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Will ÖGB-Kongreß längere Schulzeit ?

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Am 3. Oktober beginnt der 10. Bundeskongreß des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. 203 Anträge stehen zur Beratung - darin versteckt auch eine kleine Sensation.

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Am 3. Oktober beginnt der 10. Bundeskongreß des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. 203 Anträge stehen zur Beratung - darin versteckt auch eine kleine Sensation.

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Jetzt soll der österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) offiziell werden, was er sein möchte: überparteilich.

Diese Einfügung ins Vereinsstatut, vom Bundesvorstand selbst den 390 stimmberechtigten Delegierten zum Bundeskongreß ans Herz gelegt, geht übrigens auf einen Vorstoß der Gewerkschaft öffentlicher Dienst zurück, die sich ums Ansehen der Interessenvertretung sorgte.

Das ist der erste von insgesamt 203 Anträgen, darunter zwölf des Bundesvorstandes, die dem ÖGB- Bundeskongreß, der vom 3. bis zum 7. Oktober im Wiener Konzerthaus tagen wird, vorliegen..

Wer erwartet hat, daß die Gewerkschafter auf die Herausfor-

derung der Krise mit neuen Vorstellungen antworten, wird enttäuscht: Ansätze für eine weitblickende Gewerkschaftspolitik sucht man vergebens.

Der ÖGB geht weiter den ausgetretenen Pfad, den er in besseren Wirtschaftszeiten beschritten hat. Er denkt sich von Bundeskongreß zu Bundeskongreß — durchaus pragmatisch — weiter, was fehlt, ist ein eigenständiges Programm.

Kein Wunder daher, daß die Gewerkschaft gar nicht so geschlossen ist, wie es scheinen mag. Daher widersprechen sich auch teilweise Anträge in zentralen Bereichen: sogar in der Frage der Arbeitszeitverkürzung.

Und zu den zentralen Fragen unserer Zeit — Frieden, Umwelt upd gerechte Einkommensverteilung — sind die ÖGB-Antworten enttäuschend vage und phantasielos.

Zum Frieden: Natürlich ist in einer Vorstandsresolution davon die Rede, wird „die Fortsetzung der Entspannungspolitik, die Beendigung des Wettrüstens, schrittweiser Abbau der Rüstungsproduktion und die Verhinderung eines Atomkrieges“ gefordert.

Worauf es ankommt, nennt lediglich die kleine Gewerkschaft Kunst, Medien, freie Berufe beim Namen: Die „Bemühungen dürfen sich nicht auf Deklarationen beschränken. Es sollen vielmehr die Einschränkung und Kontrolle des Waffenhandels und der Rüstungsproduktion konkret in Angriff genommen werden“. Das heißt: „Ziel der österreichischen Gewerkschaften sind human orientierte, ausschließlich friedlichen Zwecken dienende Produktionen.“

Auch zum Thema Umwelt prescht nur die Gewerkschaft Kunst, Medien, freie Berufe vor und bekennt: „Die Achtung vor der Natur und ihren Geschöpfen, der Sinn für Natur Schönheit und die geschichtlich gewachsenen kulturellen Werte waren und sind wesentlicher Bestandteil der Ideale der Gewerkschaftsbewegung.“

Im Antrag des ÖGB-Bundes- vorstandes heißt es dann schon nüchterner: „Gewerkschaftliche Umweltpolitik muß beschäftigungsorientiert sein.“ Was darunter zu verstehen ist, macht die Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter deutlich: „Der Wiederherstellung und Erhaltung der Vollbeschäftigung haben sich andere Zielsetzungen unterzuordnen.“ Und: „Wirtschaftswachstum darf und soll nicht durch falsch ver standenen Umweltschutz verhindert werden.“

Und in der Funktionärspraxis heißt das dann kompromißlos:

• „Das Potential zur Erzeugung von Strom aus Wasserkraftwerken soll weiter ausgebaut und genutzt werden. Neben den noch möglichen Großbauvorhaben gilt das auch für Kleinkraftwerke“ (Bundesvorstand).

