"Ich lebe nicht als Sonderling"

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Nur noch eineinhalb Jahre hat der Grazer Bischof Johann Weber an der Spitze der Diözese vor sich. Dennoch startet er mit dem "Prozess 2010" seine Ortskirche noch einmal durch - Hoffnung und Engagement gegen dieernüchternden (Priester-)Zahlen.

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Nur noch eineinhalb Jahre hat der Grazer Bischof Johann Weber an der Spitze der Diözese vor sich. Dennoch startet er mit dem "Prozess 2010" seine Ortskirche noch einmal durch - Hoffnung und Engagement gegen dieernüchternden (Priester-)Zahlen.

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Geistliche Berufe sind unentbehrlich. Die Zahl jener können wir nicht bestimmen, aber wir können einiges für ein gutes Klima tun." Das betonte der steirische Diözesanbischof Johann Weber gleich zu Beginn eines Gesprächsabends mit Journalisten vergangene Woche.

Damit wurde in stimmungsvollem Adventambiente eine Gesprächsreihe zum Thema geistliche Berufe im Grazer Priesterseminar eröffnet: Das kommende Jahr wurde von den österreichischen Bischöfen zum "Jahr der Berufung" erklärt. Auch in der Diözese Graz-Seckau will man da, so Weber, verstärkt den Blick hinlenken "auf jene bedeutsame Gruppe im Land, die dran ist an den tiefsten Fragen und Antworten des Lebens". Gemeint sind jene Frauen und Männer, die als Priester, Ordensleute oder ständige Diakone Dienst in der Kirche und am Menschen tun.

Die Fakten sprechen in diesem Zusammenhang eine ernüchternde Sprache, etwa dass die Zahl der Priester rapid im Sinken begriffen ist: In der Steiermark wird es bis zum Jahr 2013 voraussichtlich nur mehr halb so viele Priester geben wie heute. Schon heuer standen zwölf ausgeschiedenen Priestern nur mehr sechs Neupriester gegenüber. Dieser Rückgang hat die Diözese bewogen darüber nachzudenken, wie künftig eine flächendeckende Seelsorge aussehen könnte. Sie könne jedenfalls nicht nur durch eine Werbeaktion für geistliche Berufe sichergestellt werden, erklärt der Bischof.

"Phantomjahr 2010" Aufgrund der schwierigen Personalsituation wurde bereits 1998 auf Initiative des steirischen Generalvikars Helmut Burkard der "Prozess 2010" ins Leben gerufen. Verschiedene Arbeitsgruppen haben seitdem Konzepte für die Seelsorge der Zukunft entwickelt. Einerseits wurden pastorale Leitlinien erarbeitet. Dem Evangelium hier und jetzt zum Durchbruch zu verhelfen und die konkreten Gegebenheiten des Landes im Auge zu haben sind dabei wesentliche Prämissen. Alle Getauften mit ihren vielfältigen Berufungen, Lebenssituationen, Diensten und Charismen sind gefragt und gefordert. Zum anderen wurde für alle Dekanate ein vorläufiger Personalplan entwickelt. Daran anknüpfend haben die einzelnen Dekanate selbst inhaltliche, personelle und strukturelle Vorschläge erarbeitet. Mehr als 300 haupt- und ehrenamtliche Laien, Priester und Ordensleute in 26 Dekanaten waren in diesen Prozess eingebunden. Viele Dekanate haben dabei konkrete Vorhaben in verschiedensten Bereichen entwickelt. Sie wollen beispielsweise Schwerpunkte in der Familienseelsorge, der pastoralen Betreuung von Singles, der Seniorenpastoral oder dem Tourismus setzen, geistliche Zentren einrichten und vor allem neue Seelsorgeräume schaffen.

"Inzwischen ist ein großer Teil der Arbeit bereits abgeschlossen", freut sich Weber. "In Zukunft wird nun ein Pfarrer größere Seelsorgeeinheiten betreuen. Diese drei bis vier Pfarren umfassenden Einheiten werden auch der sich verändernden demographischen Situation gerecht. Viele Menschen leben nicht nur mehr an einem Ort." Gleichzeitig legt Weber Wert darauf, dass die Pfarren nicht aufgelöst werden dürften, denn mit ihnen sei Tradition und ein Heimatgefühl verbunden. 2010 sei auch nur eine Phantomzahl. In Wahrheit müsse ein ständiger Renovierungsprozess stattfinden.

Erwachen des Volkes Was die Weiterarbeit am Prozess 2010 betrifft meint Weber, dass es jetzt an die schrittweise Umsetzung der Ideen in den einzelnen Dekanaten gehe. Aber es würden wahrscheinlich öfter Korrekturen erforderlich sein, denn nicht alles lasse sich so leicht umsetzen. Darüber hinaus versuche man schon jetzt, Leitungsteams für die Seelsorgeeinheiten - bestehend aus haupt- und ehrenamtlichen Laien, Priestern und Ordensleuten - zusammenzustellen.

