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Die Not als Chance sehen

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In den letzten Wochen fanden in allen österreichischen Diözesen die Priesterweihen statt. Dabei konnte die erfreuliche Tatsache festgestellt werden, daß die Anzahl der Neugeweihten in diesem Jahr wieder angestiegen ist. Gegenüber dem Vorjahr ist sogar eine spürbare Erhöhung von 141 auf 169 Neupriester zu verzeichnen.

So erfreulich auch dieser Anstieg der Neuspriesterzahlen ist, so wenig kann er die Tatsache verdecken, daß der Priestermangel in Österreich, ja in fast allen europäischen Ländern immer größer wird. Ganz abgesehen von neu zu errichtenden Seelsorgs-posten können die Neupriester in den Diözesen wie in den Orden bei weitem nicht die durch Alter, Krankheit und Tod verursachten Lücken schließen.

Situation in Europa

Der starke Rückgang der Anzahl der Priester ist heute in fast allen europäischen Ländern (Ausnahmen sind Polen und Irland) festzustellen. Auf zahlreichen Tagungen und Kongressen versucht man (1958 auch in Wien), Ausmaß und Ursache dieser Entwicklung festzustellen.

Vom Jahre 1957 bis 1961 etwa ist in Europa die Anzahl der Welt- und Ordenspriester von 169.288 auf 169.033 gesunken, während im selben Zeitraum die katholische Bevölkerung um etwa sechs Millionen angewachsen ist. 1957 wurden 4000 Neupriester geweiht, 1961 waren es 3515. In derselben Zeit ist in den USA die Gesamtpriesterzahl von 29.814 auf 32.298 gestiegen; ähnlich auch in Kanada.

Innerhalb der europäischen Länder nimmt Portugal den letzten Platz ein. Hier kommen auf etwa acht Millionen Katholiken rund 4500 Welt- und 760 Ordenspriester. Zum Vergleich weist Irland mit etwa drei Millionen Katholiken rund 10.000 Priester auf, von denen die Hälfte in der Mission tätig ist.

Innerhalb der österreichischen Diözesen weisen die relativen Zahlen der geistlichen Berufe bedeutende Unterschiede auf. Dabei ist eine Art West-Ost-Gefälle festzustellen. Die Zahlen der folgenden Tabelle stellen selbstverständlich keinen Wertmaßstab des religiösen Lebens auf; es spielen dabei verschiedene andere Faktoren eine Rolle (etwa im Bur-

Mit diesen Zahlen ist jeweils nur der Wirkungsbereich gekennzeichnet, der sich keineswegs immer mit der Herkunftsdiözese decken muß. So zeigte eine Untersuchung des ICARES im Jahre 1952 (also mit den obigen Zahlen aus 1964 nicht direkt

Diese Zahlen haben sich in der Zwischenzeit bereits verschlechtert. So liegt beispielsweise in Frankreich die Sterbeziffer der Priester dreimal so hoch wie die Zahl der Priesterweihen. 1935 erhielten dort noch 1300 Priesterkandidaten die Weihe, 1951 waren es 1028, 1955 sank die Zahl auf 850, 1960 sogar auf 600. Ähnlich ist es in Italien, wo die Anzahl der verstorbenen Priester die Anzahl der Neugeweihten jährlich um etwa 300 übersteigt. Selbst in Holland und Belgien, die noch über eine genügende Priesteranzahl verfügen, ist ein Rückgang der Anzahl der Neupriester festzustellen (in Belgien in den letzten Jahren um fast 15 Prozent).

genland das Fehlen von Stiften und Klöstern oder die Konzentration der Orden in Wien — Mutterhaus usw.).

Zahl der Neupriester (Welt- und Ordensklerus) 1950: 152. 1951: 149. 1952: 106. 1953: 109. 1954: 147. 1955: 118. 1956: 168. 1957: 146. 1958: 152. 1959: 192. 1960: 177. 1961: 162. 1962: 172. 1963: 154. 1964: 141. 1965: 169.

vergleichbar), daß Wien beim Priesternachwuchs noch schlechter abschneidet als es oben erscheint. Die Anzahl der in der betreffenden Diözese geborenen, lebenden Priester im Verhältnis zu 100.000 Katholiken betrug in Wien 53, in Klagenfurt 74,

Besonderer Notstand in Österreich

Wie bereits “gezeigt wurde, steht Österreich in der Anzahl der Priester, bezogen auf die Katholiken, vor Portugal an vorletzter Stelle in Europa (abgesehen von Osteuropa, wo zuwenig Zahlen vorliegen). Nach dem „Päpstlichen Jahrbuch“ betrug die Anzahl der Priester in Österreich im Jahre 1964 6568; davon waren 4093 Weltpriester und 2475 Ordenspriester. Dazu kommen noch 1397 Ordensbrüder und 15.210 geistliche Schwestern. Auch in Österreich steht dem jährlichen Zuwachs (durchschnittlich 150 Neupriester1) ein fast doppelt so hoher Abgang an Priestern gegenüber. Eine erschreckende Tatsache.

in Eisenstadt 91, in Salzburg 98, in Graz 105, in St. Pölten 107, in Linz 129 und in Innsbruck 188.

