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Das Erreichte und das Ausständige

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Soll der Katholikentag 1952 Orientierung, Mobilmachung der katholischen Kräfte in Österreich sein, so muß die katholische Öffentlichkeit ein möglichst klares und wahres Bild unserer tatsächlichen Situation erhalten. Manches ist bereits darüber geschrieben worden. Die vorbereitenden Beratungen und die verschiedenen Beiträge der Presse geben Zeugnis von lebendiger Anteilnahme, aber auch von freimütiger Meinungsäußerung und von ernstem Verlangen, zu verantwortlicher Mitarbeit heran

gezogen zu werden. In den Chor dieser St'mmen will sich diese Betrachtung über die seelsorgliche Lage in Österreich einreihen. In der Überzeugung, daß der Katholikentag ein neuer Auftakt des religiösen und seelsorglichen Lebens sein soll und sein kann, ist das Ziel dieser Zeilen Bejahung und Ermunterung jeder aufrichtigen seelsorglichen Initiative, wenn auch zu manchen Begleiterscheinungen ein Fragezeichen gesetzt werden muß.

Drei Leitgedanken beherrschten die Reorganisatoren der Seelsorge in Österreich nach 1945: Nicht mehr zurück zur Bevormundung der Kirche durch den Staat, nie mehr Bindung der Kirche an eine politische Partei, nicht mehr zurück zum „Vereinskatholizismus" der Zeit vor 1938.

In ihrer allgemeinen Formulierung wurden diese Leitgedanken kaum von jemandem bestritten. Erst ihre Anwendung auf die jeweilige Situation führte begreiflicherweise zu Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten. Da die Zeit nach 1945 auf allen Gebieten ein Tasten und Suchen bedeutete, mußte auch die Neuordnung der Seelsorge an dieser Unsicherheit teilhaben. Es wäre deshalb verwunderlich, wenn überall gleich die

rechte Mitte gefunden worden wäre. Wenn daher auch Vorwürfe gegen jene, die sich mit Tatkraft und Idealismus ans Werk machten und einen kühnen Anfang wagten, ungerecht wären, so wäre es für die Zukunft ebenso falsch und verderblich, wollten wir nicht Fehltritte in der Anweridung dieser Grundsätze eingestehen und korrigieren, wo sie nicht schon korrigiert sind. Die Entwicklung der Verhältnisse und der fortschreitende Ausbau der Seelsorge zwangen in der Tat schon in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Abänderungen und Abstrichen am anfänglichen Konzept. Vielleicht ist es nun an der Zeit, auf die tatsächlichen Korrekturen in dem einen oder anderen Punkt auch eine grundsätzliche Korrektur folgen zu lassen.

Da die Bemerkungen, die wir zum dritten machen, sich auch auf die ersten zwei Leitgedanken beziehen, begnügen

.wir uns bei diesen mit einigen kurzen Andeutungen.

Der erste Leitgedanke der neuen Seel- sorgsaera: „Freiheit der Kirche von der Bevormundung durch den Staat' führte zum Verzicht der Kirche auf alle finanziellen Leistungen des Staates, wie sie vor 1938 bestanden, und zur Beibehaltung der Kirchenbeiträge der Gläubigen. Mit Übergehung der weniger günstigen Aspekte dieses finanziellen Problems sei hier nur auf den namhaften Vorteil, der für die Seelsorge daraus erwachsen ist, verwiesen. Durch das freie Verfügungsrecht über Pfründenbesitz, Pfarr-Regulierung und Pfarrgründung konnten Pfarrteilungen und Neugründungen leicht durchgeführt werden, wurden viele Kirchen renoviert, kirchliche Gebäude verbessert und den modernen Seelsorgsverhältnissen angepaßt. — Ferner hat dieser erste Leitgedanke der Unabhängigkeit vom Staat, zu einer neuen Haltung in der Schulfrage geführt. Wenn wir auch noch von der Verwirklichung der christlichen Schule sehr weit entfernt sind und nur mit viel Geduld und Klugheit schrittweise dahingelangen können, so ist doch damit die seelsorgliche Haltung in dieser Frage vertieft worden.

