Arbeit macht das Leben süß...

Werbung
Werbung
Werbung

... doch zu viele Süßigkeiten verderben den Magen: Der Sozialethiker leopold neuhold, Referent bei den letztwöchigen "Mariazeller Gesprächen" zum Thema "Wenig Arbeit, viel zu tun", über den Sinnstifter Arbeit - und die Notwendigkeit seiner "Abrüstung".

Ein Mann beim Schneider: Ein Ärmel des Anzuges ist zu kurz. Der Schneider zum Mann: "Ziehen Sie ihren Arm zurück - und der Ärmel passt!" In gekrümmter Armhaltung verharrt der Mann. Auch ein Hosenrohr ist zu kurz. "Ziehen Sie das Bein ein!" Mit einem schmerzhaften Hüftknick steht der Mann da. Mühsam schleppt sich der Mann in dieser Verkrümmung aus der Schneiderwerkstatt. Draußen gehen zwei Männer vorbei. Sagt der eine zum anderen: "Welch armer behinderter Mann!" Darauf der andere: "Aber einen sagenhaften Schneider hat er!"

Dieser Witz illustriert die problematischen Veränderungen im Arbeitswesen. Keine Frage: Die Entwicklung der Arbeit im industriellen System ist eine Erfolgsgeschichte. Die Vermehrung des Wohlstandes, die phänomenale Erweiterung des Konsums, die Ermöglichung eines fast flächendeckenden Sozialsystems, die Vermittlung von - der Entwicklung des Menschen dienlichen - Aufgaben sind nur einige Erfolgskapitel der industriellen Marktgesellschaft. Auf der anderen Seite ist aber die Arbeit im industriellen System mit einigen Einschränkungen verbunden: etwa in Bezug auf die Umwelt, die sozialen Kosten oder dadurch, dass immer mehr Menschen ihr Leben auf die Arbeit reduzieren und ihre Entfaltungsmöglichkeiten damit beschneiden.

Verselbstständigte Arbeit

Die Arbeit ist zu einem Selbstläufer geworden, dessen Sinnhaftigkeit im Ganzen eines geglückten Lebens meist nicht mehr bedacht wird, weil er - teilweise absolut gesetzt - seinerseits die Sinnkomponente besetzt. Diese Verselbstständigung der Arbeit kann wiederum ein Witz treffend illustrieren: Ein Mann hackt wie wild an einem Baum, den er fällen will. Einem Vorübergehenden, der dem schwer arbeitenden Mann zu bedenken gibt: "Mein Lieber, an Ihrer Stelle würde ich zuerst die Axt schärfen!", antwortet er: "Ich habe keine Zeit, ich muss doch den Baum fällen!"

Dazu kommt eine Einengung des Begriffes Arbeit auf abhängige Erwerbsarbeit mit einer Abwertung anderer Formen von Arbeit. Hausfrauen etwa arbeiten in diesem beschränkten Sinne von Arbeit nicht. Familienarbeit des Mannes ist ein Hobby, das ausgeführt wird, wenn "Mann" noch Zeit hat. Wie können wir aber einen "vollen" Arbeitsbegriff und damit Entfaltungsmöglichkeiten in und mit der Arbeit wiederfinden und für die ganz konkrete Arbeitswelt nutzbar machen?

Zum einen muss dies von der Bedeutung der Arbeit her geschehen. Arbeit ist ein Produktionsfaktor, Arbeit ist notwendig zur Existenzsicherung. Doch Arbeit ist noch mehr: Arbeit ist ein wichtiger Ort der sozialen Begegnung und der Integration in die Gesellschaft, Arbeit ist ein Weg der Selbstentfaltung, und Arbeit erhält als Mitarbeit an der Schöpfung Gottes eine ganz besondere Würde. Arbeit hat also personstiftende, gemeinschaftsstiftende und sinnstiftende Funktionen.

Zugleich darf aber Arbeit nicht verabsolutiert werden als der einzige Weg, auf dem der Mensch Mensch werden kann. Arbeit ist nicht alles, sondern hat nur als ein Moment in einem integralen Lebenskonzept ihren Platz. Der Mensch ist nämlich Mensch vor jeder Arbeit, seine Existenz ist geschenkhafte Existenz. Die Leistung ist ein Mittel zur Entfaltung des Lebens. Damit dieses Mittel zum Tragen kommen kann, wird es auch einer "Abrüstung" der Arbeit, die oft zum Hauptzweck des Menschen gemacht wird, bedürfen. Auf der anderen Seite braucht es das Bemühen um eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung, in der möglichst alle einer Arbeit nachgehen können. Auch dazu ist diese Abrüstung der Arbeit notwendig.

