Das Klagelied der Arbeiter

Werbung
Werbung
Werbung

Die Gewerkschaften sind überaltet und stehen den neuen Formen moderner Beschäftigung ratlos gegenüber. Experten raten dringend zu Reformen.

Dass die Zeit alle Wunden heilt, ist keine Volksweisheit, die sich bedenkenlos auf die Realität übertragen lässt – besonders dann nicht, wenn die Wunden mit der Energie echten, gut gezüchteten Hasses und abgrundtiefer Verachtung geschlagen wurden. Aus dem Nebel der Geschichte taucht da etwa die Gestalt Margaret Hilda Thatchers auf, Baroness von Kesteven, Premierministerin Großbritanniens und spricht noch einmal diesen Satz, der sie zur verfluchten Figur einer ganzen Generation britischer Arbeiter machte: „Die Gewerkschaften sind der innere Feind der Nation.“ „The enemy within“ – das saß und sitzt noch immer tief. Denn Thatcher sagte diesen Satz nicht nur so dahin, sie lebte ihn: Am Ende ihrer Amtszeit waren die Gewerkschaften an der Politik der Regierungschefin zerschellt.

Die stolze National Union of Mineworkers zählte 1984 noch über 200.000 Mitglieder. Dann kam Thatcher, der Bergarbeiterstreik, die Niederlage der Gewerkschaft. Heute hat die NUM noch 5000 Mitglieder. Zum 25-jährigen „Jubiläum“ des Streiks treten NUM-Mitglieder derzeit in einem Bühnenstück im Londoner Shaw-Theatre auf und spielen sich ihren Frust von der Seele. Titel: „Margaret Thatcher dies on Stage“.

Das blieb also vom Stolz der englischen Gewerkschaften, die einst sogar Premierminister stürzen konnten. Längst sind die Briten ein warnendes Beispiel für die europäischen Arbeitnehmervertreter geworden – auch in Österreich. Denn dem Österreichischen Gewerkschaftsbund geht es in der Abwärtsbewegung nicht unähnlich dem britischen Beispiel, und das ganz ohne das Zutun eines Regierungschefs. Daran können selbst die Reden und Aufmärsche des kommenden Wochenendes in Wien, Graz und Linz nichts ändern.

In den Jahren 2000 bis 2009 hat der ÖGB 220.000 Mitglieder verloren. Von 4,08 Millionen Erwerbstätigen in Österreich sind heute nur noch knapp 1,2 Millionen gewerkschaftlich organisiert. Erst im März vermeldete der ÖGB einen Jahresmitgliederverlust von 16.400 für 2009. Ähnlich prekär die Situation in Deutschland, wo die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten binnen zwanzig Jahren um ein Drittel sank. Experten sehen in beiden Ländern eine geballte Ladung an Unwillen der Arbeitnehmervertreter, der modernen globalisierten Arbeitswelt gerecht zu werden. Wenig Worte und keine Taten gibt es vonseiten der Gewerkschaften zu der wachsenden Zahl der Ein-Personen-Unternehmen und zum Prekariat, dem Subsistenz-Sammelbecken der modernen Wissensgesellschaft.

„Die Gewerkschaften stehen mit dem Rücken zur Wand“, meint Staatswissenschafter Emmerich Tálos (siehe Interview). Sein Befund: „Mit der Globalisierung ist der Druck in den Betrieben enorm gewachsen, durch Rationalisierung, Wettbewerbsdruck, Shareholder-Value-Strategien, Arbeitslosigkeit und die Verbreitung atypischer Beschäftigungsformen.“ Darauf hätten die Gewerkschaften allerdings noch keine Antwort, sie steckten in den traditionellen Berufsbildern fest, die lebenslange Fixanstellung und steigendes Einkommen voraussetzen.

Eine ähnliche Meinung vertritt die Wiener Wirtschaftssoziologin Susanne Pernicka: „Die traditionelle gewerkschaftliche Weltsicht ignoriert die Gruppe der abhängigen Selbstständigen, klassifiziert sie als Scheinselbstständige und beschränkt sich auf die Forderung nach einem Verbot solcher Beschäftigungsformen.“

Das verdrängte Prekariat

Diese Herangehensweise der Gewerkschaften leugnet die Tatsache, dass heute schon die Hälfte der 290.000 Unternehmer im Dienstleistungsbereich in Österreich Mikrounternehmer sind. Dass zwei Drittel von ihnen mehr als einen Arbeitgeber haben. Dass ihre Zahl jährlich um rund 12.000 steigt. Und nicht zuletzt, dass diese Form des Erwerbslebens laut einer Studie der Universität Wien für ein Sechstel der „neuen“ Selbstständigen das Leben an der Armutsgrenze von 800 Euro bedeutet. Sozialwissenschafterin Pernicka ortet ein „strategisches Dilemma“ bei den Gewerkschaften, die sich scheuten, Solo-Selbstständige auch als abhängige Arbeitnehmer zu sehen. Diese Verweigerung hat aber ernste Konsequenzen für das Budget des ÖGB. Denn so landen zehntausende potenziell zahlende Gewerkschaftsmitglieder in der Pflichtmitgliedschaft der Wirtschaftskammer.

Während die Betroffenen Arbeitnehmer ohne Gewerkschaftsverbindung Fortschritte erleben, etwa die verpflichtende Arbeitslosenversicherung für freie Dienstnehmer und die Möglichkeit zur Arbeitslosenversicherung für Unternehmer, änderte sich an der Position der Gewerkschaften wenig.

Dort kümmert man sich offenbar lieber um die Verteidigung wohlerworbener Rechte und die Interessen aus dem Berufsleben scheidender Arbeitnehmer. Ein Beispiel: Die „Hackler-Regelung“, dank der eine ganze Generation wohlbestallter Beamter derzeit als „Schwerarbeiter“ mit voller Pensionshöhe in Frührente gehen können. Jüngst drohte da der Vorarlberger ÖGB-Landesvorstand Norbert Loacker mit einem „Aufstand, der sich gewaschen hat“, sollte die Regelung infrage gestellt werden. Loacker weiß um seine Klientel: Der Altersschnitt der Gewerkschaftsmitglieder liegt heute bereits jenseits von 45 Jahren. Auch in den Gewerkschafts-Zentralen zu Wien kümmert man sich hauptsächlich um jene, die bereits im Amte stehen. Dabei geht es auffällig oft um den Schutz von Partikularinteressen und sehr wenig um das Staatsganze. So werden auch in Zeiten krisenbedingter drastischer Budgetmaßnahmen und Steuererhöhungen Nulllohnrunden bei den Beamten kategorisch ausgeschlossen und als „Aprilscherz“ verballhornt. In diesem Punkt gleichen die Gewerkschaftspositionen in Wien sogar jenen im beinahe staatsbankrotten Griechenland.

Gemeinsamer Niedergang

Eine hellenische Arbeitnehmer-Formation wird auch am Samstag in Wien zu Gast sein. Über die internationale Solidarität wird dann viel deklamiert werden und auch über die jahrzehntelange Bruderschaft zwischen ÖGB und SPÖ: ÖGB-Präsident Erich Foglar etwa will laut Programm gemeinsam mit der SPÖ-Spitze demonstrieren, „wie lebendig und kraftvoll die sozialdemokratische Idee ist“. Traurig nur, dass sich den Mitgliederzahlen der beiden Organisationen seit 1980 das Gegenteil ablesen ließe: ÖGB minus 400.000, SPÖ minus 300.000, bei weiter stark fallender Tendenz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung