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Vier kritische Stellen

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Man hört bisweilen in programmatischen Reden, oder liest in Veröffentlichungen, die die Katholische Aktion betreffen, Sätze, die eine zu weit gehende, unrichtige Abwertung der Tradition zum Ausdruck bringen. So wenn behauptet wird: „Versuche, die Bewegungen von einst wiederzuerwecken, können höchstens Traditionsvereine ohne wirkliche Stoßkraft hervorbringen“, oder wenn im gleichen Zusammenhang ohne jede Enschränkung von „verstocktem Traditionalismus" die Rede ist. Es kann ohne Zweifel zwischen einer sich für fortschrittlich haltenden Meinung — nicht alles, was sich für Fortschritt hält, ist echter Fortschritt — und der konservativen Meinung unterschieden werden. Es können auch Meinungsverschiedenheiten geäußert und Fehler kritisiert werden. Aber so stark pointierte Äußerungen erwecken, besonders wenn sie an einen demagogischen Ton anklingen, zu leicht den Eindruck, als ob hier die sich für fortschrittlicher haltende Meinung allein bestimmen und jede freimütige Auseinandersetzung zum Verstummen bringen möchte. Außerdem könnte eine derartige Abwertung der

Tradition, weitergedacht, zu einer bedenklichen Haltung, auch gegenüber unantastbaren Traditionen führen, was ja doch niemand bei uns wollte.

Aus manchen Äußerungen könnte ferner zu leicht ein totalitärer Füh- rungsanspruch herausgelesen oder -gehört werden, durch den sich die von der Kirche gleicherweise gewünschte private Initiative getroffen fühlen müßte. Tatsächlich warnen heute Klerus und Laienkreise vor einer Überbewertung und Überwucherung der kirchlichen Zentralen. Bei aller Notwendigkeit einer größeren Straffheit und Lenkung von oben muß man sich auch der Gefahren bewußt bleiben, die in einem überbetonten Zentralismus für die Seelsorge liegen. Keineswegs sollen dadurch die Leistungen der kirchlichen Zentralen geschmälert, noch deren Notwendigkeit bezweifelt werden. Doch scheint es an der Zeit zu sein, daß man sich auch über die Grenzen der zentralen Arbeit klar wird. Gleich wie anderswo, gilt auch in der Kirche das Gesetz des organischen Aufbaues, der sich von unten nach oben vollzieht, der bei der kleinen Zelle beginnt und sich auf den

ganzen Organismus auswirkt. Die innere Enthaltung der Pfarrseelsorge darf ebensowenig wie die private Initiative einzelner oder kirchlicher Gemeinschaften durch eine Überbetonung der zentralen Strategie gefährdet oder gelähmt werden, sie müssen vielmehr von oben her

durch eine kluge, helfende und fördernde Lenkung geweckt und gestützt werden.

Gefährlich könnte auch die Überbetonung des Aktivismus in der Seelsorge werden, die wir aus folgender Formulierung herauslesen: „Charakteristisch für die Katholische Aktion ist nicht die Formel: Heiligung und Apostolat, sondern Heiligung durch das! Apostolat." Aus dieser scharf akzentuierten Gegenüberstellung muß man beinahe herauslesen, daß die Heiligung nicht am Anfang des Apostolats stehen müsse, daß Gebet und Innenleben nicht das Primäre des christlichen Lebens seien, daß man schließlich auch ohne Erziehung zu einem echten Innenleben den Geist des Apostolats erlangen könne. Besteht nicht vielmehr die Gefahr, daß man Apostolat ohne echtes Innenleben auszuüben versucht, als daß man im Innenleben steckenbleibt? Pius XII. spricht in dem großen Priesterrundschreiben „Menti nostrae von der „Häresie des Aktivismus"? Im Reiche der Gnade genügt nicht Technik und Routine, sondern nur der innere, sorgsam gepflegte Geist des Apostolats.

In diesem Zusammenhang sei auf eine vierte Gefahr der sonst überaus hoffnungsvollen Entwicklung der Seelsorge hingewiesen: Das religiöse Bildungswesen hat nach 1945 eine wahre Blütezeit erlebt. Die Bildungswerke

der Katholischen Aktion, das Theologische Laienjahr, durch seine Fernkurse heute in ganz Österreich tätig, die Katholische Akademie in Wien, vermitteln einem nicht geringen Prozentsatz der Katholiken ein vertieftes, systematisches religiöses Wissen und bringen aktuelle katholische Fragen auch an breitere Kreise der Bevölkerung heran. Auch in diesen Werken begrüßen wir einen beachtenswerten Fortschritt der Seelsorge. Doch erweckt die Überfülle derartiger Veranstaltungen namentlich ki Wien bisweilen die Besorgnis, daß nicht nur die Seelsorge und die Seelsorger, sondern auch die Laien durch ein Zuviel überlastet werden. Besteht nicht auch die Gefahr, daß der Schwerpunkt der christlichen Verkündigung zu sehr von der Kanzel, ihrem ursprünglichen Ort, in den Vortrags- und Hörsaal verlagert wird, und daß an die Stelle der christlichen Gesamtbildung eine zu einseitige Wissensbildung tritt?

Das Kernproblem der Seelsorge bleibt ganz besonders in Österreich das Wort des Herrn: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige" (Lc 10, 2). Nicht nur die ordentliche Seelsorge in den einzelnen Seelsorgsgemeinden, auch die außerordentliche Seelsorge in der Katholischen Aktion braucht vor allem Priester und Seelsorger, solche, die Laien zu Aposteln formen können. Und die Zahl dieser Seelsorger ist viel zu gering. Sind doch schon nicht wenige Seelsorgestellen der ordentlichen Seelsorge unbesetzt,

Klöster, die zu den ältesten religiösen Kulturstätten der Heimat gehören, leiden Not an Menschen. Alle jene, die sich Sorgen um die Kirche machen, die sich zum Katholikentag Gedanken über den Fortschritt der Seelsorge machen, mögen nicht vergessen, daß dieses Problem das brennendste Problem der Seelsorge in Österreich ist. Wo immer die Gründe

des Mangels an Priester- und Ordensberufen liegen mögen, diese Sorge bleibt das Herzensanliegen aller jener, die sich in die Reihen der Katholischen Aktion stellen.

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