Arbeit ist nicht alles

Damit nun solches wenigstens im Ansatz greifen kann, soll ein Modell von Arbeit der Zukunft vorgeschlagen werden. Dabei ist zu betonen, dass es um einen möglichen Ausgleich zwischen der Freiheit des Einzelnen und den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Wirtschaft geht. Dieses Modell schließt sich einen Vorschlag von Orio Giarini und Patrick Liedtke an und modifiziert es. Es ist ein Dreischichtmodell von Arbeit:

1. Ein Minimum an in einem umfassenden Sinn produktiver Arbeit wird für jeden vom Staat garantiert. Der Staat subventioniert so nicht das Untätigsein, sondern Arbeit in - für die Gesellschaft auf verschiedensten Ebenen wichtigen - Feldern (z.B. Umwelt, Soziales). Auch wenn diese Tätigkeiten nicht den Vorstellungen und individuellen Wünschen der Menschen entsprechen sollten, so ist im Dienst an der Gesellschaft Sinnhaftigkeit gelegen. Diese Grundbeschäftigung, die ungefähr das Äquivalent von zwanzig Wochenstunden ausmacht, wird mit einem Mindestgehalt bezahlt. Diese erste Schicht der Arbeit ist anwendbar auf Menschen von 18 bis 78 und ermöglicht dadurch fließende, gestufte Übergänge des Ein- und Austrittes in die bzw. aus der Arbeit. Für Jugendliche besteht die Möglichkeit, während und neben der Ausbildung Arbeitserfahrung zu sammeln. Das Bereitstellen von Arbeit in dieser Schicht ist über eine das Leben garantierende Grundsicherung hinaus mit einer Verpflichtung zur Arbeit verbunden. In diese erste Schicht könnten auch Familienarbeit oder Landschaftspflege einbezogen werden, damit mit diesen wichtigen Tätigkeiten Anerkennung und - über das Symbolische hinausgehende - Abgeltung verbunden werden.

2. Die zweite Schicht bildet bezahlte Arbeit in der freien Wirtschaft, also auf dem traditionellen Arbeitsmarkt, die die erste Schicht der Arbeit ergänzt oder ersetzt. Vor dem Hintergrund der Garantie einer Grundbeschäftigung ist der Arbeitsmarkt entlastet, sodass es leichter ist, wenigstens eine Teilzeitbeschäftigung zu finden. Dazu wird es aber einer Flexibilisierung dieser Schicht der Arbeit bedürfen, beispielsweise des Anbietens verschiedener Arbeitszeitmodelle ohne rechtliche und sonstige Besserstellung des Vollzeitarbeitsmodells. Auch Kombinationen von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen wären möglich. Da der Markt von privater Initiative getragen ist, wird ein drohender Totalitätsanspruch des Staates zurückgedrängt. Der einzelne definiert seinen "Beruf" weitgehend über die Tätigkeit in diesem zweiten Sektor.

3. Eine dritte Schicht bilden die Eigenleistungen und nicht bezahlten freiwilligen, ehrenamtlichen Tätigkeiten. Diese Schicht schafft die Voraussetzung des Funktionierens des Marktsektors und der ersten Schicht der Arbeit und bedarf deshalb der öffentlichen Anerkennung in anderer als geldmäßiger Form.

Die Kombination der verschiedenen Formen der Arbeit muss dem Einzelnen überlassen werden. Aus der Kombination der verschiedenen Schichten der Arbeit kann sich auch ein krasse Ungleichheiten einebnendes Sozialsystem entwickeln lassen. Es wird also in Zukunft um einen Mix aus verschiedenen Arbeitsformen und eine gerechte Verteilung dieser verschiedenen Formen von Arbeit gehen. Dies kann besonders für den Mann wichtig sein, der in der Konzentration nur auf die Marktarbeit ein "halbierter" Mann ist.

Wahrscheinlich kann dieses Modell nicht sofort 1:1 verwirklich werden. Aber abgesehen davon, dass Elemente eines solchen Modells schon verwirklicht sind, kann es als ein Entwurf dienen, auf den hin sich Konkretisierungen beziehen lassen, und es kann damit einen Rahmen für Diskussionen bilden. Wir müssen jedenfalls grundsätzlicher denken, um einer Ethik in der Arbeit und einer geglückten Einordnung der Arbeit in das Leben näher zu kommen. Erst dann wird es wieder möglich werden, dass der Mensch wirklich aufrecht gehen kann.

Der Autor ist Professor am

Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Universität Graz.

BUCHTIPP:

DAS ENDE DER ARBEIT UND IHRE

ZUKUNFT - Neue Konzepte für das

21. Jahrhundert.

Von Jeremy Rifkin. Akt. Neuausgabe. Campus Verlag, Frankfurt/ ew York 2004. 240 Seiten, TB, e 22.60,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung