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Kapitalismus mit roten Mascherln

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Hie Geld, da Ideologie, Marshall-Plan kontra Planwirtschaft: Der ÖG B hatte seine liebe Not, sie unter einen gemeinsamen Hut zu bringen. Der „gefesselte Kapitalismus“ ist ein Stück Zeitgeschichte.

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Hie Geld, da Ideologie, Marshall-Plan kontra Planwirtschaft: Der ÖG B hatte seine liebe Not, sie unter einen gemeinsamen Hut zu bringen. Der „gefesselte Kapitalismus“ ist ein Stück Zeitgeschichte.

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Viel wurde über den Marshall-Plan debattiert, ja gestritten. War diese von den USA gegebene Wirtschaftshilfe wirklich zum Wohle Westeuropas, oder waren nicht die USA selbst größter Nutznießer dieses Hilfsprogramms?

War der Marshall-Plan wirklich die genau zum richtigen Zeitpunkt kommende Hilfe des „großen Bruders“, ohne welche ganz Europa hilflos ein Opfer des Kommunismus geworden wäre, oder nützten die USA nicht einfach die „historische Chance“ -eine Chance, die nie wiederkommen würde — sich in Europa ökonomisch, (gesellschafts-)poli-

tisch wie auch kulturell einzukaufen?

Die Auseinandersetzung um diese Fragen, letztlich um die Absicht, die die US-Administration mit dem Marshall-Plan verfolgte, fand nicht nur in der aktuellen politischen Situation der Jahre 1948 bis 1952 statt, sondern auch in der historiographischen Literatur über den Marshall-Plan, die sich aufgrund dieser Kontroverse in eine „traditionelle“ und eine „revisionistische“ Interpretationsrichtung spaltete.

Die SPÖ und mit ihr die sozialistischen Gewerkschafter gerieten in bezug auf die ideologische Einordnung des Marshall-Planes in eine Zwickmühle. Sie befürworteten zwar den Wiederaufbauplan einer „kapitalistischen Weltmacht“, predigten aber gleichzeitig einen Wiederaufbau nach sozialistisch-planwirtschaftlichen Grundsätzen. Wie ließen sich diese Gegensätze vereinen?

Die christlich-sozialen Gewerkschafter hatten aufgrund ihrer politischen Heimat keinerlei Bedenken ideologischer Natur, ihre kommunistischen Kollegen lehnten den Marshall-Plan gemäß ihrer Parteilinie kompromißlos ab und plädierten für einen Wiederaufbau aus eigener Kraft.

Die sozialistischen Gewerkschafter — mit ihrer Mehrheit die einzig ausschlaggebende Kraft im ÖGB — waren in einem Gewissenskonflikt. Bot sich doch sonst nirgendwo eine Gelegenheit, zu harten US-Dollars zu kommen, mit denen man die Wirtschaft in Ordnung bringen konnte und so — über Umwege und mit „kapitalistischem Geld“ - letztlich dem einfachen Arbeiter wieder zu Arbeit und Brot verhelfen konnte.

Der Marshall-Plan konnte also von den sozialistischen Gewerkschaftern nicht abgelehnt werden. Das wäre nicht nur vom politischen Gegner, in diesem Fall der ÖVP und den christlichen Gewerkschaftern, als gegen die nationalen Interessen gerichtet ausgelegt, sondern auch von den Kommunisten weidlich als „Sieg über den Imperialismus“ ausgeschlachtet worden. Die politische Vernunft verbot, diesen Wiederaufbauplan abzulehnen, auch wenn er von einer Stelle kam, die für sozialistische Ideale nicht unbedingt zu begeistern war.

Mehr aber noch wiegt die Tatsache, daß führende Gewerkschaftsfunktionäre der SPÖ trotz aller linken Reden felsenfest davon überzeugt waren, daß es ohne den Marshall-Plan nicht weitergehe. Dazu kam, daß man mit amerikanischen Hilfsleistungen bisher schon gute Erfahrungen gemacht hatte.

