Friede durch Wirtschaftshilfe

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Auf seiner Torkel-Tour durch den weltpolitischen Porzellanladen gefiel es dem amtierenden US-Präsidenten, anlässlich seines ersten Europa-Besuches den fatalen Satz "Germany is bad, very bad" fallen zu lassen. Dankenswerterweise hat Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel darauf so souverän nicht reagiert, dass die aggressive Wortwahl mittlerweile beinahe schon wieder vergessen ist.

Und doch: welch ein Kontrast zu jenem Amerika, das vor ziemlich genau 70 Jahren mit dem "European Recovery Program"(ERP) ein bis heute einzigartiges politisches Konzept zum europäischen Wiederaufbau in die Welt setzte. Der nach seinem Initiator, dem Weltkriegsgeneral, Außenminister und späteren Friedensnobelpreisträger George C. Marshall benannte, ab 1948 umgesetzte Plan mobilisierte damals Hilfsleistungen in einer Größenordnung, die über einen Zeitraum von vier Jahren annähernd zwei Prozent der US-Wirtschaftsleistung entsprach. Ein vergleichbarer Anteil an der amerikanischen Wertschöpfung von heute würde die gigantische Summe von nahezu 900 Milliarden US-Dollar ausmachen.

Die transatlantische Handreichung schloss Deutschland und Österreich ausdrücklich mit ein und sollte ursprünglich sogar die osteuropäischen Staaten umfassen, hätte sich die Sowjetunion dem nicht entgegen gestellt. Dass aus dem darniederliegenden Nachkriegseuropa innerhalb weniger Jahre eine prosperierende Friedenszone werden konnte, ist jedenfalls ganz wesentlich auch dem Marshall-Plan und dem ihn tragenden Geist der Versöhnung zu verdanken.

Europäische Initiativen sind nötig

Bis heute fördert der ERP-Fonds österreichische Investitionsprojekte im Rahmen der AWS-Förderbank. Von Beginn an vergab man klugerweise anstelle verlorener Zuschüsse ausschließlich rückzahlbare Anschubhilfen in Form begünstigter Langfristdarlehen. So blieb ein beachtlicher Teil des Fonds-Vermögens über all die Jahrzehnte in seiner Substanz weitgehend erhalten. Dass eine aus Fach-Delegierten aller im Parlament vertretenen Parteien zusammengesetzte Kommission die eingereichten Projekte beurteilt, sicherte der ältesten Fördereinrichtung der Zweiten Republik über alle politischen Veränderungen hinweg Anerkennung und Unabhängigkeit.

Der durchschlagende Erfolg des größten Wirtschaftshilfsprogramms der Geschichte lässt sich allerdings schon deshalb nicht einfach anderswo wiederholen, weil es auf jene meist politisch zerrütteten Länder nicht anwendbar ist, die der Hilfe am dringendsten bedürfen. Denn ohne Frieden, Rechtssicherheit und politische Mitwirkung der Zielländer kann derartige Unterstützung nicht funktionieren.

Weil jedoch die Vereinigten Staaten unter ihrer derzeitigen Führung kaum mehr auf die Welt als ganze schauen, wird es nun an Europa liegen, für die ihm benachbarten Notstandsregionen eigenständige, gut durchdachte Initiativen zu entwickeln, die eines Tages an Wirkung dem nahe kommen, was der Marshall-Plan seinerzeit für sein eigenes Fortkommen geleistet hat.

Wilfried Stadler

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