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Der gesellschaftliche Trend

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Im Ergebnis können wir für die pluralistische Gesellschaft den Aufstieg eines neuen Mittelstandes, „Stand“ mit Vorbehalt gebraucht, konstatieren. Das Leitbild dieser industriellen Gesellschaft ist „bürgerlich“ geprägt geblieben mit dem Unterschied, daß der bevölkerungsreiche Kern unseres Gesellschaftsgefüges diese Züge angenommen hat und keine klare Abgrenzung zu den Randschichten sowohl nach oben als auch nach unten mehr besteht.

Ohne nähere statistische Untersuchungen zur Begründung heranziehen zu können, läßt sich der gegenwärtige gesellschaftliche Trend in groben Zügen etwa folgend charakterisieren :

„Arbeiterschaft“ und „Arbeitermilieu“ überhaupt sind im Abbau begriffene soziologische Restbegriffe, mit nur noch sehr teilweiser Aussagekraft: für die ältere Generation, in bestimmten politischen Situationen; manche Konsumhaltung und Einstellung zur Bildung wirkt hier noch „arbeiter“-typisch nach.

Der Trend des Begriffes Arbeiter geht hin auf „labourers“, Hilfsarbeiter, und auf „the poor“. Eine solche Schicht, in etwa zehn Prozent der Bevölkerung, setzt sich auch ab.

Ebenso bildet sich nach oben eine noch kleinere Schichte als Oberschicht.

Der einstige Mittelstand hat starken Zug von unten, wird „aufgeschichtet“' und stellt das Gros der Bevölkerung dar, über die Hälfte bis zwei Drittel! An dessen Rändern stehen wieder die gehobenere Mittelschicht und die Unterschichtler.

Aus alldem können wir einen offensichtlichen gesellschaftlichen Gesundungsprozeß erkennen! Wir erleben eine gesellschaftliche Integration zur Mitte hin. Die Arbeiter sind nicht mehr „draußen“, sie haben sich die égalité mit dem Bürgertum von einst erkämpft, während gleichzeitig ein gewisser Differenzierungsprozeß wieder eingetreten ist, ohne eine wesentlich neue gesellschaftliche Gruppe als Klasse in die Herrschaftsposition zu heben. Wir haben zur Klassenalternative der Gesellschaft nicht die ebenfalls unnatürliche Massengesellschaft, sondern die schichtenspezifisch gegliederte. darin ist die brüderliche Gesellschaft zu sehen. Von der égalité zur fraternité! Von der nach Herrschaftsklassen gespaltenen Gesellschaft zur sozialintegrierten, im Idealbild freilich erst der Entwick-

lung gesprochen. Das muß aber Folgerungen für die Seelsorge der Kirche heute haben!

Kirche für alle Menschen

• Halten wir fest: es gibt noch eine spezifische Arbeiterseelsorge, man sollte sie nur nicht viel als gnädige Hinwendung der Kirche zu den „armen, glaubensschwachen, einst verhetzten Arbeitern“ deklarieren, nicht viel davon reden, mehr tun! Gemeint ist Seelsorge als umfassende Heilsorge und Kirchen-,

Reich-Gottes-Bildung in den Kreisen der manuell Berufstätigen insbesondere. Deren Arbeitsleid — ein wichtiges Anliegen moderner Sozialreform! — hat Rückwirkungen auf ihre religiöse „Ansprechbarkeit“ und Existenz. Seelsorge an den sozial schwachen Gruppen, oft heute auch ident mit Gruppen im Bildungsrückstand. Seelsorge an den durch histo- risch-ideologisch-politische Vorgänge Entfremdeten. Dazu ist Milieukenntnis und -liebe zu diesen Menschen sicher sehr wichtig seitens des

Klerus und führender Laien in der Katholischen Aktion. Wir haben

Jahre in akademischer Umwelt gelebt, warum sollen wir nicht wenigstens ein paar Wochen einen Betrieb von innen erlebt haben und viel in die Quartiere der einfachen Leute gehen? Alle, und natürlich auch dann die spezialisierten Priester und Apostel um so mehr. Eine wichtige atmosphärische Voraussetzung wird es sein müssen, daß die Kirche ohne porteipolitisches Engagement bleibt.

