"Die Wirtschaft ist die Basis für Demokratie"

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US-Botschafterin Susan Rasinski McCaw und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein im Gespräch mit der Furche über die Rolle des Marshall-Plans für Österreich.

Die Furche: Warum ist es wichtig, nach 60 Jahren an den Marshall-Plan zu erinnern?

Martin Bartenstein: Weil sehr viele gute Dinge in Österreich erst durch den Marshall-Plan möglich wurden. Führte man allerdings heute eine Umfrage durch, würden nur die wenigsten Österreicher wissen, dass der Marshall-Plan (European Recovery Program, ERP) auf den ehemaligen US-Außenminister George C. Marshall zurückgeht. Und jene, die eine Antwort wüssten, kämen wohl aus der Wirtschaft und würden sagen, das ist eine Möglichkeit für günstige Kredite.

Susan Rasinski McCaw: Ich bin als Amerikanerin sehr stolz auf den Marshall-Plan, und die Österreicher sollten das auch sein, denn Österreich hat es wie kein anderes Land geschafft, das Geld aus dem Marshall-Plan in so vielfältiger Weise zu "recyceln". Der Marshall-Plan wird in weiten Teilen der USA und Europas als eines der größten humanitären Hilfsprojekte, die es je gab, betrachtet. Aber ich glaube, dass es nicht nur um Hilfeleistungen ging. Für mich war es eine Investition in Österreich und Westeuropa. Der 60. Jahrestag der Marshall-Rede (5. Juni 1947 an der Harvard University; Anm.) ist eine gute Gelegenheit, uns erneut mit den Visionen und Zielen von George C. Marshall zu beschäftigen.

Die Furche: Was sind die großen Aushängeschilder der Marshall-Plan-Hilfe in Österreich?

McCaw: ERP-Monumente sind für mich zweifelsohne das Wasserkraftwerk Kaprun oder der Stahlproduzent Voest. Aber auch in der Landwirtschaft und im Tourismus findet man "Zeugen" des Marshall-Plans. In Österreich gibt es kein Skigebiet, das nicht von ERP-Mitteln profitiert hat.

Bartenstein: Neben dem Verbund und der Voest wurden auch die Brenner-Autobahn und das BMW-Motorenwerk in Steyr durch ERP-Mittel ermöglicht. Auch der Automobil-Cluster in der Steiermark bekam Marshall-Plan-Mittel oder die frühere Siemens-Tochter Infineon. Das heißt, dass der Marshall-Plan nicht nur für Hilfe zur Selbsthilfe nach dem Zweiten Weltkrieg steht, sondern auch heute noch für die heimische Wirtschaft wichtig ist.

Die Furche: Das heißt, Österreich recycelt noch immer ERP-Mittel?

Bartenstein: 1962 waren noch 11,2 Milliarden Schilling auf den Gegenwertkonten (Österreich erhielt in diesem Jahr die Verfügungsgewalt über diese Mittel; Anm.). Heute verwaltet die Austria Wirtschaftsservice (AWS) den ERP-Fonds. 2006 betrug das Kreditvolumen 600 Millionen Euro. Mit den Krediten der AWS werden nicht nur Investitionen im Inland unterstützt, sondern auch die Expansionen heimischer Betriebe im Ausland. Es werden aber auch Entwicklungshilfe-Projekte finanziert oder Stipendien für Studenten und Professoren. Ein großer Schwerpunkt wird in Zukunft die stärkere Unterstützung von Innovations-Projekten sein.

Die Furche: Es ging beim Marshall-Plan aber nicht nur um Wirtschaft und Wiederaufbau …

McCaw: Ich bin hier wohl befangen, aber ich glaube, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung die Basis für Demokratie und Stabilität darstellt. Österreich ist dafür ein glänzendes Beispiel. Die Ziele des Marshall-Plans waren aber ganz klar wirtschaftliche, mit einigen politischen Nebeneffekten. Man braucht sich nur in Ländern umzusehen, die arm sind und deren Wirtschaft am Boden liegt. Das sind die Regionen, wo politische Umstürze stattfinden, dort kommen Personen an die Macht, die nicht an der Verbreitung von Freiheit und Demokratie interessiert sind.

Bartenstein: Wenn man über Frieden, Demokratie und politische Stabilität in Europa spricht, dann sollte man nicht nur auf Österreich oder Deutschland schauen. Beispielgebend war hier auch Osteuropa: Demokratie und Stabilität haben mit wirtschaftlichem Erfolg und Wachstumszahlen zu tun. Der Sozialismus und der Kommunismus sind nicht zuletzt zusammengebrochen, weil deren Wirtschaftssystem nicht funktioniert hat. Auch die Süd-Erweiterung der EU hat gezeigt, dass der wirtschaftliche Erfolg diese Länder nach den Diktaturen durch Franco, Papadopoulos und anderen stabilisiert hat.

Die Furche: Wenn die Wirtschaft Wegbereiter für Demokratie und Freiheit sein kann, dann waren die politischen Nebeneffekte des Marshall-Plans doch gar nicht so klein.

