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ÖGB ohne Franz Olah

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Mit dem Präsidenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Franz Olah, ist nicht nur der höchste, sondern auch, der bedeutendste Gewerkschaftsführer unseres Landes in die Politik abgegangen. Keineswegs so freiwillig, wie es uns die offizielle Lesart glauben machen will, wenn es auch erstaunlich zu sein scheint, daß es noch Politiker gibt, die sich nicht allzu sehr nach einem Ministeramt drängen. Der Stuhl des Präsidenten in der Wiener Hohenstaufengasse ist nun leer, obwohl man zuweilen vermuten konnte, daß Olah sein Amt zumindest dem Namen nach bis zum Bundeskongreß im Herbst behalten werde. Die Eile, mit der man Anton B e n y a zum provisorischen Nachfolger nominierte, war Anlaß zu manchen Vermutungen.

Was wird nun aus dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, an dessen Spitze nicht irgendein Verwalter gestanden war, sondern ein Mann, der es vermochte, auch in schwierigen Situationen seine Meinung durchzusetzen? Bereits Johann Böhm hatte es verstanden, den Gewerkschaftsbund zu einem der Stabilisatoren unserer gesellschaftlichen Ordnung und unseres wirtschaftlichen Lebens zu machen. Nicht nur trotz der Bindungen des Gewerkschaftsbundes, sondern gerade deswegen, weil die Sozialisten der Zweiten Republik eine Staatspartei geworden sind, wodurch auch die ihnen nahestehenden Gruppen für den Staat engagiert werden konnten.

Die Frage ist nun: Welchen Weg wird der ÖGB nach dem Bundeskongreß im Herbst gehen? Wurde Olah deswegen gleichsam zum Minister „befördert“, weil er wie seinerzeit Minister Tschadek ostentativ dem Marxismus abgeneigt war und weltanschaulich ein frühsozialistisches, vor allem aber ein pragmatisches Konzept vertrat und im Sozialismus nicht eine Ersatzreligion, sondern ein Instrument der Sozialreform sieht — und nicht mehr? Werden etwa jetzt jene Kräfte, die bisher aus Angst vor dem „Chef“

in der Hohenstaufengasse ihre antiklerikalen Ressentiments auf Andeutungen beschränken mußten, in aller Öffentlichkeit ihren skeptischen Atheismus proklamieren dürfen, und dies im Namen des ÖGB? Soll das bisher praktizierte Toleranzedikt nunmehr als ungültig erklärt werden?

Gedanke und Institution der Einheitsgewerkschaft sind nicht nur ein Wagnis, sondern auch ein Kompromiß, ein schöpferischer Versuch einer Kooperation von politisch und weltanschaulich verschieden gerichteten Kräften. Kann eine neue Führung des ÖGB das Prinzip der Toleranz verteidigen, kann und will sie es verteidigen? Wird auch den Christen im gewerkschaftlichen Raum ein gleiches Maß an Freiheit gesichert sein wie bisher?

Gewerkschaftsfeindlichkeit ist große Mode. Über diesen Tatbestand dürfen auch Wahlergebnisse nicht hinwegtäuschen. Die Feinde des Gewerkschaftsgedankens haben ihren Standort nicht allein im sogenannten bürgerlichen Lager, sondern auch in sozialistischen Bereichen, wenn sich auch dort eine Abneigung gegen die Einrichtung der Gewerkschaften mehr als Gewerkschaftsmüdigkeit äußert. Die gefährlichsten Gegner des Gewerkschaftsgedankens sind aber in der gegenwärtigen Situation jene, welche die Idee einer Einheitsgewerkschaft durch ihre Spaltungsversuche bekämpfen und bemüht sind, aus dem ÖGB eine sozialistische und darüber hinaus eine marxistische Richtungsgewerkschaft zu machen. Die Spalter sitzen nicht nur jenseits des ÖGB, sondern sind auch mit jenen Gewerkschaftsfunktionären identisch, die vor allem in der Gewerkschaftspresse durch pro-vokative Artikel andeuten wollen, daß für die Christen im ÖGB eigentlich kein Platz mehr sei.

Die zweite ernste Frage: Wird die neue Führung des ÖGB den Gedanken einer Einheitsgewerkschaft nicht nur lautstark, sondern vor allem im Bereich der Publizistik auch praktisch vertreten und die ungehörige Provokation der gläubigen Christen unter den Gewerkschaftern auf ein erträgliches Minimum reduzieren?

