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Braucht uns Südamerika noch?

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Kommt heutzutage irgendwo in einem katholischen Kreis Europas die Rede auf Südamerika, dann ist eine der ersten Fragen immer: „Was soll das eigentlich? Ein Land, das fast zur Gänze katholisch ist, lebt im wesentlichen vom ausländischen Klerus, wie lang soll das noch andauern?“

Die Frage wird deshalb immer aktueller, weil Europa selbst schon an Priestermangel leidet und seine Missionäre doch eher in wirkliches Missionsland schicken will; anderseits taucht in Südamerika selbst, vereinzelt zwar noch, aber deutlich da und dort das Schlagwort auf: „Weg mit dem ausländischen Klerus!“ Der Versuch in Brasilien, während des letzten Krieges alles Deutsche zu unterbinden, und der Ausweisungsbefehl Peröns an einige ausländische Geistliche sind immerhin Warnzeichen. Auf der dem Eucharistischen Kongreß folgenden Bischofskonferenz aller südamerikanischen Diözesen war denn auch unsere Frage eine der brennendsten.

Tatsächlich herrscht in Südamerika nach wie vor ein katastrophaler Priestermangel, so sehr, daß unsere Klagen über den Priestermangel in Europa nur mit einem Lächeln quittiert werden. Seelsorger, die 10.000 Christen zu betreuen haben, die manchmal noch dazu über ein Pfarrgebiet verstreut sind in der Größe einer normalen europäischen Diözese, sind keine Seltenheit. Oft kann darum die seelsorgliche Betreuung nur darin bestehen, daß der Pfarrer einige Male im Jahr in die einzelnen Siedlungen kommt, die Kinder tauft, die Ehen segnet, Messe feiert und einigen Unterricht gibt. In den Städten, in denen es manchmal eine halbwegs genügende Anzahl von Priestern gäbe, sind sehr viele, besonders die Ordenspriester, mit Unterricht auch in weltlichen Fächern beschäftigt. Bekanntlich geht ja in Südamerika die katholische Seelsorgearbeit hauptsächlich über die katholischen Privatschulen.

Und der Nachschub aus Europa, auf den man sich bis vor kurzem als etwas Selbstverständliches verlassen hat, läßt nach.

Schon seit Jahrzehnten hat Rom die Gefahr vorausgesehen und ist fast mit einem gewissen Radikalismus darangegangen, viele Apostolische Vikariate in richtige Diözesen umzuwandeln und diese fast durchgehend mit einheimischen Bischöfen zu besetzen, auch wenn mancher Bischof weder Kathedrale noch Domkapitel hatte, kein Priesterseminar und vielleicht nur ein Paar Dutzend Seelsorgepriester. Diese Maßnahme wurde hauptsächlich deswegen getroffen, um die auf eigene Füße gestellten kirchlichen Gebiete anzuhalten, mit allen Mitteln einen einheimischen Klerus heranzubilden.

Tatsächlich kann man allenthalben neue, modernst ausgestattete Priesterseminare sehen, die oft mit großen Opfern aller erbaut wurden, aber sie wirken wie ein neuer Anzug, in den der Kleine erst hineinwachsen muß — sie stehen halb leer.

Aber — und hier kommt ein erster Circulus vitiosus — ein Seminar beansprucht wieder eine ganze Anzahl von Priestern als Lehrer und Erzieher, die die Bischöfe von der unmittelbaren Seelsorge abziehen müssen.

Freilich bestehen neben den Seminaren für den Weltklerus viele Juvenate und Klerikate einzelner Orden, die einen verhältnismäßig besseren Zuspruch finden, denn der „Weltklerus“ gilt in Südamerika als der arme, ungeschützte und in Not und Alter gefährdete Klerus, also entschließt sich eine einheimische Familie noch eher, ihren Jungen Ordenspriester werden zu lassen, als einen irgendwie „verachteten“ Weltpriester.

Welchen besonderen Schwierigkeiten begegnet die Heranbildung eines einheimischen Klerus?

