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Weg der modernen Seelsorge

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Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: unsere Seelsorge braucht für die Meisterung der zweiten'Nachkriegszeit neue Gedanken und Methoden! Wir sind vorerst über das religiös-sittliche Ergebnis der Verfolgungs- und Bewährungsjahre enttäuscht und betroffen; deren seelische Auswirkung in den breiten Volksschichten war offensichtlich nicht erschütternd genug, um die Verflachung und Gleichgültigkeit aufzulockern. Auch seit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus ist es noch wenig gelungen, größere Bestände der Abseitsstehenden pastoral zu reaktivieren, und in die religiös-lethargischen Massen hineinzuwirken. Man bekommt mitunter sogar das schmerzliche Gefühl verpaßter Gelegenheiten für den kirchlichen Bereich. Viele Seelsorger sind in all der Überlastung und Befragung der letzten Jahre denn doch müde und vielleicht sogar unsicher geworden. Wenn der allgemeine Schock der Nachkriegszeit abgeklungen ist, wird es zweifellos wieder zahlreiche Einzelbemühungen setzen, um —' über die Alltagssorgen hinausreichend — die neuen Aufgaben in der Seelsorge zielbewußter zu meistern. Aber diese Versuche werden einen Antrieb, eine Ermunterung und Anleitung brauchen, um zeitgeredit in Schwung zu kommen und in einer guten Linie der Erfahrung und Weisheit zu bleiben. Dafür könnte uns die pastorale Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg bedeutsame Anregungen vermitteln.

Sdion im August 1919 veranstaltete die Zentralstelle des Katholischen Volksbundes in Wien einen Kleruskurs, bei dem Dr. Karl Rudolf — damals Subregens am Priesterseminar — über „Die Methoden der modernen Seelsorge“ referierte. Er forderte: Mehr Spezialisierung gegenüber den Notständen — eine stärkere Intensivierung in unseren Bemühungen —, planmäßigere Zusammenfassung und Dirigierung der praktischen Arbeiten in der neuen Seelsorge. Die damit entfachte Diskussion wurde systematisch weitergeführt in monatlichen Sprechabenden, zu denen sich die aufgeschlossensten Wiener Geistlichen bei Prälat Handloß versammelten, und gipfelte zunächst in der großen Wiener Priestertagung zu Weihnachten 1923. In deren Folge konnte 1924 mit der Herausgabe derZeitschrift „Der S c e 1 s o r g e r“ begonnen werden, ohne welche die seelsorg-liche Bewegung seither nicht zu denken wäre. Noch wichtiger wurde die Bildung einer kleinen Priester- Arbeitsgemeinschaft unter Vorsitz von Kardinal Piffl. Zur systematischeren Förderung aller modernen pastoralen Bemühungen kam es im Mai 1931 schließlich zur Gründung des Seelsorge-Instituts.

Bezeichnend für Geist und Zielsetzung desselben ist das Gründungs-Flugblatt, in dem es unter anderem heißt: „Die Seelsorge greift auf keinem Gebiete, auch vielfach auf dem Lande nicht mehr, wirklich durch; sie ist kaum noch irgendw;o, wie es sein sollte, auf Eroberung eingestellt... Es sind Verhältnisse herangereift, denen wir mit unserer bisherigen Einstellung und unseren bisherigen Methoden einfach nicht mehr gewachsen “sind ... Unsere Arbeit geht vielfach immer noch von Voraussetzungen aus, die nicht mehr vorhanden sind, und übersieht auch nicht wenige Möglichkeiten, die in der neuen Zeit für sie gegeben wären . . . Die Erfahrungen aber sollen zusammenfließen, weiterverarbeitet und so weitergegeben werden ... Es sind folgende Aufgaben gestellt: die Verhältnisse gründlich und allseitig zu studieren; die Ergebnisse dieser Studien der praktischen Seelsorge zur Verfügung zu stellen; für die Bereitstellung der notwendigen praktischen Hilfsmittel und Einrichtungen Sorge zu tragen.