Unter diesem Gesichtspunkt wird sowohl spezialisierte Seelsorge nötig sein, als auch die entsprechende Haltung der Gesamtkirche, die jeden Anschein eines Bündnisses zwischen „Thron und Altar“ meiden muß. Sie muß Kirche des einfachen Volkes vor allem sein, um Kirche für alle sein zu können. Dienen, nicht „klerikal“ herrschen, beseligen, nicht in erster Linie verdammen!

Spezialisierte Seelsorge

• Der Hauptstoß seelsorglicher Bemühungen im Sinne einer modernen Arbeiterseelsorge muß sich auf den Menschen der industriellen Gesellschaft richten! Wie es das Arbeitergefühl von einst nur noch in Resten und situationsbedingt manchmal gibt, so auch den Bauern und Bürger von einst nicht mehr! Die Hauptrich tung unserer Seelsorge ist aber entgegen der Entwicklung auf das noch praktizierend gebliebene „Kleinbürgertum“ in Stadt und Dorf gerichtet geblieben. Das drückt sich im ganzen religiösen Gefühl unserer Gemeinden und ihrer Hirten, unseres pfarrlichen Lebens, aus.

• Die Seelsorge in der pluralistisch ausgeprägten Industriegesellschaft darf an den modernen wirtschaftlich betonten Verbandsbildungen und an den Interessenbildungen im Freizeitraum des modernen Menschen nicht vorbeisehen. Adäquat zu diesen oft ein und denselben Menschen verschieden prägenden Bindungen in Beruf, Familie und Freizeit bedarf die moderne Seelsorge in der Industriegesellschaft der apostolisch seelsorglichen Interessenbildungen. Hier liegt die Aufgabe spezialisierter Katholischer Aktion und des katholischen Verbandswesens, sehr gegliedert, beweglich, aber immer aus dem Gesamten der Kirche, ihres wesenhaften (nicht verorganisierten!) Apostolats und ihrer Seelsorge herauskommend. Es werden sich bei solcher Schau auch die nicht unberechtigten Klagen mancher Kreise, ob Akademiker oder anderer Berufsgruppen. „Bürgerliche“ oder „Arbeiter“, über seelsorgliche Vernachlässigung erübrigen! Hierher gehörte das so wichtige Kapitel der Elitebildung für die Gesellschaft und in allen ihren Bereichen!

Auf dem Weg über die „Arbeiterseelsorge“ scheinen wir zu einer von den Erfordernissen der industriellen Gesellschaft bestimmten Gesamt- pastoral heranzukommen. Eine Gesamtseelsorge, die alle speziellen Notwendigkeiten einschließen muß. Eine Gesamtseelsorge, die der Kirche als Ganzes unter allen Gruppen Ansehen verschafft, weil sie Volkskirche sein kann und nicht klassenbeschränkte Heilanstalt.

Die daraus ebenso folgende Freiheit im katholisch organisierten Bereich heißt damit nicht: laßt tausend Blumen blüh’n ... Sie heißt tausend Schritte machen und Wege gehen, um allen Heil zu bringen. Zum einzelnen gehen, wie im großen hinwieder das Ansehen der Kirche heben, heißt das. Dabei brauchen wir uns nicht auf eine Methode oder eine spezifische „Heilsbewegung“ festzulegen. So sollte modern verstandene Arbeiterseelsorge als Industrieseelsorge mithelfen, den Großraum für Gottes Ehre und der Menschen Heil zu bereiten und selbst die vielen „tausend Schritte“ zum Menschen von heute auf allen Wegen zu gehen versuchen.

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