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Digital In Arbeit

Arbeit: Kehrseite der Freizeit - oder mehr?

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„Das bewußte Handeln zur Befriedigung von Bedürfnissen, darüber hinaus als Teil der Daseinserfüllung des Menschen.“ Diese Worte finden sich in der Brockhaus-Enzyklopädie unter dem Stichwort „Arbeit“. Daß Arbeit in erster Linie und fast ausschließlich dem Broterwerb dient, daß immaterielle Ziele wie Daseinserfüllung oder Arbeitsglück (als Gegensatz zu Arbeitsleid) in der Praxis des Alltages so gut wie gar nicht existent sind, diesen Eindruck kann man angesichts der arbeitsteiligen, uniformierten und anonymen Produktionsweise des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht verwischen.

In engem Zusammenhang mit dieser Entfremdung vom Arbeitsprozeß ist aber auch eine gewisse Entfremdung der Freizeit gegenüber zu sehen. Überspitzt ausgedrückt, könnte man sagen, daß eine fortwährende Reduktion der Arbeitszeit unter gleichzeitiger Hinaufsetzung der Entlohnung in erster Linie das Ziel verfolge, die Freizeit und das für die „Bewältigung“ der Freizeit verfügbare Einkommen zu maximieren. Daß die sozialistische Gewerkschafts-Ideologie, die die Arbeit auch als täglichen Kampf gegen die (die Produktionsmittel) „besitzende Klasse“ ansieht, auch ein gewisses Maß an Verantwortung für die schroffe Teilung in Arbeitsleid und Freizeit-Freud’ trägt, ist nicht zu leugnen.

Ob es die jüngste Forderung der Beamten nach Senkung des Pensionsalters auf 55 Jahre, ob es der Wunsch des linken Flügels der SPÖ nach Umkehrung der Entlohnungspyramide zugunsten der Berufe mit hohem Arbeitsleid oder ob es die alle Jahre neu aufgelegte Lohnrunde ist: All diese Probleme haben gemeinsam, daß es um eine ständige Neu- und Umwertung des Produktionsfaktors Arbeit im Verhältnis zu den anderen Produktionsfaktoren und sonstigen Bedürfnissen der Menschen geht. Meist stehen materielle Aspekte im Vordergrund, wobei man manchmal das Wörtchen Vordergrund auch mit „F“ schreiben könnte. Die immaterielle Dimension von Arbeit und Freizeit, nicht in „Schilling“ oder „Stunden“ faßbare Kriterien gehen zumeist völlig unter.

Daß Arbeit nicht nur ein Mittel zur Existenzsicherung ist, „sondern auch eine elementare Lebensäußerung des Menschen“ darstellt, schreibt auch Heinrich Hamm in „Arbeit-Ethik- Menschenrecht“ (erschienen im Lahn-Verlag, Limburg). Der Autor zeigt in der genannten Publikation auch die Deutung der Arbeit aus der Sicht der Katholischen Soziallehre in eindrucksvoller Weise auf. In der Pa- storalkonstitution „Gaudium et spes“ wird der Sinn der Arbeit in drei Punkten dargestellt:

• Mit der Arbeit bestreitet der

Mensch gewöhnlich seinen und seiner Angehörigen Lebensunterhalt;

• mit ihr verbindet er sich mit seinen Brüdern und dient ihnen; vermag er echte Liebe zu üben und für weitere Ausgestaltung der göttlichen Schöpfung seine Mitarbeit anzubieten.

• Ja, wir meinen sogar, daß der Mensch durch seine Gott dargebrachte Arbeit sich verbindet mit dem Erlösungswerk Jesu Christi selbst.

Lebensunterhalt, soziale Kommunikation und Nachfolge Christi sind also nach Ansicht der Konzilsväter die Sinngebung für die Arbeit des Christen. Aus solchen natürlichen und übernatürlichen Motivationen erwächst „für einen jeden die Pflicht zu treuer Arbeitsleistung und auch das Recht auf Arbeit“. Das Recht auf Arbeit wird in „Gaudium et spes“ auch aus der Würde des Menschen gefolgert und als eines der Güter gefordert, die zu einem wirklich menschlichen Leben notwendig sind.

In der mit dieser Nummer beginnenden Serie zum Thema ,Arbeitsleid-Freizeitfreud’“ versucht die FURCHE, von verschiedenen Warten den einen oder anderen erhellenden Lichtkegel auf das Thema zu richten. Beispielhaft seien einige Funkte und Fragen aufgezeigt, die im Rahmen dieser Serie einer Betrachtung unterzogen werden sollen:

Arbeitsleid: Die industrielle Fließbandarbeit führt zu Streß und psychischen Erkrankungen, zu Unzufriedenheit und Aggression. Kann die Organisation der industriellen Produktion, aber auch der Arbeit in den sogenannten Dienstleistungsberufen einer Neukonzeption unterzogen werden? Ist es möglich, Arbeit so zu konzipieren, daß der einzelne Arbeitnehmer nicht nur nach Geld und Freizeit, sondern auch nach Erfüllung am Arbeitsplatz verlangt? Ist es zu ändern, daß manuelle Tätigkeiten ein geringeres Sozialprestige einbringen als geistige, und wird eine solche Änderung überhaupt gewünscht?

Arbeitsplatzpolitik: Warum hat dieses Thema fast ausschließlich eine ökonomische Komponente, kaum eine soziale? Ob Frauen arbeiten sollen oder nicht, wird von den zuständigen Politikern (zuletzt Weissenberg) nach der jeweiligen Arbeitsmarktlage beurteilt. Ähnliches geschieht mit der Jugend und mit den Gastarbeitern.

Arbeitsrhythmus: Warum richtet

Photo: usis sich dęr Rhythmus der Arbeit nach starren Organisations-Prinzipien? Warum müssen Arbeitnehmer in einem Büro zur gleichen Minute die Arbeit aufnehmen, zur gleichen Minute den Schreibtisch verlassen? Warum müssen selbst Leistungswillige und -fähige zu einer vom Gesetzgeber diktierten Zeit in Pension gehen? Warum gibt es nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit, die wöchentliche Arbeitszeit je nach finanziellen Ansprüchen zu variieren? Warum geht in der Ladenschlußfrage, in der gleitenden Arbeitszeit nichts weiter?

Freizeit: Warum wird Freizeit grundsätzlich als Komplementärbegriff zur Arbeit aufgefaßt? Ist Freizeit nicht mehr als nur Nicht-Arbeit? Warum sieht niemand ein, daß unschöpferische Arbeitsprozesse auch dazu erziehen, selbst in der Freizeit eine rein passive Rolle zu spielen? Sind die Versuche auf dem Gebiet der „Animation“ nicht bereits Beweis genug, daß die Menschen völlig unfähig sind, ihre Freizeit in sinnerfüllter Form zu gestalten?

Schließlich sollte auch an die Schulen, an die Jugendorganisationen und an andere Institutionen die Frage gerichtet werden, was-sie zu tun gedenken, das Zweigespann Arbeit und Freizeit, das als Einheit zu verstehen ist, wieder in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen.

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