Schwieriger ist der zweite Leitgedanke: „Keine Bindung an eine bestimmte politische Partei", auf die jeweilige Situation anzuwenden. Die Vertretung dieses Grundsatzes kam in den vergangenen Jahren der politischen Müdigkeit und Zurückhaltung sehr vieler entgegen. Bei nicht wenigen führte sie zu einer völlig passiven Haltung dem öffentlichen Leben gegenüber. Bisweilen wurde sie auch im Sinne einer allzu weiten politischen Toleranz gedeutet. Die Tätigkeit im seelsorglich-religiösen Bereich oder im Rahmen der religiösgeistigen Bildungsarbeit schien vielen die völlige Abstinenz in Fragen des öffentlichen Lebens zu rechtfertigen. Doch zwingen die wirtschaftlichen und politischen Ereignisse von Tag zu Tag mehr zu einer Stellungnahme aller ernst Gesinnten. Wenn auch die „Katholische Aktion nicht auf den Kampfplatz der Parteipolitik treten darf“, so müssen sich doch „die religiöse Aktion und die politische Aktion gegenseitig durchdringen“. Es scheint uns daher wichtig, daß künftighin der bedeutungsvollen Unterscheidung des Internationalen Kongresses des katholischen Laienapostolats zwischen „Katholischer Aktion" und „Ak- tion der Katholiken“ tatkräftiger Rechnung getragen werde, die Scheu vor jeder Stellungnahme zur konkreten politischen Lage überwunden und insbesondere den großen Berufsverbänden der Katholiken mehr Interesse zuteil werde.

Am schwierigsten ist die Anwendung des Leitsatzes der neu orientierten Seelsorge: „Vereinsfreie Seelsorge“. Das Schlagwort „Vereinskatholizismus" ist nicht eindeutig. Es kann die Überbewertung des Vereins in der Seelsorge zurückweisen, es kann aber auch eine bedingungslose Ablehnung des Vereins als Mittel der Seelsorge besagen. Tatsächlich wurde der Grundsatz von manchen gutmeinenden Reorganisatoren der Seelsorge so verstanden. Gegen das alte Vereinsprinzip wurde das neue Pfarrprinzip und die naturständische Gliederung der Seelsorge in der Katholischen Aktion gestellt. Noch unter den Schockwirkungen des nationalsozialistischen Zwanges gehend, wollte man auf jede organisatorische Bindung verzichten und glaubte, die seelsorgliche Führung der Gläubigen einzig und allein auf die sakramentale Bindung an die Kirche durch Taufe und Firmung aufbauen zu können. Man prägte dafür die Formel: „Bindung in Freiheit." Doch mit den Jahren wuchs die Erkenntnis, daß das einfache und der Grundstruktur der Seelsorge sich anscheinend vollkommen anpassende Schema allein nicht allen seelsorglichen Anforderungen entsprechen könne. Man übernahm in der Katholischen Aktion wenigstens für die differenzierteren Verhältnisse der Stadt das Schema der „Berufsstände“ Auch -die anfänglich radikale Gegnerschaft gegen jede vereinsmäßig

organisierte Form seelsorglicher Werke wurde aufgegeben. Traditionelle kirchliche Vereinigungen, wie die Dritten Orden, die Marianische Kongregation, aber auch Kolpingswerk, Georgs-Pfadfinder und ähnliche Vereine, begannen ihre Tätigkeit von neuem zu entfalten, anfänglich von den kirchlichen Zentralstellen nur ungern gesehen, schließlich wieder offiziell anerkannt. Endlich übernahm man die vereinsmäßige Bindung der festen Mitgliedschaft auch in den Gruppen der Katholischen Aktion.

Der Ausbau einer geschlossenen Katholischen Aktion und ihrer Werke, die pfarrlich oder diözesan gegliedert und geleitet werden und denen sich Vereine und Vereinigungen mit kirchlicher Anerkennung je nach ihrer Eigenart anschließen, muß als weiterer Fortschritt der Seelsorge in Österreich nach 1945 begrüßt werden. Er bedeutet eine beachtliche Intensivierung der Seelsorge. Klerus und Laien

sollten sich daher uneingeschränkt zur Katholischen Aktion bekennen und das noch in den Anfängen stehende Werk unter-

stützen. Wenn wir im Vorausgehenden von tatsächlichen Korrekturen des anfänglichen Konzepts gesprochen haben und im folgenden auch einige wünschenswerte grundsätzliche Korrekturen andeuten, so soll damit kein Jota unserer Bejahung zurückgenommen und nicht das Werk als solches, sondern nur diese und jene Begleiterscheinung dieser Aufbauarbeit kritisiert werden.

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