Das Fehlen der in der Diözese geborenen Priester wird durch Priester aus anderen Diözesen, vor allem aber aus dem heutigen Ausland, aufgefüllt. So zeigen die Angaben des Wiener Schematismus 1963, daß nur rund die Hälfte der in der Erzdiözese Wien wirkenden Priester auch hier geboren wurde. Mehr als zehn Prozent der Priester kommen aus ande-

ren österreichischen Diözesen, währen mehr als ein Drittel nicht im heutigen Österreich geboren ist. Dabei nehmen die Länder der ehemaligen Monarchie (Böhmen, Mähren, Schlesien sowie Ungarn) den ersten Platz ein. Einen beachtlichen Anteil hat auch Westdeutschland. Priester kommen auch aus Südtirol, Holland und einer Reihe weiterer Länder.

Wie Wien haben auch die anderen Diözesen einen mehr oder minder hohen Anteil an nicht in Österreich gebürtigen Priestern nach Wien, das den höchsten Anteil hat, folgen Klagenfurt, Salzburg und Eisenstadt. Innerhalb der Orden weisen vor allem die Regularkleriker einen hohen Prozentsatz von ausländischen Priestern auf, bei den neueren Ordensgemeinschaften beträgt er sogar mehr als die Hälfte, während er bei den Chorherren am geringsten ist.

Große Uberalterung des Klerus

Der Priestermangel wird dadurch erschwert, daß der Klerus gegenwärtig eine stark überalterte Struktur aufweist. Das bedeutet, daß selbst bei noch wesentlich größeren Zahlen von Neugeweihten mit einem weiteren Anstieg des Priestermangels zu rechnen ist. Nach den Ergebnissen der Volkszählung 1961 ist mehr als ein Viertel der Geistlichen in ganz Österreich älter als 60 Jahre. Die Geburten Jahrgänge vor dem ersten Weltkrieg sind durchweg doppelt so stark wie die Jahrgänge der heute jünger als 45jährigen Priester. Das bedeutet, daß in zehn oder fünfzehn Jahren, durch das Ausscheiden dieser zahlenmäßig starken Jahrgänge, die eigentliche Krise mit Sicherheit zu erwarten ist.

Zur Illustration der Altersstruktur der Priester sei wiederum die Erzdiözese Wien herangezogen. (Siehe hiezu die Tabelle „Alter der in der Erzdiözese Wien lebenden Priester“.)

Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß mehr als ein Viertel der in der Erzdiözese Wien lebenden Priester älter als 65 Jahre ist. Fast 60 Prozent der Priester ist älter als 50 und fast drei Viertel älter als 45 Jahre. Das würde — bei einer theoretischen Grenze des Ausscheidens aus dem, aktiven Dienst beim 65. Lebensjahr — heißen, daß in 20 Jahren drei Viertel der jetzigen Priester nicht mehr in Frage kämen. Um allein den Stand halten zu können, müßten die Neu priesterJahrgänge doppelt so stark sein wie gegenwärtig.

Die Not auch als Chance sehen

Es kann in diesem Rahmen nicht auf die verschiedenen Ursachen und Gründe des Priestermangels einge gangen werden. Auf eines sei jedoch verwiesen: Nach den Worten mehrer Bischöfe beim Konzil stellt die schwierige, oft katastrophale Situa tion der Anzahl der Priester auch eine Fügung Gottes und Chance der Kirche dar. Auch die Kirche ist nicht gerne bereit, bestehende Formen ohne zwingende Gründe zu ändern. In dieser Weise ist es gerade der Priestermangel, der, neben anderen Faktoren, die Neubesinnung auf das Laienapostolat, auf das selbständige Diakonat, auf eine Anpassung der Kirche an die heutige Zeit veranlaßt hat. Je größer der Mangel an Priestern wird, desto mehr müssen und werden auch die Anstrengungen zur Konzentration auf das Wesentliche und zur großzügigen Neuordnung einsetzen.

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