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„Problemhafter Beruf”

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„Weniger der Mut zu Neuerungen als der Zwang der No-t haben dazu geführt, daß die allzu exklusive Monopolstellung dės Klerus in vernünftiger Weise abgebaut und die Ausbildung stärker als bisher auf die Praxis ausgerichtet wird.” Dies sagte der Regens des Priesterseminars in Innsbruck zur Situation des Seelsorgenachwuchses in Tirol. Regens Dr. Egger erklärte hiezu weiter: „Es gilt, den Priester- und Ordensberuf neu zu motivieren. Die Kirche ist sich ihrer Stellung in der Gegenwart bewußt, und es wurde Zeit, daß man sich mit jahrhundertelang liegengebliebenen Problemen befaßt.”

In Tirol sind zur Zeit 70 Prozent aller Priester über 50 Jahre alt. 1970 waren es nur 58 Prozent. Mehr als die Hälfte der Ordensschwestern ist über 60 Jahre und nur 15 Prozent unter 40 Jahre alt. Die Nachwuchszahlen in den katholischen Priesterseminaren Tirols sanken um rund 50 Prozent. In der Diözese Innsbruck sind gegenwärtig 367 Welt- und Ordenspriester tätig. Die Zahl der den Priesterberuf ergreifenden jungen Menschen sank in den letzten zehn Jahren um ein Drittel. 24 Diözesan- theologen befinden sich zur Zeit in Ausbildung. Neun Geistliche traten innerhalb von 20 Jahren aus dem Diözesanklerus aus. In Tirol sind gegenwärtig 35 Seelsorgestellen unbesetzt. Der Bezirk Reutte ist am härtesten betroffen, dort sind von 37 Pfarreien 14 vakant Im Bezirk Lienz hingegen macht sich die Überalte rung am stärksten bemerkbar. Das Durchschnittsalter liegt dort bei 60 Jahren.

In der Diözese Innsbruck sind 1300 Ordensschwestern aus 23 Gemeinschaften tätig. Die Gesamtzahl der Schwestern sank in den letzten drei Jahren um zehn Prozent Bei den männlichen Ordensleuten ist es mit dem Nachwuchs am besten bestellt: 500 versehen in der Diözese ihren Dienst, 70 stehen zur Zeit in Ausbildung.

Die Krise der Kirche sei untrennbar mit der Krise der Gesellschaft verbunden, sagte Regens Dr. Egger. Der immer spürbarer werdende Rückgang an Berufenen ergebe sich aus der zunehmenden Abneigung gegen problembehaftete Berufe. Die älteren Priester wiederum seien zahlreichen neuen Belastungen aus- gesetzt und fänden keine Zeit mehr zur Besinnung. Die Überlastung durch administrative Aufgaben und die verbreitete Unsicherheit in Glaubensfragen tragen nicht dazu bei, den Priesterberuf attraktiver zu machen. Dazu kommt noch der „pastorale Konflikt”, die Schwierigkeit, kirchliche Forderungen und gesellschaftliche Erwartungen zu vereinbaren. Auch die Zölibatsfrage wirkte sich bis zur Bischofssynode 1971 durch starke Abgänge aus. Heute sei dieser Problemkreis für den Nachwuchs kaum mehr von Bedeutung. Nicht ohne nachteiligen Einfluß sei jedoch das „Defizit an weltlicher Besoldung”. Im Verhältnis zur akademischen Ausbildung ist die Entlohnung gering, der soziale und Rechtsschutz unbefriedigend, und die Aufstiegsmöglichkeiten sind bescheiden.

Eine Besserung der Verhältnisse könne man sich nur durch eine Neu fassung des priesterlichen Berufslebens erwarten. Als „kühne Empfehlung” in dieser Richtung wird die Anregung an die österreichische Bischofskonferenz gewertet, bei den zuständigen Stellen das Recht zu erwirken, künftig auch bewährte verheiratete Männer zu Priestern weihen zu dürfen. Auch die neugeschaffenen Kirchenberufe wie Gemeindeassistent, Pastoralassistent, Jugendhelfer, Erwachsenenbildner und die Empfehlung der österreichischen Synode zur Ausübung des Priesteramtes im Nebenberuf schätzt man als Schritte zu einer neuen Aufwärtsentwicklung. In Tirol sind jedenfalls heute schon über 400 Laienkatecheten im Einsatz.

Die Problematik der Kirche wird eben im Priesterberuf besonders augenfällig und es kann heute wohl kaum mit Sicherheit vorausgesagt werden, welcher Weg nun tatsächlich aus der Krise führen wird.

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