Im allgemeinen kam bis jetzt auch in Europa der Klerus aus dem guten bäuerlichen und bürgerlichen Mittelstand, nicht so sehr aus dem Proletariat oder aus den vornehmen Kreisen. Dieser gute Mutterboden nun fehlt gerade in Südamerika. Die Nachkommen der spanischen und portugiesischen Eroberergeneration sind natürlich streng katholisch, halten sich vereinzelt noch einen eigenen Familiengeistlichen, bringen große finanzielle Opfer für die Kirche — aber denken gar nicht daran, einen ihrer Söhne Priester werden zu lassen, schon gar nicht Weltpriester, was für diese Familie einen gesellschaftlichen Abstieg eines ihrer Glieder bedeuten würde. Diese Schicht der Bevölkerung aber könnte wenigstens ein intelligentes und biologisch gesundes Material bieten. Aus der eigentlichen Eingeborenenschicht ist bis jetzt noch nicht viel zu erwarten, sie ist zum Teil noch zuwenig gebildet, sowohl allgemein alt auch religiös, ist biologisch noch zu sehr natürlichen Leidenschaften hemmungslos ausgesetzt und bringt oft bei bestem Willen ihrer Jugend zuwenig Ausdauer mit, schon nach einigen Jahren verlassen bis zu 90 Prozent das Knabenseminar. Was man bis jetzt alt einheimischen Klerus bezeichnen kann, kam zum Großteil aus Familien italienischer oder deutscher Ur-abstammung.

Ein weiteres Hindernis besteht darin, daß die Jugend Südamerikas, freiheitsliebend wie sie ist, tich sehr schwer in ein Internat einfügt. Erst vor kurzem lösten auch erfahrene Ordensleute ihre Internate auf (die auch für Nichtpriesterstudenten gedacht waren). Es stellten sich allzu große erzieherische Nachteile ein. Dazu kommt die große Familienanhänglichkeit. Der Südamerikaner will möglichst lang und möglichst innig mit seiner Familie verbunden bleiben. Dies erweist sich noch in anderer Hinsicht als Hindernis: entschließt sich einer zum Prie-stertum, will er seine Eltern und oft auch einen Teil seiner Geschwister in das Pfarrhaus mitnehmen.

Das an sich günstige Moment des großen Kinderreichtums wird auch dadurch wieder aufgehoben, daß die Eltern ihre Kinder fast durchweg mit einer zu nachgiebigen Liebe lieben, sie nicht genug anhalten, Opfer zu bringen von klein auf — eine unerläßliche Voraussetzung für das Priestertum.

Noch zwei weitere Umstände erschweren es, die einheimische Bevölkerung für unsere Aufgabe zu gewinnen: Bis jetzt war es eine Selbstverständlichkeit, daß der Klerus von Europa kam, er wurde „geliefert“ wie irgendeine Art von Spezialarbeitern. Außerdem wirkt bei einem Großteil auch der echt katholischen Bevölkerung das Argument, es seien zuwenig Priester, nicht sehr nachhaltig: vielen scheint es eben genug zu sein, wenn manchmal ein Priester kommt, das Notwendigste besorgt und im übrigen eine möglichst feierliche Prozession veranstaltet.

Und ein weiterer Circulus vitiosus hat sich somit als fast unüberwindbares Hindernis erwiesen: Nur eine gut unterrichtete und praktizierende katholische Bevölkerung kann Priester hervorbringen, diese Bevölkerung fehlt aber, weil zuwenig Priester sind.

Zum Schluß einige Zahlen: 1931 wirkten in Brasilien 4000 Priester, 195 5 deren 10.000. Davon sind ungefähr 3000 Einheimische. Und auf einen anderen, wenn auch vielleicht vereinzelten Hoffnungsschimmer sei noch hingewiesen: dem Einfluß eines Pallottinerpaters an der katholischen Universität Santiago de Chile ist es gelungen, daß sich innerhalb einiger Jah-e bereits 30 Hochschüler, die zum Teil schon vor dem Abschluß ihres Studiums standen, zum Priesterberu.' entschlossen haben.

Im übrigen betrachtet der Südamerikaner auch dieses Problem wie alles andere mit der ihm eigenen „Pacienci,““: Ein Jahr ist nichts, zehn Jahre wenig, f jnfzig Jahre schon etwas.

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