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Durch Land- und Bauflucht

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Die stärkste (Einzel-) Gewerkschaft ist jene der Metall- und Bergarbeiter mit 285.870 Mitgliedern (+ 4379). Von den öffentlich Bediensteten sind unter Einschluß der Gemeindeangestellten 237.164 und von den Privatangestellten 239.548 beim ÖGB. Die verhältnismäßig stärkste Zunahme hat die Gewerkschaft der Arbeiter im graphischen und papierverarbeitenden Gewerbe aufzuweisen (+ 3,3 Prozent).

Ein Zeichen fortschreitender Landflucht ist der Rückgang der Mitgliederzahl bei der Gewerkschaft der Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft, die 6491, das sind nicht weniger als 10,3 Prozent ihres Mitgliederstandes, einbüßte. Im Verlust von 2380 Mitgliedern bei der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter zeigt sich die „Bauflucht“, während der Rückgang der Zahl der Gewerkschaftsmitglieder der Textil-, Bekleidungsund Lederarbeiter um 2241 (2,1 Prozent) einen unverhältnismäßigen und nicht mehr ganz verantwortlichen Importüberhang andeutet.

Insgesamt gesehen ist der ÖGB noch immer eine Arbeitergewerkschaft. Man muß sagen „noch“, da die Zahl der Arbeitermitglieder verhältnismäßig zurückgeht. Gegenüber 1961 gab es zum Jahresende 1962 um 5705 Arbeiter weniger, während die Zahl der organisierten Privatangestellten trotz der geringeren Gewerkschaftsneigung um 4366 und jene der öffentlich Bediensteten um 1431 zugenommen hat.

200.000 haben gestreikt

Die Zahl der jugendlichen Arbeitnehmer, die dem ÖGB angehören, ist in einem Jahr von 84.818 auf 80.882, das heißt um 4,6 Prozent, zurückgegangen, zum Teil ein Zeichen der Organisationsmüdigkeit der Jugendlichen, zum anderen Teil aber auch ein Index der gewandelten Altersstruktur der Berufstätigen.

Im Jahre 1962 wurde von 207.459 Arbeitnehmern in 5,181.762 Stunden gestreikt. Die durchschnittliche Streikdauer je Arbeitnehmer betrug etwa 25 Stunden (drei Arbeitstage). Den Streikenden wurden 19 Millionen Schilling an Streikunterstützungen ausgezahlt, was etwa zehn Schilling je Streikstunde entspricht und ungefähr nicht ganz zwei Drittel des Normalverdienstes.

Die Streikursachen waren im allgemeinen Lohnforderungen (81 Prozent). Von den Gewerkschaften nicht gebilligte wilde Streiks gab es nur 2,5 Prozent. In Arbeitsstunden ist das Streikvolumen im Jahr 1962 zwar fünfmal größer als im Vorjahr gewesen, was aber nicht bedenklich ist, da die Ziffern durch den Streik der Arbeiter in der Metallindustrie und im Metallgewerbe erheblich beeinflußt wurden. Die Zahl der Streikdrohungen, für die es selbstverständlich keine Statistik gibt, ist jedoch gestiegen. Dieses Empfindungen hatten wir alle.

Die Erträge an Mitgliedsbeiträgen beliefen sich 1962 auf 375 Milionen Schilling, das sind je Mitglied ungefähr 246 Schilling im Jahr. Von den Erlösen wurden, wie erwähnt, 19 Millionen,’ was etwa fünf Prozent der Beiträge ausmacht, für Streikende ausgegeben, schätzungsweise die Hälfte dessen, was als Beitrag zum Streikfonds im Mitgliedsbeitrag enthalten ist.

Die Stellungnahme der Gewerkschaften wie des Bundesvorstandes zu Fragen der Politik, der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik kommt ganz besonders in den Anträgen zum Kon-

greß zum Ausdruck. Interessant ist, daß vor allem die Gewerkschaft der Privatangestellten Anträge stellte, aus denen man entnehmen konnte, daß sie im ÖGB am weitesten „links“ steht und die „Rechtsabweichung“ der SPÖ noch nicht mitgemacht hat.

Im Bereich der Wirtschaftspolitik wird Programmierung verlangt. Die Lohnpolitik soll weiterhin, wie Antragsteller forderten, expansiv sein, einerseits den Nachfragerückgang in der Depression beseitigen helfen und anderseits bei Produktivitätsanstieg auch den Arbeitnehmern einen Anteil daran sichern. Die Preispolitik müßte nach Ansicht von Gewerkschaftsfunktionären durch Umwandlung der Paritätischen Kommission in eine Wirtschaftskommission stabilisiert werden und der Sicherung der Kaufkraft der Löhne dienen.

Die Steuerpolitik soll sich von der Förderung unrentabler Investitionen, wie sie im Bewertungsfreiheitsgesetz geradezu provoziert werden, lösen. Die Gemeindebediensteten fordern, daß die Familienväter, wenn die Kinder den Familienverband verlassen haben, in der gleichen Steuergruppe verbleiben können und nicht, wie bisher, den Ledigen gleichgestellt werden.

Was die Sozialpolitik anlangt, fordert man mit Recht eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung, die in der Lohnklasse XII nur mehr 28,2 Prozent des letzten Arbeitsverdienstes ausmacht. Freilich muß man sich fragen, warum seinerzeit unsinnigerweise der Beitrag zur Arbeitslosenunterstützung, der niemandem weh getan hatte, gekürzt wurde, während es doch offenkundig notwendig geworden ist, dem Fonds neue Mittel für die Erhöhung der Unterstützung zuzuführen.

Allgemein fordert man (das heißt die Privatangestellten) den Kampf gegen „neonazistische“ Provokationen (ihre „rücksichtslose Verfolgung“), die Überwachung neofaschistischer Organisationen und das Verbot der Soldatenbünde.

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