In der Bundesrepublik Deutschland hat sich der DGB (weniger die Deutsche Angestelltengewerkschaft) gegenüber den Parteien in einer für nichtromanische Länder erstaunlichen Weise emanzipiert. Auch gegenüber der SPD, obwohl Versuche merkbar sind, eine Änderung herbeizuführen. Dadurch ist es zu einem Quasisyndikalismus gekommen, zu einer bedenklichen Staatsfremdheit großer Teile der Arbeiterschaft, die auch von einem SPD-Regime auf Bundesebene nicht leicht zu beseitigen wäre.

Werden die Gewerkschaften wie bisher ein Instrument der österreichischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bleiben, oder werden sie im Sinn jener merkwürdigen Erklärung operieren, die sie kurz nach der Regierungsbildung abgegeben hatten: Sie seien nicht gewillt, mit einem Forderungsstopp die Stabilisierung der Wirtschaft fördern zu helfen, jene Stabilisierung, die zu unterstützen der Vizekanzler nachdrücklich zugesichert hatte? Soll es nun zu einem Doppelspiel der Art kommen, daß die SPÖ verhandelt und gemeinsam mit der Volkspartei Beschlüsse faßt, die Gewerkschaften sich aber an die Be-

Schlüsse nicht gebunden fühlen, weil sie auf diese Weise demonstrieren wollen, daß sie keine Erfüllungsgehilfen der SPÖ sind? Die Haltung der Führung des ÖGB in der für sie doch recht delikaten Frage der „kampfbereiten“ Post- und Telegraphenbediensteten scheint diese Befürchtung zunächst zu entkräften.

Der ÖGB ist keine militärische, einem Befehlsgeber gehorchende Organisation, sondern ein Komplex sozialer und psychologischer Prozesse, eine Vielfalt von Meinungen und vor allem von Interessen. Wird nun die neue Führung des ÖGB in einer Zeit der progressiven Konsumhysterie die Massen der Mitglieder auf das allgemeine Interesse hin verpflichten können, wie dies bisher weitgehend gelungen war?

Immer mehr verlagert sich die Führungsmacht in unserem Land aus den Ministerialkanzleien heraus unter Umgehung der politischen Vertretungskörper in den Bereich der Verbände. Die Kanzleien der Verbände entscheiden heute, was die Ministerien zu tun haben. Wir können diesen Prozeß nicht billigen, müssen ihn aber als politische und staatspolitische Tatsache zur Kenntnis nehmen. Eine Volkspartei, die sich offenkundig wie die CDU in einer schweren Führungskrise befindet, wäre gegenwärtig nicht in der Lage, von sich aus syndikalistische, das heißt staatsfremd operierende Gewerkschaftskräfte zu binden. Die Maßnahmen der SPÖ sind dagegen lediglich auf künftige Wahlvor-

teile fixiert, ob dies dem Land nützlich ist oder nicht. Beide Großparteien stünden daher einem im vorstaatlichen Raum autonom Wirtschafts- (Lohn-) politik machenden Gewerkschaftsbund hilflos gegenüber. Wenn der ÖGB davon ausgehen sollte, daß er durch Erhöhungen des Nominallohnes seine Position zu stärken vermag, während die mit der Lohnerhöhung verbundenen Preiserhöhungen ohnedies der ÖVP angelastet werden, kann es über einen Zusammenbruch des Preisgebäudes zu einem Staatsnotstand kommen, dessen politische Folgewirkungen nicht absehbar sind.

Wir haben bewußt nur Fragen gestellt und Vermutungen geäußert, in Sorge um eine Einrichtung, deren staatserhaltende Bedeutung das Bürgertum kaum erkannt hat und erst in Grenzsituationen zu begreifen vermöchte.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund ist heute organisatorisch und finanziell so stark, daß er nicht von außen bedroht werden kann. Jene Kräfte, die es je vermöchten, den ÖGB zu spalten oder staatspolitisch funktionslos zu machen, könnten nur aus der Mitte des Gewerkschaftsbundes heraus operieren. Daher tut not, daß sich der ÖGB im Herbst eine gute, eine österreichische und ihrer staatspolitischen Verantwortung bewußte Führung gibt, die über allen- Wechsel der Personen die breite Basis des Vertrauens in den Österreichischen Gewerkschaftsbund auch für die Zukunft sichert.

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