McCaw: Natürlich half der Marshall-Plan Österreich, sich am Westen zu orientieren. Und er führte dazu, dass die teilnehmenden Länder zu einer viel engeren Einheit zusammenwuchsen, eben weil sie verstärkt untereinander Handel trieben, und weil alle Mitglieder der Vorgängerorganisation der OECD waren. Das waren Vorläufer eines noch stärker vereinten Europas, wie wir es heute sehen. Ich finde aber auch, dass das ERP einen starken psychologischen Effekt hatte. Bei den Menschen konnte sich ein Gefühl von "Wir schaffen den Wiederaufbau, wir helfen uns selbst" einstellen, denn es war nicht nur eine kurzfristige Hilfsmaßnahme. Die Länder wurden modernisiert und konnten sich in Richtung Westen orientieren.

Die Furche: Der Marshall-Plan wurde auch zum Symbol des "guten Amerika". Doch heute sprechen wir viel mehr über die transatlantische Kluft. Was muss passieren, um diese Kluft wieder zu schließen?

McCaw: Die wirtschaftliche Seite unserer Beziehungen ist sehr stark. Die größten Unstimmigkeiten haben wir derzeit auf der politischen Bühne. Dort hat vor allem das Thema Irak in den letzten fünf Jahren einen Keil zwischen uns und die Europäer getrieben. Aber wir hatten auch früher schon Differenzen und haben diese beseitigt. Doch ich glaube, dass die Politiker die Realität richtig einschätzen. Wir sind im Irak, weil wir dort einen Auftrag haben: Wir müssen das irakische Volk unterstützen, das seine Stimme für die Demokratie erhoben hat. Es bedarf aber der internationalen Gemeinschaft, um die Probleme im Irak zu lösen. Was die transatlantische Kluft angeht, so denke ich, brauchen wir nicht nur gute wirtschaftliche Beziehungen. Nein, wir müssen uns auch verstärkt um die jungen Menschen in unseren Ländern kümmern und ihnen Austauschprogramme ermöglichen, die das Verständnis für das jeweils andere Land fördern. Ich weiß, dass das eine gute Investition in die Zukunft ist, denn auch ich war während meiner Studienzeit in Europa und lernte die politische Situation und den europäischen Lebensstil kennen. Auch Minister Bartenstein verbrachte als Student einige Zeit in den USA. Dies half uns, das Verständnis für die jeweils andere Seite aufzubauen.

Bartenstein: Wir bekamen in den Jahren nach dem Krieg Lebensmittel in Form von CARE-Paketen, und dann waren wir in der glücklichen Lage und profitierten von den ERP-Mitteln. Wohlgemerkt als einziges Land, das teilweise von der Roten Armee der Sowjetunion besetzt war. Das sind Fakten. Und dennoch weiß ich, dass viele Menschen in Österreich Schwierigkeiten haben, offen über die transatlantische Freundschaft zu sprechen. Ein Freund der USA zu sein, ist heutzutage nicht populär. Ich finde aber, dass gerade das 60-Jahr-Jubiläum der Marshall-Rede eine gute Gelegenheit ist, um Danke zu sagen für die Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg und mutiger zu unserer langen Freundschaft mit den USA zu stehen. In den vergangenen Jahren dachte ich manchmal, dass Wolfgang Schüssel und ich die einzigen sind, die sich trauen, über ihr transatlantisches Bewusstsein zu sprechen.

Die Furche: Im Bereich der Wirtschaft besteht die gute Partnerschaft ja immer noch.

Bartenstein: Das stimmt, man braucht sich nur die Wirtschaftszahlen anzusehen. Es wird zwar immer über China und Indien geredet, aber 60 Prozent des weltweiten BIPs werden in der EU und den USA erwirtschaftet. 40 Prozent des weltweiten Handels finden zwischen diesen beiden Märkten statt. Man hört zwar oft nur von den Schwierigkeiten, wie jenen zwischen den Firmen Airbus und Boeing, doch 99,9 Prozent unserer Wirtschaftsbeziehungen laufen perfekt ab. Das Handelsvolumen von rund 600 Milliarden Euro pro Jahr nimmt sich aber noch gering aus, verglichen mit den ausländischen Direktinvestitionen von rund 1500 Milliarden Euro (USA in die EU und vice versa).

Die Furche: Die Idee eines globalen Marshall-Plans flackert, seit sie 1990 von Al Gore beschrieben wurde, immer wieder auf. Ist der Marshall-Plan universell einsetzbar?

McCaw: Ich habe von dieser Idee gehört, doch ich denke, dass ein Land bereit sein muss, um eine derartige Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn es geht dabei mehr um den Wiederaufbau und nicht um den Aufbau. Das Fundament für ein Programm wie den Marshall-Plan muss vorhanden sein.

Bartenstein: Man kann die Situation in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mit der aktuellen in Afrika südlich der Sahelzone vergleichen. Die EU und die USA glauben daran, dass die Weiterentwicklung des weltweiten Handels und der Abschluss der Doha-Runde im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) die richtigen Mittel sind, um Entwicklungsländern zu helfen. Der Grund für die wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten in Teilen Asiens und Lateinamerikas sind auf die WTO und den fast freien Handel zurückzuführen.

McCaw: Marshalls Ziel war es nicht, die Menschen mit Fischen zu versorgen, sondern ihnen zu helfen, ihre Fischereibetriebe wieder aufzubauen. Dasselbe gilt für Afrika. Wir können den Menschen nicht einfach Nahrungsmittel schicken, wir müssen ihnen zeigen, wie sie ihre Lebensmittel selbst herstellen können. Darum glaube ich, dass die Doha-Runde so wirkungsvoll sein wird, wie es einst der Marshall-Plan für Europa war.

Das Gespräch führten Thomas Meickl und Rudolf Mitlöhner.

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