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Priestermangel

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Wir sind im alten Europa gewöhnt, in jedem Dorfe einen Pfarrer oder einen Kuraten zu finden, so daß jeder Katholik seine religiösen Pflichten ohne Schwierigkeiten erfüllen kann. Allerdings finden wir auch in Europa Gebiete, wie einige Gegenden Frankreichs, in denen ausgesprochener Priestermangel herrscht; in Marseille und in den industriellen Vorstädten von

Paris herrscht bittere Priesternot. Die Folge ist, daß dort zwei Prozent der Bevölkerung die Sonntagsmesse besuchen. Noch trauriger sind die Verhältnisse in manchen Gegenden auf dem flachen Lande; hier kommt der Bauer in seinem ganzen Leben nur viermal mit der Kirche in Kontakt: anläßlich seiner Taufe, der Firmung (wenn er überhaupt gefirmt wird!), seiner Eheschließung und seines Begräbnisses.

Besonders betroffen durch den Priestermangel sind die Missionsgebiete. In den^ meisten ,Missionen;:.herrscht bitterer Mangel an Seelenhirten; nach übereinstimmender Ansicht aller Missionäre könnte die Ernte in den Missionen vervielfacht werden, wenn die Anzahl der Missionäre nur um einen geringen Prozentsatz erhöht werden könnte. Leider besteht hierzu wenig Hoffnung. Im Gegenteil, in den beiden Ländern, die in der Vergangenheit die meisten Missionäre gestellt haben, in den Niederlanden und in Belgien, ist die Zahl der Missionärsaspiranten nicht unerheblich gesunken. (Es sei hier erwähnt, daß vor noch nicht allzu langer Zeit in den Niederlanden ein Missionär auf 500 Katholiken kam.) Die gleiche Erscheinung ist in den meisten Ländern Europas wahrzunehmen. Erfreulich ist, daß die Vereinigten Staaten und Kanada nicht die gleiche Entwicklung durchmachen. In den ersteren ist beispielsweise die Zahl der katholischen Priester von 44.000 im Jahre 1944 auf 54.000 im Jahre 1960, somit um mehr als 22 Prozent gestiegen; zu letzterer Zahl sind noch 80.000 Ordensleute und 156.000 Schwestern hinzuzufügen.

Es stellt sich daher das Problem einer gleichmäßigen Verteilung des Klerus in der christlichen Welt, denn die ungleiche Verteilung bzw. der Priestermangel in manchen Ländern hat unheilvolle Ergebnisse gezeitigt. Einige Zahlen werden dies beleuchten. In Kanada betreut ein Priester im Durchschnitt 450, in Belgien und in den Niederlanden 490, in England 530, in Italien 690, in den Vereinigten Staaten 770 Gläubige. Nun aber folgt ein Vakuum. In Österreich kommen bereits 940 Gläubige auf einen Priester, in Spanien 970, in Deutschland 1000 Gläubige. Am Ende der Tabelle steht Südamerika, wo ein Priester im Durchschnitt 5000 Gläubige zu betreuen hat. Aber selbst hier sind die Unterschiede noch recht erheblich. Während in Chile ein Priester „nur“ für 2300 Gläubige zu sorgen hat, steigt diese Zahl in Mexiko auf 4500, in Brasilien und Peru auf fast 6000, in Panama auf 10.000, in der Dominikanischen Republik auf 13.000 und in Guatemala, wo die Priester jahrzehntelang Verfolgungen erdulden mußten, sogar auf 19.000! In ganz Südamerika mit seinen fast 200 Millionen Einwohnern wirken nicht mehr

Priester als im kleinen Belgien. In Brasilien und in Chile ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen wohl gestattet, er kann aber nur in den seltensten Fällen erteilt werden, weil es an Priestern mangelt. Selbst in Chile, das mit 2300 Einwohnern pro Priester zu den bevorzugten Ländern Südamerikas zu rechnen ist, entziehen sich 80 Prozent der

Bevölkerung jeder priesterliche Einfluß. Es gibt in Südamerika Gemeinden, in denen nur zwei Prozent der Bevölkerung ihrer österlichen Pflicht nachkommen und die Sonntagsmesse besuchen. Und es besteht auch keinerlei Aussicht, daß diese Verhältnisse sich in absehbarer Zeit bessern könnten.

Die Folgen dieser unheilvollen Zustände sind verheerend; von einer geordneten Seelsorge kann nicht mehr gesprochen werden. Angesichts der völlig unzureichenden Anzahl von Geistlichen und der riesigen Ausdehnung mancher Pfarreien in schwach besiedelten Gebieten gibt es Gegenden, die nur einmal im Jahre von einem Priester besucht werden können. Dann müssen in Eile Kinder getauft, Ehen (nachträglich) eingesegnet, Beichte gehört, die Kommunion erteilt, eine Predigt gehalten werden, und schon hastet der Priester weiter, denn es harren seiner noch viele Dutzende von Gemeinden, die er im Laufe des Jahres besuchen muß. Glücklich noch jene Gemeinde, die wenigstens einmal im Jahr einen Priester zu Gesicht bekommt, denn es gibt Distrikte, deren Bevölkerung einen Geistlichen nur zwei- bis dreimal im Leben sieht.

Im Gegensatz zu Südamerika bietet Polen den Beweis dafür, wie sehr die Anwesenheit einer genügenden Zahl von Priestern einen sicheren Schutz gegen Atheismus und Indifferenz bietet; nur der ausreichenden Anzahl von Geistlichen hat es Polen zu verdanken, daß das Volk den Angriffen der Religionsfeinde siegreich Widerstand

leisten und seinem Glauben treu bleiben konnte.

Wiederholt wurden Versuche unternommen, um einen Ausgleich zwischen Ländern mit Priestermangel und solchen, in denen sie in ausreichender Anzahl vorhanden sind, herbeizuführen. In Lausanne wurde ein Institut gegründet, in dem Priester für Südamerika herangebildet werden, und über einen Aufruf Pius' XII. meldeten sich vor zehn Jahren 120 Priester, die sich bereit erklärten, in Südamerika Seelsorgeposten zu übernehmen. Aber was bedeuten Hunderte, was würden selbst Tausende bedeuten, wenn das Manko im günstigsten Fall, das ist, wenn ein Priester 2000 Gläubige be-

treuen soll, die Zahl von 60.000 übersteigt. Die Schwierigkeiten sind enorm, unzählige Faktoren werden zu berücksichtigen sein. So bildet beispielsweise die Abnahme der Geburten ein ernstes Hindernis für eine Zunahme der Vokationen. Die Statistik lehrt, daß Ehen mit einem einzigen Kind der Kirche keinen Priester schenken; nur Ehen mit vier oder mehr Kindern sichern einen ausreichenden Priesternachwuchs. Diese und andere Hindernisse können nicht von heute auf morgen beseitigt werden; geduldige Arbeit von Jahrzehnten wird erforderlich sein, um der Kirche die erforderliche Anzahl von Priestern zu sichern.

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