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Thatchers größte Panne

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Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher hat sich frontal mit den Gewerkschaften angelegt und damit den Unmut vieler Tories im Parlament hervorgerufen. Der vom Zaun gebrochene Konflikt mit den Verbänden über das Kommunikationszentrum in Cheltenham, Englands Horchposten in den Weltraum, sei nach diesen internen Kritiken unnötig und schlecht konzipiert gewesen. Er sei ferner >über die Köpfe des Parteianhanges hinweg „autokratisch" in Szene gesetzt worden.

Als am 1. März die von der Regierung gesetzte Frist ablief, hatten über neunzig Prozent der Belegschaft im Kommunikationszentrum auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gewerkschaft verzichtet und dafür die Entschädigung von 1000 Pfund Sterling in Empfang genommen. Die Beamtengewerkschaft mußte offen ihre Niederlage eingestehen.

Nicht immer freilich stimmt das Sprichwort vom guten Ende, das letztlich alles gut sein läßt. Unabhängig von diesem zweifellos unter individuellem Druck erzielten Ergebnis ist der Bann der Gewerkschaften aus dem Spionagezentrum nach Meinung einer gewichtigen Zahl von Tory-Hinter-bähklern ein entscheidender Fehler, der noch Nachwirkungen auslösen könnte.

Es ging um die Sicherheit in Cheltenham. Thatcher hat in dieser Hinsicht böse Erfahrungen mit den Gewerkschaften. In den ersten Regierungsjahren wurde die Arbeit wiederholt unterbrochen, weil die Verbände das höchst sensitive Zentrum in direkte oder Sympathiestreiks einbezogen. Solche Zwischenfälle sollten nun ein für allemal ausgeschlossen werden, indem die Angestellten ihre Mitgliedskarte zurückgeben.

Das schien der Regierungschefin auch die einzige Garantie dafür, daß dem Verbündeten in Washington kein Grund zur Klage mehr bleibt und daß die Sicherheit, will heißen: der ungestörte Fortbestand des Betriebes aufrechterhalten bleibt. Deshalb zeigte sie sich taub gegenüber den Vorschlägen der Verbände, die durchaus glaubwürdig klangen: schriftlich verbriefte Gewährleistung klaglos verlaufenden Betriebes, nicht nur eine bloße Zusage.

Weiter konnten die Gewerkschaften nicht gehen, für Thatcher jedoch war auch das nicht

ausreichend: Im akuten Fall würden die Mitglieder der Gewerkschaften vor einen Loyalitätskonflikt gestellt werden: Vaterland oder Verbände.

Darüber platzte sogar gemäßigten Gewerkschaftsfunktionären wie TUC-Generalsekretär Len Murrey der Kragen: Es wäre eine Zumutung, wetterte er, Gewerkschaftsmitgliedern gegenüber den Verdacht der Illoyalität zu hegen, sie als potentielle Landesverräter zu deklarieren.

Stillschweigend stimmten ihm dabei auch Abgeordnete der Regierungspartei zu. Einer von ihnen schrieb einen Brief an die Premierministerin, darin das Unverständnis darüber ausdrük-kend, daß das Gegenkonzept der Gewerkschaften nicht angenommen worden war. Fast ein Drittel der Tory-Abgeordneten schloß sich dieser Meinung an.

Das sich anbahnende verbesserte Verhältnis zwischen Regierung und Arbeitervertretungen blieb darüber auf der Strecke. Kein Zweifel, Rezession und Mißbrauch der Macht haben den einst so mächtigen Verbänden arg zugesetzt.

Bei den letzten Wahlen verweigerte mehr als die Hälfte der Gewerkschafter dem angestammten Verbündeten Labour die Stimme. Im Herbst des vergangenen Jahres zog Murrey die Konsequenzen: Es hätte keinen Sinn so zu tun, als ob nichts geschehen wäre und als ob den Verbänden immer noch die Macht im Staate zukomme, wie sie in den siebziger Jahren gegeben war. Jetzt müsse ein Weg gefunden werden, so Murrey, um mit der ungeliebten Regierung ins Gespräch zu kommen.

Schlagartig zogen sich nun die Gewerkschaften aber aus Gremien zurück, in welchen sie gemeinsam mit Vertretern von Industrie und der Regierung sitzen. Der Halbtag des Protestes (gegen das Gewerkschaftsverbot), von Ubereifrigen, wie den Druckern in der Fleetstreet, zeitlich kräftig überzogen, tat freilich nichts, um die Verbände wieder beliebter zu machen.

Aber es wäre irrig und gefährlich, die Gewerkschaften abzuschreiben. Zehn Millionen Mitglieder bedeuten immer noch eine enorme Kraft im Staate, die auch von Thatcher nicht ignoriert werden kann, zumal die Premierministerin in der zweiten Regierungsperiode vom Glück verlassen scheint.

Der Konflikt in Cheltenham hat sie der Parteieinigkeit beraubt. Konservative in Westminster machen kein Geheimnis daraus: Die Glaubwürdigkeit der Tories in Downing Street leide durch den Stil Thatchers, Entscheidungen zu treffen: Allein oder nur nach Konsultation der engsten Mitarbeiter.

Der Konflikt um Cheltenham ist nur die letzte von Pannen, die sich seit dem 9. Juli 1983, dem Wahltag, häufen, sicherlich aber die entscheidenste. Die britische Presse spricht von den Bananenschalen, auf denen die Regierung nun schon zu oft ausgerutscht ist.

Die öffentliche Meinung, die nun einmal nicht unbeachtet bleiben kann, reagiert bereits negativ: Wie eine Umfrage der letzten Tage zeigt, ist das Vertrauen in Thatcher geschwunden — in der Wirtschaft, in den Arbeitsbeziehungen und in der Verteidigung. Und Labour unter neuer Führung holt auf.

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