So sehr der Priestermangel ein Signal sei, dass zu denken gebe, so sehr müsse man aber auch erkennen, dass sich daraus auch Großartiges entwickle, bemerkte Weber. Denn es zeige sich gleichzeitig ein unheimliches Erwachen vieler Menschen. Der Bischof würdigte in diesem Zusammenhang die Arbeit von mehr als 20.000 Ehrenamtlichen, die in den einzelnen Pfarren kontinuierlich mitarbeiten. Laien würden künftig noch mehr Aufgaben in der "Bewirtschaftung" von Pfarren übernehmen - von der Seelsorge bis zur Pfarradministration. Das sei aber nicht als Notlösung zu verstehen, betont der Bischof ausdrücklich. Die Berufung und Sendung jedes einzelnen Christen sei ja in der Taufe grundgelegt. Darauf erst baue die spezielle Berufung auf, wie jene der Priester und Ordensleute.

Zusätzlich fällt eine Gruppe immer mehr ins Gewicht: die in der Kirche angestellten theologisch gebildeten Laien. Oft werde über diese Gruppe wenig geredet, gibt der steirische Bischof zu. Es sei wichtig, dass jeder zu seiner Berufung stehe, aber umgekehrt müsse auch jede Art der Berufung wirklich anerkannt werden.

In der weihnachtlichen Atmosphäre des Priesterseminars erzählt der steirische Bischof auch seine eigene Berufungsgeschichte. Geboren 1927, wächst er in einer religiös sehr bunten Familie auf. Mit 16 wird er zum Militär eingezogen. Der zweite Weltkrieg konfrontiert ihn mit den "Abgründen, zu denen Menschen fähig sind." Als einer der wenigen seiner Kompanie überlebt er. Nach dem Krieg studierte er zunächst "seine große Liebe" Germanistik und Geschichte bevor er auf das Theologiestudium umsattelt. Er erkennt, dass es für ihn "etwas gibt, das sich mehr rentiert". Mit 23 Jahren wird er zum Priester geweiht. Heuer feierte der Bischof sein 50-jähriges Jubiläum im geistlichen Beruf, den er als "unendlich sinnvoll" empfindet.

"Ich vermute, ich hätte Talent zu einem halbwegs guten Ehemann und Vater", erklärt Weber augenzwinkernd, und er fügt hinzu: "Ich lebe nicht als Sonderling. In den 50 Jahren als Priester ist es nicht vorgekommen, dass ich mir eingestehen musste, dass ich Großartiges versäumt hätte. Es war mein Weg." Im Zusammenhang mit dem Priestermangel verteidigt er den Pflichtzölibat: "Es muss ihn nicht geben, dennoch halte ich ihn für sehr sinnvoll. Viel vom Feuer und der Dynamik des Glaubens würde ansonst verloren gehen."

Kein "Weber-Klon" Das Evangelium habe nie kapituliert nur weil es nicht "in" war, fügt er hinzu. Priestersein sei eine Herausforderung. Zusätzlich werde der Priesterstand in der Kirche künftig mehr gefordert sein. Die Leute seien nicht zu täuschen, erklärt Weber. Außerdem müsse eine Priester ein Mensch sein, der nicht nur Schlüsselqualifikationen wie etwa Teamfähigkeit aufweise. Er solle Leute ermutigen, tragen, ermuntern, führen, ihnen Freiheit geben, mit ihnen gemeinsam nachdenken und ihnen zuhören.

In eineinhalb Jahren muss der steirische Bischof dem Papst aus Altersgründen seinen Rücktritt anbieten. Von seinem Nachfolger wünscht er sich Verantwortung bei den Glaubensinhalten - und zugleich Nähe zu den Menschen in der Diözese. Er werde sich für eine gute Nachfolge einsetzen. Ein "Weber-Klon" sei aber nicht vorgesehen, schmunzelt er.

Schließlich kommt auch die kirchenpolitische Lage aufs Tapet des Gesprächs, und Weber nimmt auch zur Weigerung des Salzburger Erzbischofs Georg Eder, einen ökumenischen Gottesdienst für die Opfer der Seilbahnkatastrophe von Kaprun zu feiern, Stellung: "Da ist etwas furchtbar schief gegangen und die Schäden sind sehr, sehr groß. Denn zu dem Schmerz des Verlustes ist ein weiterer Schmerz hinzugefügt worden", erklärt Weber betroffen. "Das Leid der Angehörigen hätte in der Mitte stehen müssen." Er hoffe, das man daraus gelernt habe und so etwas nicht nochmals passiere.

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