Überdies geriet die SPÖ durch die ablehnende Haltung der KPÖ in einen Zugzwang. Eine Ablehnung oder auch nur eine Infragestellung des Marshall-Planes hätte ein Gleichziehen mit der KPÖ bedeutet, was unter allen Umständen vermieden werden mußte. Die SPÖ hatte also de facto keine Wahlmöglichkeit: Sie mußte zustimmen. Aber sie wollte es auch und tat dies aus Uberzeugung.

Was blieb, war der Versuch, den Marshall-Plan in das sozialistische Weltbild einzubauen, ihn zu einem Plan mit sozialistischen Bauelementen zu machen. Darüberhinaus setzten sich die sozialistische wie auch christlich-soziale Fraktion im ÖGB das Ziel, Sorge zu tragen, daß dieser Plan nicht gegen die Interessen der Arbeiter verwendet werden konnte.

Von Seiten der US-Regierung wurde die wichtige Rolle der Gewerkschaften am Gelingen des Marshall-Planes erkannt und auch ernst genommen. Deshalb wurden nicht nur die amerikanischen Gewerkschaftsverbände AFL (American Federation of Labor) und CIO (Congress of In-dustrial Organization) in die Organisation des ERP eingebaut, sondern diese auch mit der Aufgabe betraut, die europäischen nichtkommunistischen Gewerkschaften für die Idee des Marshall-Planes und für eine konstruktive Mitarbeit zu gewinnen.

Außerdem gab es auch Informationsreisen in die USA für mit-

tel- und hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre. Solche Reisen hatten den Sinn, amerikanische Wirtschaftsverwaltung und Produktionsmodelle zu vermitteln und populär zu machen. Der für europäische Verhältnisse der damaligen Zeit hohe Lebensstandard des amerikanischen Arbeiters wurde zum Vorbild erhoben; ihn galt es zu erreichen.

So wurde z. B. von Alfred Migsch in der sozialistischen „Zukunft“ der Stundenlohn eines amerikanischen Arbeiters mit dem eines österreichischen verglichen und festgestellt, daß sich der amerikanische Kollege im Durchschnitt um den Ertrag einer Stunde mehr als das Vierfache leisten könne, wie sein mitteleuropäischer Standesgenosse. Um dies zu erreichen, benötigte man aber die amerikanischen Produktionsmethoden und vor allem die ERP-Dollars. Selbstverständlich standen die beiden großen amerikanischen Gewerkschaftsverbände vorbehaltlös auf dem Boden von „free enterprise“, anders ausgedrückt, das kapitalistische Pro-duktions^ und Distributionssystem wurde nicht in Zweifel gezogen. Dies aber war genau der Punkt, an dem sich die Geister der europäischen von den amerikanischen Gewerkschaften schieden. Eine Verstaatlichung war für die US-Gewerkschaften etwa kaum denkbar, die europäischen hingegen kämpften für die Verstaatlichung großer Produktionszweige in ihren Ländern.

An diesem wunden Punkt setzte auch die kommunistische Kritik im Gewerkschaftsbereich ein, und manche sozialistischen Gewerkschafter am linken Rand des ÖGB waren durchaus empfänglich dafür.

Wenn der KP-Delegierte Egon Kodicek am 1. Bundeskongreß des ÖGB im Mai 1948 feststellte, daß „die Kapitalisten Amerikas kein Geld hergeben, um in Österreich den Sozialismus aufzubauen“, und daß „der Marshall-Plan nichts anderes ist... als ^ie Wiederaufrichtung und Stabilisierung des Kapitalismus“, so hatte er damit nicht nur recht, sondern er erreichte auch linke Schichten der sozialistischen Gewerkschafter.

Auch Otto Leichter gab in einem Artikel in der „Zukunft“ vom Februar 1948 den von Kodicek geschilderten Sachverhalt zu, betonte aber gleichzeitig, daß man „es sich nicht leisten kann, auf die Hilfe, die der MarshaU-Plan verheißt, zu verzichten'1. Man verdeutlichte sich sozusagen die Gefahr, die durch einen Wiederauf* bauplan der „kapitalistischen Macht der Erde“ entstehen konnte, betonte aber gleichzeitig, daß man nicht auf eine Teilnahme verzichten könne.