• Es „sind die Bemühungen fortzusetzen, um die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Tullnerfeld zu ermöglichen“ (Bundesvorstand).

• Es „ist ein weiterer Ausbau der heimischen Kraftwerke nötig. Dies gilt in erster Linie für die Wasserkraft, aber auch für die Kernenergie …“ (Bau- und Holzarbeiter).

• „Das Autobahngrundnetz und die für die Industrieregionen bedeutenden Straßenzüge sollen rasch fertiggestellt … werden“ (Bundesvorstand).

Mögen auch andere eine gerechte Einkommensverteilung diskutieren, der ÖGB sieht dazu keine Veranlassung. Es reicht nur zum mageren (nicht näher ausgeführten) Bekenntnis: „Neben dem Ziel der solidarischen Lohnpolitik, die den Beziehern kleiner Einkommen weiter stärker Unterstützung zukommen lassen wird, soll für alle eine gerechte Einkommensverteilung erzielt werden“ (Bundesvorstand). Wie nur?

Die Vorsätzlichkeit, mit der die Gewerkschaftsbewegung dieser heiklen Grundsatzfrage ausweicht, stimmt nachdenklich. Unbequeme, vielleicht auch (bei den Mitgliedern noch) unpopuläre Denkansätze werden gar nicht oder nur verschämt verfolgt.

• Niemand wird anzweifeln, daß dem ÖGB die Sicherung der Arbeitsplätze ein Anliegen ist. Die Verschärfung der Ruhensbestim- mungen, jüngst auch im Maßnahmenpaket der Koalitionsregierung in Angriff genommen, ist dabei ein Teilaspekt: Pensionisten sollen Aktiven keine Arbeit wegnehmen. Aber wo ist die Ächtung des organisierten Pfuschertums, das ungleich mehr Arbeitsplätze frißt? Kein Wort, kein Nebensatz findet sich in den Anträgen.

• Sieht man von der versteckteinsamen Forderung der Gewerkschaft der Privatangestellten nach „Beteiligung am Produktionsvermögen ab“, ist es um das Anliegen von Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand schlecht bestellt: Mit dem Gedanken eines investiv verfügbaren Lohnanteils können Österreichs Gewerkschafter offenbar nichts anfangen.

• AuchZukunftsthemenwieBil- dungsurlaub und Selbstverwaltung von Betrieben durch Arbeitnehmer weicht — sieht man wiederum von den Privatangestellten ab — die OGB-Funktionärseli- te aus.

Dafür überschlagen sich die Anträge zur Einführung der 35- Stunden-Woche: Sie soll „ra- schest-möglich“, „ehebaldigst“ und „mit allem Nachdruck“ durchgesetzt werden, nach Wünschen der Privatangestellten spätestens bis 1987. Während der Bundesvorstand eine branchenweise Verkürzung einer generellen vorzieht, legen sich die Gewerkschafter der Land- und Forstwirtschaft quer: Sie treten „für eine generelle Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit ein und wenden sich mit Nachdruck gegen eine unterschiedliche Verkürzung der Arbeitszeit“.

Das sind nicht die einzigen Auffassungsunterschiede: Vehement wendet sich etwa die Gewerkschaft Druck und Papier gegen eine höhere Besteuerung des 13. und 14. Bezuges—und damit gegen die Beschlüsse vom Februar. Und während die Bau- und Holzarbeiter den Antrag auf Einführung einer Arbeitsmarktförderungsabgabe stellen, fordern die Beamten vom Bundeskongreß den gegenteiligen Beschluß.

Eine kleine Sensation ist dennoch in die Anträge verpackt: Der ÖGB will nicht nur eine Arbeitszeitverkürzung, den Abbau von Überstunden und bessere Möglichkeiten zur Frühpensionierung, sondern auch eine.„Auswei- tung der schulischen Ausbildung“. In diesen Zusammenhang gestellt heißt das im Klartext: eine Verlängerung der Schulzeit.

Man kann gespannt sein, wie ernst dem ÖGB dieses Anliegen ist.

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