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Digital In Arbeit

Getarntes Vergnügen?

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Daß die zunehmende Arbeitsproduktivität eine Abnahme der Arbeitszeit zugunsten vermehrter Freizeit ermöglicht, wird schon am Beispiel der Arbeitszeitverkürzung deutlich; für das Jahr 1980 prophezeit die Bochumer Ruhr-Universität sogar einen Neunwochenurlaub. Solche Ziffern lassen das Problem einer vernünftigen Freizeitgestaltung wieder einmal in den Mittelpunkt rük-ken, wobei der ÖAAB bereits mit sehr genauen Vorschlägen aufwarten kann.

Fürs erste wird da verlangt: sechs Arbeitstage Bildungsfreistellung pro Jahr für jeden Arbeitnehmer, wobei die Abgeltung dieser Freistellung (da es sich ja nicht um berufliche Weiterbildung handelt) im wesentlichen durch Subventionen der öffentlichen Hand wie auch durch einen geringen Beitrag des Arbeitnehmers selbst erfolgen soll (um Mißbräuchen entgegenzuwirken). Die Möglichkeit einer Finanzierung durch das in Ausarbeitung befindliche Erwachsenenbildungsgesetz wird erwogen, es werden jedoch auch andere Alternativen der Abgeltung genannt.

Die Initiative des ÖAAB kommt nicht von ungefähr, findet sich doch bereits eine grundsätzliche Formulierung in den Plänen der christlichen Arbeitnehmerbewegung aus dem Jahre 1962. Auch innerhalb des österreichischen GewerkschaftsDun-des war es die Fraktion christlicher Gewerkschafter, die dieses Problem wiederholt zur Sprache brachte (letztmals 1971).

Unausgesprochen hängt über der ganzen Diskussion die bange Frage: „Was wird der Mensch mit soviel Freizeit anfangen? — Wird eine vermehrte Freizeit zu einer Verstärkung der „Weil-mir-so-fad-is“-Mentalität führen?

Volkswirtschaftliche Untersuchungen haben ergeben, daß für die meisten Menschen — von einem bestimmten Punkt an — eine Abgeltung von Mehrarbeit in Freizeit attraktiver ist als in barer Münze. In der Folge zeigt sich jedoch, daß vermehrte Freizeit ein gesteigertes Bedürfnis nach sogenannten „Freizeitgütern“ mit sich bringt (etwa Wochenendhäuser, teure Hobbies, die permanente Geldausgaben zur Voraussetzung haben, ausgedehnte Urlaubsreisen). Hier schließt sich dann der Teufelskreis, denn Anschaffungen dieser Art wollen erst einmal verdient werden.

Es wird daher — soll der einzelne nicht schonungslos der Freizeit- und Konsumgüterindustrie ausgeliefert werden — notwendig sein, für die Zukunft an ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitszeit, Bildungszeit und Freizeit im engeren Sinn zu denken.

Skeptiker werden sich fragen, wer sich denn überhaupt weiterbilden will; ob nicht mit der Forderung nach Weiterbildung getarnte Vergnügungsurlaube finanziert werden sollen, da ja an vermehrter Bildung ohnehin nur eine Minderheit Interesse habe.

Ganz ohne jeden Zweifel wird mancher den ihm gewährten (und bezahlten) Bildungsurlaub nicht so nützen, wie sich dies die Befürworter dieses Vorschlages vorstellen. Gar zu viele sind an einer vermehrten Allgemeinbildung, einer intensiveren politischen Bildung und oft auch an einer beruflichen Weiterbildung nicht interessiert.

Es wäre jedoch fatal, hier zu kapitulieren. Gerade hier, so argumentiert ÖAAB-Referent Schwimmer, muß der Hebel angesetzt werden,denn die Zukunft wird den Typ des informierten und gebildeten Arbeitnehmers verlangen; ein Entwicklungsprozeß, mit dem möglichst bald begonnen werden sollte.

Viele Menschen haben heute von der Schule her ein negatives Lernerlebnis, was vor allem auf eine mangelnde Lernmotivation zurückzuführen ist; mit der Bildungsfreistellung jedoch soll gezeigt werden, daß jeder einen Anspruch auf Bildung hat. Der Sechstageblock wird damit gerechtfertigt, daß es heute nicht einmal bei gleitender Arbeitszeit möglich sei, neben dem Beruf intensiv zu lernen.

Und was sagen die Arbeitgebervertreter? Neben verbalen Querschüssen, die zu erwarten waren, zeigte sich vor allem Kammergeneralsekretär Mussil sehr gemäßigt. Seine Absage, daß bis 1975 „nichts drin sei“, deckt sich im übrigen mit den Vorstellungen der Arbeitnehmer, denn bis 1975 wird die österreichische Wirtschaft mit der Arbeitszeitverkürzung beschäftigt sein; eine Belastung, die einen auch nur einwöchigen Bildungsuflaub als unrealistisch erscheinen lassen muß.

I Uber die Zeit nach 1975 wurde jedoch noch nicht gesprochen; ein Zeichen, daß beide Seiten offensichtlich vernünftig und verhandlungsbereit sind, denn auch die Wirtschaft hat mehr von einem mündigen Arbeitnehmer als von einer unmündigen, leicht manipulierbaren Arbeitnehmerschaft.

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