In eitler Selbstüberschätzung wurde das ERP zu einem „soziali-

stischen Plan“ umfunktioniert, dem Kapitalismus Amerikas wurden die „Giftzähne“ gezogen, indem er zu einem „Sozialismus amerikanischer Prägung“ erklärt wurde. Alfred Migsch verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck vom „gefesselten Kapitalismus“, einer Mischform, wie er meinte, die weder Konkurrenzoder Monopolkapitalismus, aber auch noch nicht Sozialismus sei, eben der gefesselte Kapitalismus, oder anders ausgedrückt, eine kapitalistische Wirtschaft mit sozialistischen Bauelementen.

Daß hohe SPÖ- und ÖGB-Funktionäre von der Möglichkeit, den österreichischen Wiederaufbau nun endlich „anhand eines Planes“ realisieren zu können, angezogen waren, bezeugen viele Aussagen. Der Wiederaufbau sollte ihrer Ansicht nach nicht den Gesetzen der freien Wirtschaftsentwicklung überlassen, sondern streng planmäßig durchgeführt werden. Das ERP wurde nun auch wirklich detailliert geplant, um eine möglichst optimale Nutzung der Gelder zu ermöglichen. Daß dabei keine den amerikanischen Grundsätzen zuwiderlaufende „Planwirtschaft“ gemeint war, eine solche aber von Seiten der sozialistischen Gewerkschafter sehr wohl hineininterpretiert wurde, sollte sich spätestens mit den Liberalisierungsbestrebungen auf nationaler und internationaler Ebene zeigen.

Darüberhinaus war und blieb die Verwaltung der ERP-Gelder

in amerikanischen Händen. Die ECA hatte das letzte und entscheidende Wort über die Vergabe von Geldern, auch wenn die Jahrespläne von den Ländern selbst erstellt wurden.

Das heißt, die ECA hatte es immer in der Hand, ihre Vorstellun-gen.von einer sinnvollen Verwendung der Gelder durchzusetzen. Was als „sinnvoll“ zu gelten hatte, wurde amerikanischerseits viel weniger, als dies viele linkslastige

Historiker wahrhaben wollen, von ideologischen als realökonomischen Motiven beherrscht.

Eine wesentliche Bedingung, unter welcher der ÖGB bereit war, den Marshall-Plan zu unterstützen und in der Arbeiterschaft populär zu machen, war die der Mitentscheidung. Dazu war es notwendig, daß Gewerkschaftsvertreter in den Entscheidungsgremien vertreten waren. Dies betraf auf österreichischer Seite das Büro für ERP-Angelegenheiten, da dort die wesentlichen Entscheidungen über die Geldvergabe und die Verwendung der zugestandenen Geldbeträge gefällt wurden. Verlangt wurde die Beteiligung „in allen Phasen der Ausführung des ERP“.

Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, schrieb ÖGB-Präsident Johann Böhm insgesamt sechs Briefe an Bundeskanzler Leopold Figl. Dieser jedoch wußte recht geschickt, den ÖGB von allzugroßem Mitspracherecht fernzuhalten. Zwar wurden nach langem Drängen ein Beratungskomitee für das ERP-Büro und eine Reihe von Spezialkomi-

tees eingerichtet, in welchen jeweils auch ÖGB-Vertreter saßen, jedoch blieb deren Aufgabenbereich auf die Begutachtung schon fertiger Projekte beschränkt. Also Mitspräche, aber keine Mitbestimmung.

Trotz mancher negativer Äußerungen von ÖGB-Größen, gerade was die Mitbestimmung betrifft, blieb der ÖGB dem Marshall-Plan und dem Konzept, das dahinter stand, bis zuletzt treu. In dieser Tatsache sehen manche linke Historiker einen Verrat an der sozialistischen Sache, da sich der ÖGB dadurch zu einem Instrument kapitalistischen Handelns habe machen lassen. Unumstritten ist allerdings die Tatsache, daß der Marshall-Plan wesentlich zu einer klassenkooperativen Haltung des ÖGB beitrug.

Der Autordissertiertemiteiner Arbeitzum Thema „Von der UNRRA zum Marshall-Plan. Die amerikanische Finanz- und Wirtschaftshilfe an Osterreich in den Jahren 1945 bis 1950“.

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