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Neue Weichenstellung

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Wenn der überparteiliche und einheitlich mit nunmehr 15 Gewerkschaften als Untergliederungen aufgebaute österreichische Gewerkschaftsbund zwischen dem 10. und 15. September seinen 9. Bundeskongreß abhält, so kann er auf einen fast 35jährigen Bestand zurückblik- ken. Es stand keineswegs an seiner Wiege mit Bestimmtheit fest, daß die 1945 zwischen den Gewerkschafts- Vertrauensmännern der SPÖ, der ÖVP und der KPÖ vereinbarte Organisationsstruktur eine lange Lebensdauer haben werde. Dem wirkte damals sowohl die Tradition der früheren Richtungsgewerkschaften entgegen, wie auch maßgebliche führende Gewerkschaftsvorsitzende nur widerwillig auf die Selbständigkeit ihrer Organisation verzichteten.

Die Organisationsstruktur des ÖGB ist allerdings nicht einheitlich durchgezogen, denn die Privatangestellten sind entgegen dem Industriegruppenprinzip in einer eigenen Gewerkschaft zusammengefaßt, was sich zu ihrer gewerkschaftlichen Erfassung durchaus bewährt hat.

Anderseits erschwert die wachsende Zahl der Angestellten wie auch das Streben der Arbeiter, in diesen Stand vorzurücken, die Tätigkeit der Arbeitergewerkschaften. Diese Problematik wird auch auf dem kommenden Bundeskongreß in der Diskussion aufscheinen, aber keineswegs zu dramatischen Auseinandersetzungen führen.

Die Lösung des Problems erfordert ein behutsames Vorgehen und Maßnahmen, die gesetzt werden, müssen auch die Billigung der Mitglieder finden, wenn sich kein gesamtgewerkschaftlicher Nachteil ergeben soll. Verständnis für die Problematik in beiden Lagern, dem der Funktionäre der Privatangestellten und dem der Arbeitergewerkschaften, wird Konflikte vermeiden helfen.

Entscheidend für die gedeihliche Entwicklung des ÖGB war auch die auf Anerkennung der Minderheiten aufgebaute Organisationsstruktur, die ihnen entsprechende Vertretung in den Organen sicherte. Wenn auf dem ÖGB-Kongreß vor vier Jahren ein Konflikt mit der Fraktion Christlicher Gewerkschafter wegen ihrer

Vertretung im Präsidium entstand, so war er darauf zurückzuführen, daß die Fraktion selbst in der Frage der Hofübergabe nicht geschlossen auftrat.

Mit dem jetzigen Kongreß wird sie wieder eine Vizepräsidentenstelle innehaben. Die christliche Fraktion bekennt sich „zum gemeinsam gegründeten und aufgebauten überparteilichen österreichischen Gewerkschaftsbund, solange dessen Grundsätze und Handlungen mit jenen der FCG vereinbar sind”, und hat dieses Bekenntnis in einem Grundsatzprogramm verankert; der dem ÖGB- Kongreß vorangehende Bundestag der Fraktion wird darüber zu beschließen haben.

Die erste Bewährungsprobe einer koordinierten Gewerkschaftspölitik waren die fünf zwischen 1947 und 1951 abgeschlossenen Preis- und Lohnabkommen. Diese Politik fand in der 1957 zustandegekommenen Paritätischen Kommission, deren Schöpfer der damalige ÖGB-Präsi- dent Johann Böhm war, ihre Fortsetzung.

Die damit begründete Wirtschaftspartnerschaft oder Sozialpartnerschaft, wie sie gemeinhin genannt wird, - eine kollektive Toleranz der Interessenverbände einander gegenüber, mit Kompromißbereitschaft als Folge - wurde zum tragenden Pfeiler des Wirtschaftsaufschwunges, der Österreich von einem überwiegenden Agrarland zu einem modernen Industriestaat wandelte.

Der ÖGB hat sich dank seiner besonnenen Politik und seiner ungeschmälerten Mitgliederstärke eine anerkannte Position in unserem Land erworben. Entgegen öfter laut gewordener Kritik beansprucht er nicht mehr „Macht”, als es seiner Verpflichtung zur wirksamen Interessenvertretung der Arbeitnehmer und seiner Stellung in der gesellschaftlichen Machtgruppierung ent spricht. Was die Arbeitnehmer betrifft, so hat die Gewerkschaftspolitik deren Billigung gefunden, denn auf die Dauer läßt sich in der Demokratie keine Politik hinter dem Rücken der Betroffenen machen.

Allerdings ist diese Gewerkschaftsverbundenheit bei einem beträchtlichen Teil der Mitglieder mehr passiv als aktiv. Ansonsten hätte es dem Gewerkschaftsbund gelingen müssen, seinen Mitgliederstand entsprechend dem Beschäftigungszuwachs stärker anzuheben. Während es in Österreich z. B. im Jahre 1948 1,876.0 Beschäftigte und mit Ende des Jahres einen Stand von 1,278.686 Gewerkschaftsmitgliedern gab, betrug die Beschäftigtenzahl im Durchschnitt des Vorjahres 2,758.000 und der Mitgliederstand des ÖGB per Ende 1978 1,628.803 Personen.

Dieser Problematik wird in Zukunft gezielter Rechnung getragen werden müssen, wenn die Organisationsdichte nicht empfindlich absinken soll. Das Reservoir zur Erfassung neuer Mitglieder liegt in den gewerkschaftlich schwerer zu organisierenden Mittel- und Kleinbetrieben.

Vom 9. Bundeskongreß sind keine Sensationen zu erwarten - außer man wertet einen Antrag des Bundesvorstandes zur Kemkraftfrage und eine Diskussion darüber als solche. Die Weichen in die achtziger Jahre wurden bereits gestellt. Im Vordergrund der zukünftigen Tätigkeit steht die Forderung, daß technischer Fortschritt auch sozialen Fortschritt und mehr Mitbestimmung mit sich bringen muß, die Humanisierung der Arbeitswelt einbezogen.

Das zentrale Problem ist und bleibt jedoch eine Wirtschaftspolitik zur Sicherung der Vollbeschäftigung.

Was die Sozialpartnerschaft betrifft, wird sie einen Anpassungsprozeß durchzumachen haben, um den durch den ökonomischen und technischen Strukturwandel sich ergebenden Anforderungen der achtziger Jahre gewachsen zu sein. Im ÖGB selbst ist die personelle und organisatorische Umstrukturierung langfristig angelegt und sie kann sich - wenn Einsicht obwaltet - in Ruhe vollziehen.

Der Autor, langjähriger Funktionär der Gewerkschaftsbewegung und angesehener Theoretiker der SPÖ, ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrates der Gewerkschaftsbank BAWAG.

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