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Kurswechsel ist notwendig

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Unmittelbar nach der Wahl Mitterrands zum Präsidenten zeigten die französischen Sozialisten großes Interesse für das österreichische Experiment. Man war vor allem beeindruckt von der niedrigen Arbeitslosigkeit und Inflation. Eine Rolle spielten wohl auch vage Erinnerungen an den Austro-Marxismus, der sich für französische Begriffe in erfreulicher Form von der revisionistischen Sozialdemokratie unterschied.

Hierzu kamen lose Informationen über die maßgebende Rolle der Gewerkschaften, die, wie man annahm, in enger Verbindung mit der sozialistischen Regierung für den sozialen Frieden und gleich-

zeitig für eine fortschrittliche Sozialpolitik sorgten.

Die Kontakte mit den österreichischen Partnern führten zu einer französischen Ernüchterung: Vom Austro-Marxismus entdeckte man lediglich noch einige Spuren. Man erfuhr ferner, daß die Verstaatlichungen unter dem Zwang der Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten und nicht aus doktrinären Erwägungen.

Zwischen dem Verantwortungsbewußtsein der um den sozialen Konsensus bemühten österreichischen Gewerkschaft und den gespaltenen, um die Bewahrung ihres Mitgliederbestandes bangenden und die Erfordernisse des wirtschaftlichen Gleichgewichtes kaum berücksichtigenden französischen Arbeitnehmerorganisationen befindet sich ein tiefer, unüberbrückbarer Graben. Die Feststellung Kreiskys in einem Gespräch mit Mitterrand im Juli 1981, bei der gegebenen französischen hohen Inflations- und Arbeitslosenrate würde er das Wagnis weiterer Verstaatlichungen nicht eingehen, blieb ohne Echo.

Nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus rein taktischen Gründen kam für Mitterrand eine sozialdemokratische Orientierung nie in Frage. Er hält es wohl auch heute noch für unentbehrlich, einen betonten Linkskurs zu steuern, um für die Arbeiterschaft die kommunistische Partei überflüssig werden zu lassen.

Zur Stärkung des staatlichen Einflusses in der Wirtschaft wäre die Verstaatlichung großer Industriegruppen und Banken nicht erforderlich gewesen, denn sie unterlagen schon vorher weitgehend der Kontrolle der öffentlichen Hand. Mitterrand ging es um ein Symbol. Er ließ den linken Flügel seiner Anhänger an den ihm selbst wahrscheinlich fernliegenden Bruch mit dem Kapitalismus glauben.

Daneben gab es für seine Politik zwei große Richtlinien: Mehr soziale Gerechtigkeit und Gleichheit sowie größerer Einfluß des Staates in allen Bereichen.

Die Dynamik des Sieges der Linksparteien brachte demnach in der ersten Phase des französischen Experiments eine massive Aufstockung der Sozialleistungen und der niedrigsten Löhne ebenso wie eine die sogenannten Reichen besonders belastende Steuerpolitik. Man übersah hierbei, daß bereits Giscard d’Estaing die Rendite der Industrie zugunsten des sozialen Fortschrittes und der Staatskasse erheblich zusammengepreßt hatte.

Die erneute Abschöpfung führte nicht nur zu einer tiefen Entmutigung der privaten Unternehmer, sondern auch zu einer erheblichen Einschränkung der Investitionen, so daß das von der Konjunkturankurbelung über den Verbrauch der Haushalte in Rechnung gestellte Wachstum erheblich hinter den Erwartungen zurückblieb.

Als fragwürdig erwiesen sich auch die Methoden zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit. Sie blieb zwar in den letzten zwei Jahren statistisch stabil, die Zahl der in der Industrie Beschäftigten ging jedoch trotz des scharfen Entlassungsschutzes regelmäßig zurück.

Der relative Erfolg der Beschäftigungspolitik ist ausschließlich der für die Staatskasse und die Wirtschaft höchst kostspieligen, vorzeitigen Pensionierung ab 55 Jahren sowie einem gleichzeitig erweiterten und verlängerten Berufsschulungssystem mit bisher nicht geradezu überzeugenden Erfolgen zu verdanken.

Die zweite Richtlinie Mitterrands, die Ausweitung des Einflusses des Staates, brachte einerseits eine Aufblähung des Beamtenapparats und andererseits einen umfassenden Dirigismus, der mit dem inzwischen abgesetzten, weil nicht mehr tragbaren Industrieminister Chevenement seinen Höhepunkt erreichte. Jener wollte sämtliche Wirtschaftszweige in von seinem Ministerium ausgearbeitete und kontrollierte Entwicklungsspläne einordnen, um so alles von oben zu regeln.

Mit drei Franc-Abwertungen, einer hohen Inlands- und Auslandsverschuldung, einer zu starken Inflation und dem Nullwachstum endete Anfang 1983 das Experiment in einer Sackgasse. Nach einer kurzen Verlockung durch den Protektionismus entschied sich Mitterrand für die Umkehr, d. h. zu einer klassischen, um nicht zu sagen liberal-orthodoxen Stabilisierungspolitik, deren Ziel es sein sollte, die gestörten Gleichgewichte wieder in Ordnung zu bringen.

Vieles deutet darauf hin, daß der Haushalt des kommenden Jahres die elementaren wirtschaftlichen Realitäten nicht genügend berücksichtigen wird. Es besteht daher die große Gefahr, daß die Stabilisierungspolitik auf halbem Wege stehenbleibt, zumal die Regierung die Rückkehr zur Preisfreiheit nicht wagt und ihrer

dirigistischen Philosophie treu bleibt.

Entscheidend wird der Ausgang der Kraftprobe mit den Gewerkschaften sein. Die Regierung vermag den Kampf gegen die Inflation nur dann zu gewinnen, wenn es ihr gelingt, die Gewerkschaften zu veranlassen, einen Kaufkraftschwund als unvermeidliches Übel hinzunehmen.

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