Gefängnis - © Foto: iStock / Vera Tikhonova

Gefängnis-Seelsorge: Da sein, wenn die Freiheit fehlt

19451960198020002020

Einem Häftling einen Fernseher organisieren, um zumindest die Nachrichten über den Krieg in der Heimat mitverfolgen zu können: So kann Gefängnis-Seelsorge heute unter anderem aussehen. Impressionen einer besonderen Form kategorialer Seelsorge.

19451960198020002020

Einem Häftling einen Fernseher organisieren, um zumindest die Nachrichten über den Krieg in der Heimat mitverfolgen zu können: So kann Gefängnis-Seelsorge heute unter anderem aussehen. Impressionen einer besonderen Form kategorialer Seelsorge.

Werbung
Werbung
Werbung

Wir erleben zurzeit zwei große Krisen: den Ukrainekrieg und – immer noch – die Pandemie. Vom Beginn der Corona-Krise an, als die Gesellschaft weitest möglich „heruntergefahren“ wurde, aber auch jetzt noch, erleb(t)en wir, wie herausfordernd und schwer es auszuhalten ist, nicht Herr des eigenen Lebens zu sein: Einfach aus einem Raum herausgehen, um mit jemandem zu sprechen, sich mit Freunden treffen, wann immer es einem passt – das ist fast Luxus geworden.

Dann ist da aber auch noch das „Paralleluniversum“ Gefängnis. Für Gefangene ist es schon ein Geschenk, zu jeder Zeit einfach jemanden anrufen zu können, statt sich mit vielen anderen ein Telefon teilen und darauf hoffen zu müssen, just in dieser Minute den Gesprächspartner zu erreichen. Und es ist ein wahres Glück, sich nicht Sorgen machen zu müssen, wie es für Familienmitglieder, von denen man getrennt lebt, ohne einen weitergeht.

Was aber, wenn die eigenen Wurzeln darüber hinaus in einem anderen Land liegen und man mitbekommt, dass das eigene Land angegriffen wird? Man brennt darauf, Nachrichten zu erhalten; hängt am Fernseher. Man sieht im TV vielleicht den eigenen Wohnblock, in dem ein Loch klafft – aber kann nicht helfen, sondern nur wie paralysiert zusehen, wie die eigene Basis zerstört wird, ohne dass man etwas tun könnte – schon gar nicht vom Gefängnis aus.

Seelsorge als kirchliche „Muttersprache“

In Krisen wird deutlich, wie wichtig Kirche ist. Wer in einer Krise ist, braucht Menschen, die da sind und uneingeschränkt zuhören. Seelsorger(innen) tun genau das. Ihre Seelsorge gibt es ohne Vorbedingung. Sie kostet nichts. Und sie möchte auch nichts mit einem oder für eine erreichen. „Seelsorge ist die Muttersprache der Kirche“, heißt es in den Leitsätzen der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland). Diese „Muttersprache“ wird an vielen Orten gesprochen. In der Ortsgemeinde wie auch im Altenheim, im Krankenhaus, im Urlaub (am Ort größtmöglich erlebter Freiheit) – und erst recht dort, wo die Freiheit radikal eingeschränkt ist: in Haft.

Der Staat selbst hat zwar religiös neutral zu bleiben, – aber er muss es ermöglichen, dass Inhaftierte Zugang zu Seelsorge und Gottesdienst erhalten. Das wurde in Deutschland schon in der Weimarer Reichsverfassung (1919) geregelt. Und das deutsche Grundgesetz hat diesen Paragrafen übernommen. Deshalb gibt es in jeder Haftanstalt Seelsorger(innen).

Diese sind nicht nur für die Inhaftierten da, auch wenn für diese Gruppe aufgrund ihrer Situation die meiste Zeit verwendet wird, – sondern sie sind auch Ansprechpartner für die Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) und ebenso für die Angehörigen der Inhaftierten. Auch kirchenferne Menschen nehmen das Angebot wahr. Teils werden die Gefängnisseelsorger(innen) angesprochen, weil Mitinhaftierte, Mitarbeitende der JVA oder Anwälte diese mit folgenden Worten empfohlen haben: „Bei dem Anliegen können wir nicht helfen, – aber die Seelsorger vielleicht.“ Teils liegt es auch einfach an der freundlichen Ausstrahlung der Seelsorgenden. Ein Spezifikum der Gefängnisseelsorger(innen) ist jedenfalls, dass sie sich mit keiner Seite verbrüdern, sondern allen zugewandt und zugleich kritisch sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung