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Digital In Arbeit

Statt Breite — Tiefe

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Bleibt der österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB) der Problem-Bund unter den VP-Teiloriganisationen? Noch immer fehlt es ihm — sagen seine Kritiker — an Eigenständigkeit,' Unverwechselbarkeit, Durchsetzungsfähigkeit, kurz, an jener Attraktivität, die Wählern klarmachte, daß der ÖAAB tatsächlich eine vernünftige Alternative zum sozialistischen Allein-vertretungsanspruch der Arbeitnehmer ist.

Dafür gibt es viele Gründe, die nur zum geringsten Teil personeller Natur sind. Sie sind vor allem struktureller Art, jedenfalls insofern, als der ÖAAB allein bei einem Teil der im öffentlichen Dienst Beschäftigten präsent und einflußreich ist, die leitenden Angestellten mehr oder weniger kalt läßt, bei den mittleren Angestellten und Facharbeitern als Interessenvertretung nur bedingt

vertreten ist, von der Masse der Arbeiter aber offenbar nicht akzeptiert wird Letzteres liegt nicht an der Qualität des ÖAAB, sondern an der bedingungslosen Treue sozialistischer Stamimwähler, die allen schlechten Erfahrungen in den letzten Jahren zum Trotz glauben, daß sie nur von der SPÖ verstanden und repräsentiert werden.

Die Politik des ÖAAB besteht im allgemeinen darin, den wichtigsten Teil seiner Initiativen und Maßnahmen auf den von ihm dominierten öffentlichen Dienst und auf den von ihm äußerst schlecht besetzten Bereich der Arbeiter zu konzentrieren: das eine, um seine Dominanz zu belegen, das andere, um sein soziales Bemühen zu zeigen. Nur: die politisch große und interessante Gruppe der sozialen „Aufsteiger“ fällt durch den Rost der ÖAAB-Anstrengungen; der Mittelstand unter den Arbeit-

nehmem wird nur unzureichend angesprochen; und es entsteht ein fatales Doppel-Image der Einseitigkeit (öffentlicher Dienst) und der Er-folgsäosigkeiit (Arbeiter) — sagen ÖAAB -Kritker in- und außerhalb der ÖVP.

Mit diesem Image ließe sich keine umfassende und erfolgreiche Arbeit-nehmerpolitiik begründen, weil es zu Maßnahmen und Initiativen verleitet, die von der Masse der unselbständig Erwerbstätigen nicht von vornherein akzeptiert werden: zum unkontrollierten Lizitieren für eine Gruppe, die nicht das höchste Ansehen genießt (öffentlicher Dienst), zum unikontrollierten Lizitieren aber auch für eine soziale Gruppe — eben für die Arbeiter —, die dann das doch nur als bloße Nachahmung der SP-Politik empfindet. Damit aber eckt man genau bei der Gruppe der leitenden Angestellten und dem unselbständigen Mittelstand an, also bei jenen Arbeitnehmern, die für den ÖAAB das große Hoffnungsgebiet sein müßten.

Die Diskussion um die Verlängerung des Urlaubs auf vier Wochen hat die Schwierigkeiten und auch die Fehler der aktuellen ÖAAB-Politik in den Vordergrund gerückt. Diese Forderung wurde noch uniter Karl Schleinzer zum VP-Gemeinguit erhoben, freilich mit der Auflage, daß sie nur unter bestimmten Umständen — eine stabile wirtschaftliche Situation, VolLbeschäftigung usw. — realisiert werden sollte. Zuletzt hatte sich Sozialminister Häuser für diese Maßnahme stark gemacht. Er fand beim ÖGB und bei der Masse der arbeitsplatzunsicheren Arbeitnehmer vor allem deshalb Unterstützung, weil die Ausweitung des Urlaubs-anspruohs mit Arbeiitsplatzsicherung begründet wurde. So unter dem Motto: Der Arbeitsplatz ist umso sicherer, je weniger die Arbeitnehmer in Österreich arbeiten.

Mit derlei ökonomischen Primitiv-Fonmeln ist die britische Wirtschaft schon seit einiger Zeit im Begriff, sich selbst zu erledigen. Als klar wurde, daß die parlamentarische Mehrheitsfrafction die Gesetzesinitia-

tive von Sozialtninister Häuser auch beschließen werde, forderte der ÖAAB die Zustimmung der Gesamt-pantei für diese Maßnahme. So unter dem Motto: die Arbeitnehmer würden den ÖAAB unsozial nennen, wenn er hier nicht mitginge. Zuletzt teilte die Volkspartei nach heftigen Einreden die Auffassung des ÖAAB, der nun einen „späten Sieg“ feiert.

Die Frage ist, ob der ÖAAB nunmehr tatsächlich bei den Arbeitnehmern Attraktivität gewonnen hat. Für das sozialistische Stamm-wählerpublikuim, das den ÖAAB aus sozialpolitischen Motiven nie und nimmer wählen würde, hat der VP-Arbeitnehmerbund letzten Endes nur eine Entscheidung akzeptiert, die die SPÖ ohnedies realisieren wollte. Für einen wichtigen Teil der Arbeitnehmer — eben die mittleren und leitenden Angestellten — kommt diese Maßnahme aus ökonomischen Gründen zur Unzeit Bei ihnen hätte sich wahrscheinlich nur jene Gruppe profilieren können, die der Versuchung des Augenblicks widerstanden hätte. Genau das hat der ÖAAB nicht gewagt, und wohl deshalb keinen Millimeter an Terrain bei den Arbeitnehmern gewonnen.

Der ÖAABHSpitze ist diese Problematik durchaus bewußt. Sie ist nur (noch) nicht bereit, sich und ihren potentiellen Wählern einzugestehen, daß sie daraus Konsequenzen ziehen will, — den politischen Erfolg somit nicht mehr bei der Gesamtheit der Arbeitnehmer suchen möchte, sondern bei wesentlichen und ansprechbaren Gruppen zielgruppenbewußt

agieren will. Jeder Umstieg von der politischen Breite auf die Tiefe ist problematisch, weil mit Verzicht verbunden. Gleichzeitig aber trägt ein solcher Wechsel zur Eigenständigkeit, Unverwechselbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit bei, wenn er mit Geschick und Deutlichkeit vorgenommen wird. Dieser Wechsel wird dem ÖAAB, will er die Straße des Sieges erreichen und darauf marschieren, nicht erspart bleiben. Das Risiko ist verhältnismäßig gering, wenn man berücksichtigt, daß die leitenden Angestellten, die sozialen Aufsteiger und der unselbständige Mittelstand zugleich Meinungs-bildner erster Ordnung sind. Gewerkschaftlich sind sie verhältnismäßig schlecht organisiert, den Ideen der Gleichheit, Vermassung, Leistungsfeindlichkeit und Nivellierung stehen sie aber zumindest skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüber. Sobald der ÖAAB einsieht, daß er in einem Konkurrenzkampf um quantitative Sozialpolitik mit der SPÖ und dem ÖGB von vornherein zum Untergehen verurteilt ist, wird er erkennen, daß seine Chance in der Spezialisierung liegt. Ergreift er diese Chance, so würde ihm das ein Gutteil der Arbeitnehmer, die endlich eine Alternative zur sozialistischen Politik präsentiert hätten, zu danken wissen.

Und vor allem die Volkspartei, die an einem starken, eigenständigen, unverwechselbaren und durchschlagskräftigen ÖAAB interessiert sein müßte.

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