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Das Jubiläum als Verpflichtung

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Am 29. November jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag des großen Bischofs Rudigier (1853 bis 84). Ein Datum, das nicht nur den offiziellen Auftakt zum 200-Jahr-Jubiläum gibt, sondern auch ein Anlaß ist, die langfristigen Linien der pastoralen und geistigen Entwicklungen in den Blick zu bekommen.

Eine über hundertjährige Distanz zur Zeit Bischof Rudigiers läßt uns heute die wichtigsten Entscheidungen seines Bischofsamtes im Lichte ihrer langfristigen Folgen beurteilen und gibt uns den Blick frei für jene Entscheidungen, die heute zu treffen sind im Hinblick auf künftige Perspektiven.

Das wahrscheinlich größte Werk Bischof Rudigiers war — so seltsam sich das zunächst anhören mag — der Bau des Linzer Maria-Empfängnis-Domes. Damit ist nicht das Bauwerk gemeint, das wegen seiner Größe und Konzeption durchaus respektabel ist, sondern das geistige Anliegen, das im Dombau die Diözesanwer-dung der jungen Diözese ermöglichte auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens, der in der Glaubensgestalt der „Mutter des Herrn und der Schwester im Glauben" zum Ausdruck kam.

Eine andere Tat Rudigiers hat die Entwicklung der Diözese eberiso entscheidend geprägt: Der Aufbau der katholischen Presse und die Organisierung der Laien. Durch den Aufbau der katholischen Presse und die Sammlung, Bildung und Motivierung der Laien wurde verhindert, daß der Glaube zur Privatsache oder zur Angelegenheit kircheninterner Bereiche wurde.

Auch der Kampf gegen den Liberalismus und gegen die Ubermacht des Staates ist, so sehr vieles der damaligen Situation entsprang, ein Signal, das über die Zeitsituation hinausdeutet: Die Kirche darf sich nicht vom Staat vereinnahmen lassen, sie hat eigenständige Aufgaben, die nur in Freiheit verwirklicht werden können. Andererseits braucht die Kirche den Staat als fairen und wohlwollenden Partner.

Wenn die Diözese Linz auf diese ihre bewußtgemachten Wurzeln aus Anlaß des 100. Todestages ihres großen Bischofs zurückblickt, erhebt sich die Frage nach den heutigen notwendigen Entscheidungen, die vor dem nächsten Jahrhundert bestehen können.

Im Zusammenhang mit dem Diözesanjubiläum wurde der Weitergabe des Glaubens Vorrang gegeben. Die heutige Situation ist gekennzeichnet von einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die die Kirche weder fördert noch bekämpft, der Glaube an Gott wird nicht behindert, aber es wird einfach von der Tatsache der Nähe des lebendigen Gottes abgesehen. Vielleicht ist seit der Christianisierung zum ersten Mal die Situation gegeben, daß christlicher Glaube weder bekämpft noch gefördert wird. Der Christ als solcher und die Gemeinden sind auf sich selbst gestellt und haben keine Abstützung durch die Gesellschaft.

Das aber dürfte die gegebene Realität für die Zukunft sein. Die Konsequenz daraus ist nicht nur das Bemühen um eine wirksame Katechese, also Weitergabe des Glaubens an die einzelnen, damit diese als selbständige und mündige Christen lebeh können, sondern vor allem die Sorge um die Beheimatung der einzelnen Gläubigen in tragenden Gemeinschaften, denn ohne soziale Abstützung kann der einzelne gläubige Christ auf Dauer kaum bestehen. Das Stichwort „Hauskirche" soll hier stellvertretend für verschiedenste Runden und Gemeinschaften stehen, die zusammen eine Gemeinde lebendig machen. Auch der Zusammenhang zur Diözese und Weltkirche ist dabei unerläßlich.

Eine zweite wichtige Feststellung: Die Gemeinde der sogenannten praktizierenden Christen ist nicht gleichzusetzen mit der Zahl der Glaubenden selbst. Die „Praktizierenden" müssen den Kontakt und die Gemeinschaft zu den mehr oder minder distanzierten Christen suchen, um Beziehung zu stiften, Informationen zu transportieren, Gesprächspartner und, wenn nötig, Helfer zu sein. Das aber ist nur realisierbar, wenn die „Laienchristen" die Zukunft der Kirche entscheidend mittragen; die Motivierung und Heranbildung von Mitarbeitern in großer Zahl in der

Katholischen Aktion und anderen apostolischen Gruppierungen ist deshalb die zweite Option im Jubiläumsjahr der Diözese Linz. Das Wort von Kardinal Basil Hu-me, „daß die Evangelisierung Europas in die Hände der Laien gelegt sei", gilt auch für uns.

Schließlich müßte die Entscheidung Rudigiers, die christliche Weltgestaltung und Weltverantwortung zu versuchen, neu realisiert werden. Auch in dieser Frage vertrauen wir auf das Laienapo-stolat, auf die Katholische Aktion und die laienapostolischen Gruppen und ebenso auf die katholische Presse und die Möglichkeiten der neuen Medien.

Darüber hinaus aber gilt es die pastoralen Strukturen zu ergänzen. Die bisher ausreichenden Pfarrstrukturen reichen für eine zeitgemäße heutige Pastoral nicht mehr aus. Die Pfarren bleiben zwar weiterhin zusammen mit christlichen Familien die wichtigsten Träger der Seelsorge, sie müssen aber ergänzt werden durch ein Netz von Betriebsseel-sorgeeinrichtungen in den Industriegebieten und durch regionale Zentren, die als spirituelle und bildnerische Einrichtungen in die jeweilige Region hineinwirken.

Zur Zeit Rudigiers gab es einen ähnlich spürbaren Priestermangel wie heute. Damals konnte dieses Problem durch intensive Seelsorge gelöst werden. Aber der gegenwärtige Priestermangel scheint von struktureller Art und langdauernder Natur zu sein. Das heißt, daß neben intensiver Seelsorge, die für die Entfaltung der geistlichen Berufe unerläßlich ist, neue personelle Ausstattungen auf Dauer notwendig sind. Aus diesem Grund wird zunächst bis 1990 die Zahl der bisher bestehenden Dienstposten für Laien im seelsorglichen Dienst auf etwa hundert erhöht. Das aber kann nur ein Anfang sein, wenn die künftige personelle Versorgung der Seelsorge verantwortbar geregelt werden soll. Besonders im Bereich der Jugendseelsorge ist ein qualitativ und quantitativ verstärkter personeller Einsatz nötig.

Das Motto des Diözesanjubi-läums „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt. 28,20) macht deutlich, daß wir bei allen notwendigen Entscheidungen auf den vertrauen, der letztlich seine Kirche führt und trägt.

Monsienore Josef Wiener leitet das Pastoralamt der Diözese Linz.

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