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Sozialpartner: Nicht der Weisheit letzter Schluß

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Die Rolle der Sozialpartner in der österreichischen Innenpolitik wurde zuletzt durch den Bundesparteitag der SPÖ wieder zur Diskussion gestellt. Auch Herbert Kohlmaier, nunmehr geschäftsführender Bundesobmann des ÖAAB, hat sich zu diesem brisanten Thema immer wieder zu Wort gemeldet. In einem Gespräch mit der FURCHE erklärte er, es sei unrichtig, zu glauben, ein Kompromiß der Sozialpartner sei stets „der Weisheit letzter Schluß“. Gleichzeitig erklärte Kohlmaier, daß er die von den Sozialisten im Parlament angepeilte Änderung des Arbeiterkammer-Wahlrechts, wonach etwa 50.000 Angehörigen von Unternehmern das Wählrecht entzogen werden soll, für verfassungswidrig halte. Dafür gebe es richtungweisende Erkenntnisse. Sollte die SPÖ an ihrer Idee festhalten, werde sich der ÖAAB eine Anfechtung der im Juni 1979 fälligen AK-Wahl, die auch als Testwahl für die kurz darauf folgende Nationalratswahl angesehen wird, überlegen.

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Die Rolle der Sozialpartner in der österreichischen Innenpolitik wurde zuletzt durch den Bundesparteitag der SPÖ wieder zur Diskussion gestellt. Auch Herbert Kohlmaier, nunmehr geschäftsführender Bundesobmann des ÖAAB, hat sich zu diesem brisanten Thema immer wieder zu Wort gemeldet. In einem Gespräch mit der FURCHE erklärte er, es sei unrichtig, zu glauben, ein Kompromiß der Sozialpartner sei stets „der Weisheit letzter Schluß“. Gleichzeitig erklärte Kohlmaier, daß er die von den Sozialisten im Parlament angepeilte Änderung des Arbeiterkammer-Wahlrechts, wonach etwa 50.000 Angehörigen von Unternehmern das Wählrecht entzogen werden soll, für verfassungswidrig halte. Dafür gebe es richtungweisende Erkenntnisse. Sollte die SPÖ an ihrer Idee festhalten, werde sich der ÖAAB eine Anfechtung der im Juni 1979 fälligen AK-Wahl, die auch als Testwahl für die kurz darauf folgende Nationalratswahl angesehen wird, überlegen.

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FURCHE: Als Sie zum neuen ÖAAB-Obmann designiert wurden, haben Sie sich kritisch zur Sozialpartnerschaft geäußert und gemeint, daß Sie es ablehnten, der Sozialpartnerschaft unkritisch gegenüberzustehen und die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit als Patentlösung und letzte Instanz für alle Lebensbereiche anzuerkennen. Inwiefern stellen Sie die Kompetenz der Sozialpartner in Frage?

KOHLMAIER: Vorweg noch einmal die Klarstellung, daß ich der Sozialpartnerschaft an sich positiv gegenüberstehe, zumal sie eine bewährte Institution ist, Fragen die zwischen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft geklärt werden müssen, auf eine optimale Weise zu lösen. Die kritischen Ansatzpunkte sind vor allem zwei. Erstens: Es dürfte nicht dazu kommen, daß die Sozialpartner zu einer in der Verfassung nicht aufscheinenden aber realen letzten Instanz werden. Das muß man deswegen klarstellen, weü unser demokratischer Rechtsstaat vorsieht, daß alle Autoritäten überprüfbar, kritisierbar und theoretisch auch abberuf bar sind - vor allem durch demokratische Wahlen. Es kann sich jeder Wahlberechtigte durch der» Stihffrizettel gegen politische Entscheidungen, die im Parlament getroffen werden, wehren, nicht aber gegen Sozialpartnerentscheidungen.

Zweitens wäre es unrichtig, zu glauben, daß ein Kompromiß der Sozialpartner - so wertvoll er auch sein mag -der Weisheit letzter Schluß in der Sozialpolitik ist. Vor allem deshalb, weü es heute sehr große Sozialbereiche gibt, die von den traditionellen Interessenvertretungen nicht abgedeckt werden können. Ich verweise hier insbesondere auf den bereits gängigen Begriff der Neuen Sozialen Frage.

FURCHE: Herr Dr. Kohlmaier, Sie waren von 1971 bis 1975 Generalsekretär der Volkspartei - jetzt sind Sie geschäftsführender Bundesobmann des ÖAAB. Wie sehen Sie nun aus Ihrer neuen Position das Verhältnis der einzelnen Bünde, der Teilorganisationen, zur Gesamtpartei?

KOHLMAIER: Ich sehe es heute nicht anders, als ich es als Generalsekretär gesehen habe. Ich bejahe die bündische Struktur der Partei, weil sie Ausdruck der Aufgabenstellung einer sozialen Integrationspartei ist. Ich sehe aber heute wie damals, daß die Partei mehr ist und mehr sein muß als die Summe der Teüorganisationen. Das Verhältnis der Teüorganisationen untereinander aber auch zur Partei hat sich in den letzten Jahren entscheidend gebessert. Das drückt sich unter anderem dadurch aus, daß man jahrelang immer wieder vom Bünde-Streit gesprochen hat, eine Kritik, die heute eigentlich verstummt ist. Ich kann mit großer Befriedigung feststellen, daß es heute eine sehr gute und partnerschaftliche und enge Zusammenarbeit der Bünde in der österreichischen Volkspartei gibt. Das hat sich zuletzt wieder bestätigt in der Verlängerung der Wirtschafts- und Marktordnungsgesetze.

FURCHE: Wenn wir aber die Diskussion um die geforderte Steueranpassung nehmen, in der sich der ÖAAB sehr stark engagiert, stellt sich doch wieder die Frage, ob da nicht der Wirt-schdftsbund anderer Meinung ist?

KOHLMAIER: Der Wirtschaftsbund

hat von Anfang an den Standpunkt des ÖAAB unterstützt, er tut es auch weiterhin. Es gab einzelne Stimmen, die am ehesten dem Bereich der Industriellenvereinigung zuzuordnen waren, die dem ÖAAB in dieser Frage kritisch gegenübergestanden sind. Ich betrachte das aber nicht als bündisches Problem, sondern ich sehe das als Ausdruck des Umstandes, daß gewisse Persönlichkeiten im Bereich der von mir genannten Gruppe die gesellschaftspolitische Tendenz, die in der sozialistischen Vorgangsweise liegt, nicht ausreichend klar sehen oder unterschätzen. FURCHE: Wie sieht es derzeit aus:

Wird der ÖAAB mit seiner Forderung nach Steueranpassung spätestens zum 1. Jänner 1979 durchdringen?

KOHLMAIER: Das liegt in der Hand der Parlamentsmehrheit. Ein Erfolg ist für uns zweifellos, daß sich der ÖGB zu einer sichtbaren Aktion bekennen mußte...

FURCHE: Ist der ÖGB in diesem Zusammenhang als Getriebener des ÖAAB zu sehen...?

KOHLMAIER: Der ÖGB ist hier, soweit es die sozialistische Fraktion betrifft, in einer gewissen Zwickmühle, weil man einerseits den Genossen in der Regierung keine Schwierigkeiten bereiten will, auf der anderen Seite aber deutlich spürt, wie der Unmut in den Betrieben und an der Basis zunimmt, und daß dieser Unmut stärker geworden ist und auch von noch so regierungsfreundlichen SPÖ-Gewerk-schaftern nicht mehr ignoriert werden kann... dazu hat der ÖAAB sicher Entscheidendes beigetragen.

FURCHE: Demnächst soll im Parlament das Arbeiterkammer-Wahlrecht einer Novellierung unterzogen werden. Es ist davon die Rede, daß die Angehörigen der Unternehmer kein Wahlrecht mehr besitzen sollen. Ist dieses Modell nicht verfassungswidrig?

KOHLMAIER: Für mich ist das ein echter Skandal... aus verschiedenen Gründen. Zunächst von der Vorgangsweise her: Seit vielen Jahren werden Arbeiterkammergesetze zwischen den Fraktionen diskutiert und man geht dann mit Einigungen oder Kompromissen an den Gesetzgeber

heran. Das hat man diesmal nicht getan. Es ist also ein echter Überraschungsangriff aus dem Hinterhalt. Ich halte den Ausschluß von etwa 50.000 Arbeitnehmern, die in einer verwandtschaftlichen Beziehung zur Unternehmensführung stehen, von der Arbeiterkammerzugehörigkeit für politisch höchst problematisch, weil man einer großen Gruppe das Recht auf eine überbetriebliche Interessenvertretung nimmt. Man schließt diese Gruppe damit von einem wesentlichen Bestandteü des sozialen Fortschritts aus.

Darüberhinaus bin ich davon überzeugt, daß es sich um eine Verfassungswidrigkeit handelt. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in mehreren richtungweisenden Erkenntnissen entschieden, daß die Diskriminierung von

Angehörigen des Arbeitgebers in sozialrechtlicher Hinsicht unzulässig ist. Vor allem hat der Verfassungsgerichtshof die Ausnahme dieses Kreises aus der

Sozialversicherung, wie sie früher bestanden hat, aufgehoben. Wenn eine Wahl unter diesen Gesichtspunkten durchgeführt wird, würde der ÖAAB seine Konsequenzen unter Umständen so ziehen, daß die Wahl beim Verfassungsgerichtshof angefochten wird, denn immerhin sind 50.000 Stimmen, die nicht abgegeben werden können, doch eine ins Gewicht fallende Größenordnung.

FURCHE: Die Volkspartei hat ein Familienkonzept angekündigt, in dem sie auch die steuerrechtliche Stellung der Familie untersuchen will. In dieser Hinsicht wird auch von steuerrechtlichen Vorteilen zugunsten der außerehelichen Kinder und der Geschiedenen gesprochen.

KOHLMAIER: Es geht darum, daß der oberste Grundsatz der Steuergerechtigkeit, daß'jedermann nach seiner wirtschaftlichen Lage und Leistungsfähigkeit steuerlich eingestuft wird, in eklatanter Weise gebrochen wird: Für uns spielt eben die Frage, ob von einem Einkommen einer oder unter Umständen sieben oder acht Personen leben müssen, eine ganz entscheidende Rolle bei der Beurteüung der wirtschaftlichen Situation des Einkommensempfängers. Für uns ist es ein untragbarer Zustand, daß die Famüiensituation heute in der Besteuerung keine entsprechende Erleichterung auslöst. Darüberhinaus gibt es geradezu groteske Ungereimtheiten: Etwa die, daß Alimentations-leistungen bei nicht intakter Ehe als außergewöhnliche Belastungen steuermildernd wirken, während in der gesunden Familie die Unterhaltsleistung nur sehr unzureichend durch den Al-leinverdienerabsetzbetrag abgegolten wird.

Das Gespräch mit Dr. Herbert Kohlmaier führte Alfred Grinschgl.

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