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Sieg über „Scargillismus”

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Die heftigste und längste industrielle Auseinandersetzung in der britischen Geschichte gehört der Vergangenheit an. Ein Jahr hielten Arthur Scargill und seine militanten Garden das Land im Würgegriff. Die Nachwirkungen für alle Betroffenen sind in ihrem vollen Ausmaß noch nicht abzusehen.

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Die heftigste und längste industrielle Auseinandersetzung in der britischen Geschichte gehört der Vergangenheit an. Ein Jahr hielten Arthur Scargill und seine militanten Garden das Land im Würgegriff. Die Nachwirkungen für alle Betroffenen sind in ihrem vollen Ausmaß noch nicht abzusehen.

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Premierministerin Margaret Thatcher, deren Standfestigkeit gegenüber wirtschaftlich wahnwitzigen Forderungen letztlich doch Früchte getragen hat, versprach, die einfachen Bergleute vor neuen Schicksalsschlägen zu verschonen. Die Niederlage des „Scargillismus” ist ihr Genugtuung genug.

„Mit stolz erhobenen Häuptern”, unter den Klängen der Dorf musik und mit schwingenden Fahnen sind auf der anderen Seite der Streikfront die Knappen — mit Verzögerungen freüich — in die Gruben zurückgekehrt, gleichsam um sich einen Sieg vorzugaukeln, obwohl ihr Arbeitskampf ohne nennenswerten Erfolg für sie ausgefallen ist.

Arthur Scargill wird indes als ein Mann in die Geschichte eingehen, der seine Gewerkschaft entzweit und dadurch in die Niederlage geführt hat, während ihr in Einigkeit der Sieg nicht zu nehmen gewesen wäre. Scargills schwerster Fehler rächte sich letzten Endes: Aus Furcht vor einer Ablehnung wurde die geheime Abstimmung für oder gegen den Ausstand erst gar nicht zugelassen.

Scargill hatte hoch gespielt und verloren, weil er den günstigsten Augenblick verpaßte, durch Einlenken zu erreichen, was als Erfolg hätte gefeiert werden können. Permanente Unnachgiebig-keit und taktische Fehlhandlungen führten zur Niederlage dessen, der den Kreuzzug gegen die verhaßten Tories von den Bergwerken aus anführte.

Scargillismus, Sammelbegriff für undemokratische Methoden in der Fehde mit einer demokratisch gewählten Regierung, für einen linksorientierten Vortrupp, für Gewalt und Vandalismus in und vor den Bergwerken, ist schon lange ein politisches Schimpfwort. Das Resultat sind zerbrochene Köhlergemeinschaft, ja über den Streik verfeindete Familien, ein feindliches, haßerfülltes Klima in den Gruben, wo sich nun die Streikbrecher von gestern mit den Hütern des Streiks und Scargills Gefolgsleuten treffen.

Premierministerin Thatcher ist der Sieger in diesem bitteren Ausstand, der Gegner ist wie weiland Galtieri von Argentinien zur Kapitulation gezwungen. Dem „äußeren” folgt der „innere Feind”, der destruktive, zu undemokratischen Mitteln greifende extreme Gewerkschafter.

Hier wie dort ist Frau Thatcher um kein Jota von dem abgewichen, was sie für richtig hält. Eine lahme Industrie mit Monopol, im Innern aber unfähig, gegenüber der internationalen Konkurrenz zu bestehen, mit staatlichen Mitteln durchzufüttern, das paßt nicht in ihr Konzept.

Die Gewerkschaftsführung der Bergleute hat offensichtlich die Gründlichkeit unterschätzt, mit der sich die Tories auf die Auseinandersetzung vorbereitet hatten. Der drohende und von Scargill stets an die Wand gemalte Ausfall der Elektrizität war nie eine ernste Gefahr: große Kohlevorräte bei den Kraftwerken, Import von Kohle, Verwendung des kostspieligeren nuklearen Brennstoffes als Ersatz, desgleichen öl.

Uberraschend auch die Schnelligkeit, mit der die Polizei in den Kampf geworfen wurde, das größte Massenaufgebot der Ordnungsmacht seit dem Generalstreik von 1926. Die Polizei blieb den handgreiflichen Streikposten nichts schuldig, und sie kam dadurch ins Gerede. Sie wurden von Scargill der Gewalt beschuldigt, die Schläger in den eigenen Reihen aber verurteüte er mit keinem Wort.

Dem Energieminister kam zugute, daß etwa die Bergleute in Nottingham arbeiteten. So rollten die Transporte, Häfen blieben offen, Ladungen wurden gelöscht.

Gewerkschaftsmacht mußte in Großbritannien, wo die Arbeiterverbände mit Vorliebe zur Streikwaffe griffen, Rezession und Thatcherismus den Zoll entrichten. Scargill scheiterte, weil ihm die natürlichen Verbündeten, von linken Extremisten abgesehen, die Gefolgschaft versagten:

Die Stahlarbeiter fürchteten um Jobs und Zukunft. Die Gewerkschafter in den Kraftwerken wollten für andere nicht die eigene Haut zum Markte tragen. Bei den Dockern setzte sich Vernunft durch, sie ließen sich ein vorteilhaftes Abkommen mit den Arbeitgebern nicht durch die Finger gehen, obwohl der Streik bereits die ausdrückliche Genehmigung der Mitglieder besaß.

Schwache Trostpflaster

Der brillante Volksredner Scargill heimste vor dem Gewerkschaftskongreß wohl reichen Beifall, aber wenig tatkräftige Hilfe ein. Sogar Labourführer Neil Kinnock wurden die Ausschreitungen an den „Picketlines” zu bunt. Er wird mit seinei Partei von einer schweren Belastung befreit. Die Linke, selbstredend mit Scargillismus sympathisierend, ist mit dem Abschluß in die Schranken gewiesen. So hat Kinnock nun die Hände frei, um den zentralen Zielen der Oppositionspartei zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Kohlebehörde kann nun ihren Vorsatz erfüllen, die Industrie zu einem effizienten und leistungsfähigen Zweig zu entwik-keln. Unwirtschaftliche Gruben werden nun doch geschlossen werden, obwohl Arthur Scargill eine Art von Guerillakrieg von Werk zu Werk angekündigt hat. Ein Gesundschrumpfungsprozeß ist unvermeidbar - bei massiven Investitionen in Bergwerke, die großen Ertrag versprechen.

Zunehmende Dezentralisierung der gesamten Industrie ist der Plan für die nahe Zukunft. Nicht aus dem Auge verloren ist schließlich ein zentraler Punkt in Frau Thatchers Wirtschaftsstrategie: die Reprivatisierung eines konkurrenzfähigen Gesamtunternehmens.

Demonstrierte Hochstimmung der „Heimkehrer” in die Bergwerke vermag die Zukunftssorgen mancher Kumpel nicht zu überdecken. Relativ großzügige Abfindungen für Ausscheidende sind nur ein schwaches Trostpflaster in Gegenden, die seit einem Jahrhundert nur vom Kohlebergbau leben.

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