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„Gott braucht Menschen“, die Welt braucht Priester

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In seinem diesjährigen Fastenhirtenbrief legte der Wiener Kardinal den Finger auf eine der schwärendsten Wunden des österreichischen Katholizismus: den Priestermangel. Der Kardinal gab Zahlen für seine Diözese bekannt, die mit ihren 2,000.000 Katholiken nicht nur die größte österreichische, sondern auch eine der größten Diözesen der Welt ist. 114 Scelsorgestellen sind nach Angaben des Kardinals bereits infolge des Priestermangels unbesetzt. Infolge Ueberalterung des Klerus — ein Drittel ist über 60 Jahre alt — wird sich diese Zahl in den nächsten Jahren noch erhöhen. Der letzte Krieg hat furchtbare Lücken gerissen: 67 Priester der Erzdiözese sind gefallen, ebenso 63 Kleriker. 15 Kleriker sind noch vermißt, 21 haben in den Kriegszeiten ihre Berufung verloren. 25 bis 30 neue Priester müßten jährlich das Wiener Seminar verlassen, um den dringendsten Anforderungen zu genügen — alle Lücken wären auch damit noch nicht geschlossen. In der ganzen Zeit von 1945 bis 1953 betrug die Zahl der ausgeweihten Priester aber nur 91, was einem Jahresdurchschnitt von nicht ganz 11 gleichkommt. In der gleichen Zeit schieden durch Tod oder Pensionierung 300 Priester aus dem Dienst der Diözese. Der Erz.bischof-Koadjutor von Wien hatte bereits in einer Rede am 20. Juni 1952 angedeutet, daß man sich mit dem Plan trage, künftighin Pfarreien, die nur bis zu 1000 Seelen zählten, nicht mehr zu besetzen, sondern die Grenze für die Aufrechterhaltung einer Pfarre auf mindestens 1500 Seelen hinaufzusetzen.

Der Wiener Kardinal sprach nur für seine Erzdiözese und deutete lediglich an, daß die Priesternot auch auf den übrigen Diözesen Oesterreichs laste. Tatsächlich hat der andere Metropolit Oesterreichs, der Erzbischof von Salzburg, schon im Juli vergangenen Jahres erklärt, daß 1952 kein Neupriester sein Seminar verlassen werde. Auch das Seminar des Bischofs von Kärnten, das ja immer eines der priesterärmsten Gegendej» Oesterreichs war, soll 1953 kein einziger Neupriester verlassen.

„Aehnlich geringe Zahlen weisen auch die Stifte und Ordenshäuser auf“, sagt der Kardinal weiter in seinem Hirtenbrief über den monastischen Nachwuchs. Auch die Ordens-nicderlassungen in Oesterreich können sich von den Wunden des letzten Krieges kaum erholen. Die meisten von ihnen waren unter der NS-Zeit aufgelöst, die Mitglieder der Konvente „gauverwiesen“, die Noviziate geschlossen. Ein Teil der jungen Ordensleute fiel im Kriege. Kremsmünster, das 1938 noch 96 Mitglieder, hatte, zählte 1947 nur 76. Der Konvent von Göttweig sank in der gleichen Zeit von 53 auf 33, der von Lambach von 21 auf 10. Am 31. Juli 1952, am Fest des heiligen Ignatius, nahmen die Patres der Gesellschaft Jesu von ihrer ältesten Niederlassung in Oesterreich, von Kirche und Kloster „Am Hof“ in Wien, Abschied. Der Pricstermangel in ihren Reihen zwang sie, diesen Posten aufzugeben. Alle diese Lücken können auch hier durch den derzeitigen Nachwuchs kaum aufgefüllt werden. Die 31 großen Stifte Oesterreichs hatten 1952 zu-sammen nur ungefähr 60 Novizen, also einen jährlichen Durchschnitt von zwei, eine Zahl, die viel zu gering ist (wobei auch noch immer nicht gesagt ist, daß auch alle Novizen zu den Gelübden zugelassen werden; ein bekanntes österreichisches Stift zum Beispiel hatte von 1945 bis 1952 20 Novizen, aber nur zwei davon verblieben endgültig im Konvent).

Oesterreichs Priesternachwuchs rekrutierte sich aus drei Quellen: dem Nachwuchs aus der ländlichen Bevölkerung, aus dem Sudetenland und aus Deutschland. Der auf dem Land um sich greifende Materialismus brachte die erste Quelle zum Versiegen. Waren vor dem Jahre 1938 von 20 Priesterkandidaten des

Wiener Seminars 18 ländlicher Abstammung und nur 2 städtischer, so ist es heute umgekehrt. Ja, einer der letzten ausgeweihten Wiener Jahrgänge hatte nicht einen einzigen Neupriester in seinen Reihen, der bäuerlicher Abkunft war. Politische Gründe sind die Ursache für das Versiegen der zweiten und dritten Quelle.

„Der Priestcrmangel muß behoben werden“, sagt der Kardinal in seinem Hirtenbrief. Aber wie? „Der beste Boden für den Priesterberuf ist die katholische Familie“, heißt es weiter. „Aber hier müssen wir voraussetzen, daß die Familie überhaupt Kinder hat!“ 42 Prozent aller österreichischen Ehen sind kinderlos. Von dieser Seite kann also zunächst keine Besserung erwartet werden.

So muß erneut auf einen Weg verwiesen werden-, der in diesem Blatt schon früher gewiesen wurde: die Berufung von ausländischen Priestern. Oesterreich war nur zu oft in seiner Geschichte ein Land, das eines Priester„zuschusses“ von außen bedurfte. Es hat anderseits mit ausländischen Priestern in seiner Geschichte die besten Erfahrungen gemacht. Die Namen Petrus Canisius, Abraham a Sancta Clara, P. Abel sind ein Ruhmesblatt des österreichischen Katholizismus. Viele Missionsgebiete der Weh sind heute der Kirche verschlossen. Warum sollten jene Priester, die sich für die Mission bereithalten, nicht ihre Schritte nach Oesterreich lenken? Noch immer gehörten jene, die sich für die Mission meldeten, zur Elite des Klerus. Oesterreich hat außerdem immer eine starke Assimilationskraft bewiesen, die die Ausländer bald „zu Oesterreichern umwandelte“. Besonders auf dem Gebiet des Ordensklerus wäre es ja leicht, ganze „Trupps“ nach Oesterreich kommen zu lassen.

„Mehr als in früheren Jahren“, sagt der Kardinal, „beschäftigen sich Romane, Bühnenstücke und Filme, die ernst zu nehmen sind, mit dem Priester. Damit bezeugen sie indirekt, daß es beim Priestertum um etwas geht, was dem Menschen unentbehrlich ist. Wohin käme die Welt ohne Priester!“ ruft der Kardinal aus. „Wie arm wäre die Welt.“

Kein Mittel dürften deshalb die Katholiken Oesterreichs versäumen, um diesem Notstand abzuhelfen. Die Berufung geeigneter ausländischer Priester wäre vielleicht ein solches Mittel, das der dringendsten Not abhelfen könnte.

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