Zahllos sind die Anregungen und Einrichtungen des Seelsorge-Instituts seither geworden: in der religiösen Kultur, in der theologischen Wissenschaft und Verkündigung, in Tagungen und Veröffentlichungen, in Lithurgie und Bibelarbeit, im Exerzitienwerk und in der Helferschulung, im Laienapostolat und in der hauptamtlichen Seelsorgehilfe, in den Zweigen der Standes-seelsorge in der Pfarrcaritas und Förderung der caritativen Orden, im Krankenwerk und Blindenapostolat, in der Dorfseelsorge usw. Dabei wurde eine — im Zeitalter der Yereinszentralen drohende — Zersplitterung stets glücklich vermieden, weil als Organisationseinheit die von Heinrich Swoboda

postulierte Pfarrgemeinde konsequent ernst genommen wurde, so daß die reichliche Differenzierung der jüngeren Seelsorge hierzulande-immer -ihren - Mittelpunkt behielt. Kanonikus Dr. Rudolf — der in diesen Tagen (22. November) sein 60. Lebensjahr vollendet — hat eine historische Bestätigung seiner Linienführung erlebt, als in der Verfolguiigirzeit fast alle Bischöfe des deutschsprachigen Bereiches ihre Pastoralbemühungen in den Seelsorgeämtern nach dem Vorbild Wiens zusammenfaßten und ausbauten, so daß sie allen Erschütterungen und Zugriffen standhielten. Das Seelsorge-Institut, später Seelsorgeamt Wien, hat weit über unsere Landesgrenzen hinaus wahrhaft Schule gemacht, und mehr und mehr richten sich seinen Anregungen wieder ungezählte Seelsorger aus allen Gegenden zu.

Wohin wird der neue Weg der Seelsorge führen? Die Grundiorderung von Heinrich Swoboda nach der Kleinpfarre bleibt natürlich bestehen. Kardinal Innitzer hat für Wien durch die zahlreichen Aufteilungen und Neuerrichtungen von Pfarren der hiesigen Seelsorge Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt, an denen sie sonst hätte scheitern müssen. Aber gerade die letzten Volksmissionen, die im Oktober 1946 für ganz Otta-kring gehalten wurden, haben gezeigt, dafl — neben weiterer Aufgliederung der restlichen Großpfarren — nun vor allem ein neue Intensivierung der Normalseelsorge nottut. Zu den organisatorischen Aufgaben treten damit verstärkt die psycboW :?ohen Anliegen, über deren Lagerung und Meisterung zweifellos noch vielfältigste Unklarheit herrscht. Schiri spüren wir allenthalben, wie sich die erste Phase jeder Nachkriegszeit — der Schock, die „Pause“ — lockert und die zweite Phase, die der inneren Auseinandersetzungen, beginnt, die dann die eigentlichen Entscheidungen vorbereitet. Unruhige Monate und Jahre stehen auch der Seelsorge erst noch bevor, das Ringen um die Beelen hebt neu an. Gewiß vollziehen si-h d:e GroßeriVscheidiih-gen im seelischen Bereich elementar, aber deswegen verlieren die ko*ikreten Fin/'lbe-mühungen der Seelsorge nicht ihren Sinn und Wert.

Die Programmitik der genannten Gründungsurkunde des Seelsorge-Instituts hat inzwischen an Wucht und Aktualität nichts eingebüßt, aber das Gewicht der Erfahrung und Bewährung gewonnen. Das Erlebnis der in Christus .zute'lgewordenen Heilswirklichkeit muß im Priester so echt, und die Begründung des Sendungsbewußtseins so tief sein, daß sich die verantwortungsbewußt und opferbereite Aufgeschlossenheit auch in den Anforderungen der weiteren Jahre offenbart. In uns muß die Frage bohren, wie auch unsere Zeit und unser Volk inmitten einet einmaligen geschichtlichen Situation zu der. Quellen des Heiles hingeführt werden kann. Wir bleiben in einer ganz großen, warmen Liebe zu unserm armen Volk und in einem unbeirrbaren Glauben an die Sendung Österreichs, an seine Werte und seine Menschen, an seine Würde und an seinen Herzensadel, an seine religiöse Seele und auch an seine unzerstörbare Christlichkeit!

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