manche Kommentatoren die .britische Krankheit' genannt haben, sind diese Trends zwar nicht die einzige, wohl aber eine der wesentlichsten Ursachen.“ Die Preis- und Profitbeschränkungen, so fuhr Margaret Thatcher fort, die sowohl die jetzige als auch die frühere britische Regierung eingeführt haben, seien unter völlig ungenügender Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf Kapitalanlagen, Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum vorgenommen worden.

Es sei auch unwahr, erklärte die britische Oppositionsführerin, daß in ihrem Lande ein weitverbreiteter Wunsch nach Gleichheit, bzw. nach Gleichmacherei herrsche. „Diejenigen, die danach streben, werden dazu motiviert von einer zweifelhaften Mischung aus Neid und einem Gefühl, das man als ,Schuldkomplex der Bourgeoisie' bezeichnen könnte. Der Neid wird durch die ewigen Gleichmacher repräsentiert, die haßerfüllt den Abstand betrachten, der sie von den Tüchtigeren und Fähigeren trennt; der bourgeoise Schuldkomplex kann bei Menschen entdeckt werden, die sich stets der Position der niedrigeren Einkommensgruppen bewußt sind, auch wenn sie selbst durchaus nicht besonders wohlhabend sind.“

In ihrer zweiten Rede vor der einflußreichen angloamerikanischen Vereinigung der „Pilgrims“ sprach Mrs. Thatcher von der „neuen Entschlossenheit“ des britischen Volkes, einer Politik des gesunden Menschenverstandes zum Durchbruch zu verhelfen. Nachdem sie schon bei einem vorangegangenen Interview gesagt hatte, sie rechne durchaus damit, in einigen Jahren Premierminister zu werden, machte sie in ihrer Rede klar, daß sie beabsichtige, die Konservative Partei auf einen neuen Kurs zu setzen — weg von der Beschwichtigungspolitik ihrer Vorgänger. „Zu lange sind wir den Weg des geringeren Widerstandes gegangen, der dazu geführt hat, daß wir heute eine Inflation von 25 Prozent, mehr als eine Million Arbeitslose und einen sinkenden Lebensstandard haben.'' Großbritannien sei immer eine Nation gewesen, die sich erst in zwölfter Stunde zum Erfolg durchgerungen habe — aber diese zwölfte Stunde sei jetzt angebrochen, und nur die latente Stärke und Entschlossenheit der Briten könne und werde den Wiederaufstieg bewerkstelligen.

Nach ihrem Treffen mit Präsident Ford im Weißen Haus in Washington gab Margaret Thatcher dort eine Pressekonferenz, bei der sie sich in einer eher defensiven Stimmung zeigte. Sie hatte inzwischen von den Kontroversen erfahren, die ihre ersten Reden in Großbritannien ausgelöst hatten, und sie wies darauf hin, wie sehr sie stets ihr Vertrauen auf eine bessere Zukunft betont habe. Aber schließlich müsse es allen klar sein, „daß es nicht zu meiner Aufgabe gehört, im Ausland Propaganda für eine sozialistische Gesellschaft zu machen.“ Trotzdem habe sie nicht Parteipolitik betrieben, sondern habe lediglich eine leidenschaftslose Darstellung der Entwicklung in Großbritannien gegeben und gleichzeitig die realistische Kur für die „britische Krankheit“ aufgezeigt. Sie betonte ferner den freundschaftlichen und weitreichenden Charakter ihrer Besprechungen mit Präsident Ford, sowie dessen „deutlichen guten Willen“ gegenüber Großbritannien.

Was immer man über die staatsmännische oder diplomatische Klugheit mancher ihrer amerikanischen Aussprüche denken mag — Mrs. Thatchers Amerikareise hat ihrer Partei und ihrem Lande zweifellos nur genützt. j

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung