Kampfansage an Gewerkschaften

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Sowohl der Inhalt als auch die beabsichtigte Art der Umsetzung des Regierungsprogramms treiben einen Keil zwischen die Interessensverbände und konterkarieren die bisherige Konsenskultur.

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Sowohl der Inhalt als auch die beabsichtigte Art der Umsetzung des Regierungsprogramms treiben einen Keil zwischen die Interessensverbände und konterkarieren die bisherige Konsenskultur.

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Wer nach einem letzten, sehr kräftigen Lebenszeichen der Sozialpartnerschaft sucht, braucht nur ein paar Monate zurückzublenden: Wenige Tage vor der Nationalratswahl gaben die Präsidenten von Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer eine gemeinsame Stellungnahme ab. Der Anlaß dafür war ungewöhnlich, denn erstmals meldeten die Verbände sich nicht zu "ihren" Themen zu Wort, sondern zur politischen Situation im Land: "in ernster Stunde" warnten sie vor der "Zerstörung der Sozialpartnerschaft" und einer drohenden "Unregierbarkeit des Landes". Indirekt war der Aufruf ein Bekenntnis zur Fortsetzung der Koalition von SPÖ und ÖVP.

Tatsächlich ist dann, zumindest von seiten der Wirtschaft, das Wahlergebnis vom 3. Oktober auch als Niederlage der Sozialpartnerschaft betrachtet worden. Unverständlich auf den ersten Blick, denn die Sozialpartnerschaft ist eine auf Freiwilligkeit beruhende Form der Zusammenarbeit zwischen den Verbänden - unabhängig von Parlament und Regierung. Von der ÖVP-Alleinregierung (1966-70) und auch von der Koalition SPÖ-FPÖ (1983-86) blieb sie völlig unberührt. Grundsätzlich, möchte man meinen, gilt das auch für die aktuelle Koalition. Zwar gehören die Attacken gegen die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern zum fixen Repertoire der FPÖ. Daß sich aber im Regierungsprogramm kein Wort dazu findet, überrascht nicht. Immerhin ist sie Partner einer Partei, deren Bünde untrennbar mit den Kammern verflochten sind.

Einer muß verlieren Trotzdem droht dieses Regierungsprogramm die Sozialpartnerschaft zu sprengen. Sowohl der Inhalt dieses Programms als auch die beabsichtigte Art der Umsetzung treiben einen Keil zwischen die Interessenverbände und konterkarieren die österreichische Konsenskultur in einer bisher nicht gekannten Weise.

Inhaltlich trägt dieses Programm, soweit es das Arbeits- und Sozialrecht betrifft, unverkennbar die Handschrift des Wirtschaftsflügels der ÖVP. Die geplanten Maßnahmen zielen fast durchgängig auf eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte ab und können von der Gewerkschaft als nichts anderes als eine Kampfansage begriffen werden. Am meisten provoziert hat wohl die Formulierung "Änderung aller Regelungen, die eine - verglichen mit dem konkreten Nutzen für die Arbeitnehmer - unverhältnismäßig große Belastung für die Betriebe darstellen".

Was die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs betrifft, bricht das Programm mit einer zentralen Regel, nämlich der umfassenden Einbindung der Sozialpartner in wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungsabläufe. Gerade im Sozialrecht ist es bisher üblich gewesen, daß zunächst die Verbände eine konsensuale Lösung aushandeln und diese dann von Regierung und Parlament rezeptiv übernommen wird. Das hat der Sozialpartnerschaft den Ruf der Präjudizierung parlamentarischer Entscheidungen eingetragen, unbestritten aber hat sie damit über ein halbes Jahrhundert den sozialen Frieden im Land gesichert und positiv zur wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen. Diese Funktionen kann sie unter der gegenwärtigen Regierung kaum erfüllen, da der Koalitionspakt keinen Spielraum für Verhandlungen offenläßt. Die meisten Programmpunkte sind nur durch Kampfabstimmungen im Parlament realisierbar.

Die Grundphilosophie der Sozialpartnerschaft ist immer gewesen, daß keiner der Beteiligten sein Machtpotential voll ausschöpft, sondern den Ausgleich mit dem Partner sucht - im Idealfall ein "Positivsummenspiel", bei dem jeder einen Vorteil hat. Das aktuelle Regierungsprogramm setzt dagegen auf eine Neuverteilung - ein "Nullsummenspiel", bei dem der eine etwas verlieren muß, damit der andere etwas gewinnen kann. Ein solches Spiel ist hochgradig konfliktträchtig und mit Verhandlungen am grünen Tisch kaum vereinbar.

Der Ton wird schärfer Wenn die Sozialpartnerschaft ein wertvoller Faktor für die wirtschaftliche und soziale Stabilität im Lande ist, warum steht ihre Zukunft dann mit einem Mal in Frage? Die Ursachen dafür sind nicht allein im Wahlergebnis vom 3. Oktober zu suchen. Die neunziger Jahre sind für die Interessenverbände sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer ein turbulentes Jahrzehnt gewesen. Alle Verbände haben versucht, sich mit umfangreichen Reformen an die durch Europäisierung und Strukturwandel gründlich geänderten Bedingungen anzupassen. Trotzdem haben Kammerkrise, Mitgliederverluste in der Gewerkschaft und zentrifugale Tendenzen in den Unternehmerverbänden ihre Spuren hinterlassen. Und immer wieder auch wird die Sozialpartnerschaft als überholt bezeichnet. Dabei haben sich einige ihrer zentralen Institutionen bereits stark verändert: Paritätische Kommission - de facto stillgelegt; Preisunterausschuß - umbenannt; Lohnunterausschuß - ohne Autorität. Intakt geblieben ist das sozialpartnerschaftliche Verhandlungsmuster in der Bearbeitung von Strukturproblemen, wie Standortsicherung, Beschäftigungspolitik oder Berufsausbildung.

Tatsache ist, daß der Konzessionsspielraum der Verbände enger und damit unvermeidlich auch der Ton schärfer geworden ist. In der Gewerkschaft macht sich Frustration breit, daß die Modernisierungskosten notorisch zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, so wie Wirtschaftstreibende von ihrer Interessenvertretung mehr Deregulierung und Flexibilisierung erwarten. Parallel dazu hat sich das Kräfteverhältnis nachhaltig zugunsten der Arbeitgeberseite verschoben. Paradoxerweise stehen aber gerade Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung unter einem besonderen Druck, eben weil ihre Mitglieder eine Umsetzung dieses Vorteils in konkrete Politik einfordern.

Möglicherweise wäre das Koalitionsabkommen weniger rigide formuliert worden, wären nicht für Ende März die Wirtschaftskammerwahlen anberaumt. Und es ist unschwer vorauszusehen, daß die Kammermitglieder diese Absichtserklärung lohnen werden. Gleichzeitig hat sich der Wirtschaftsbund mit diesem Abkommen gebunden, weil es Erwartungen geweckt hat, die durch Abstriche leicht Enttäuschung hervorrufen könnten. Für die Kammerwahl ist also ein Wettbewerb zwischen den beiden der Koalition angehörenden Fraktionen um die Urheberschaft des Programms zu erwarten.

Kein Vorbild mehr!

Die Auswirkungen des Abkommens zwischen ÖVP und FPÖ auf die Beziehungen der Verbände zueinander werden nicht sofort sichtbar. Der Wirtschaftsbund hat unmittelbar nach dem Vertragsabschluß ein Bekenntnis zum Weiterbestand der Sozialpartnerschaft abgelegt. Und fürs erste beschränken sich die Arbeitnehmerverbände auch darauf, gegen die Regierung zu mobilisieren. Auch bei den Arbeiterkammerwahlen, die zwischen März und Mai stattfinden, wird der Hauptgegner die Regierung sein. In weiterer Folge sind aber Konflikte zwischen den Sozialpartnern unausweichlich, zumal wenn das Programm umgesetzt wird. Namentlich Eingriffe in die rechtlichen Grundlagen der Zusammenarbeit - etwa die Pläne zu einer "betrieblichen Sozialpartnerschaft", zu deren Realisierung das Kollektivvertragsrecht geändert werden soll - hätten tiefgreifende Folgen für die sozialpartnerschaftliche Architektur als solche.

Noch vor wenig mehr als einem Jahr, unter der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, wurde die Sozialpartnerschaft als mögliches Vorbild für den Sozialen Dialog auf europäischer Ebene diskutiert. Das wird auf längere Zeit kein Thema sein, nicht nur wegen der politischen Isolation Österreichs.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zu Gewerkschaft und Sozialpartnerschaft.

Buchtip Zukunft der Sozialpartnerschaft. Herausgegeben von Ferdinand Karlhofer und Emmerich Talos. Signum Verlag 1999, geb.,298 Seiten, öS 350,-/e 25,44

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