6957228-1984_34_15.jpg
Digital In Arbeit

Vom Sklavendienst zum Lebensinhalt

19451960198020002020

Möglichst wenig zu arbeiten, wäre für den Menr sehen der Antike erstrebenswert gewesen. Erst die 'säkularisierte Neuzeit hat die Arbeit zum Lebensinhalt gemacht.

19451960198020002020

Möglichst wenig zu arbeiten, wäre für den Menr sehen der Antike erstrebenswert gewesen. Erst die 'säkularisierte Neuzeit hat die Arbeit zum Lebensinhalt gemacht.

Werbung
Werbung
Werbung

Ich habe vor einiger Zeit in den Spruchbüchern des Alten Testaments gelesen, weil ich glaubte, hier müsse sich unter den zahllosen Maximen für den Alltag auch so etwas wie eine Arbeitsethik finden, vielleicht sogar eine Hochschätzung der Arbeit. Die Ausbeute ist aber relativ mager.

Es gibt viele Tätigkeitsregeln, die zum besonnenen Wirtschaften auffordern, vor Verschwendung und Trunksucht, vor sexueller Ausschweifung und vor Schuldenmachen warnen. Auch, daß man den Sklaven, der faul ist, streng bestrafen soll, verlangt Jesus Sirach, allerdings auch, daß man einen Sklaven, insbesondere, wenn man nur einen einzigen hat.

wie einen Bruder behandeln soll. Nur gelegentlich fallen böse Worte gegen Faulenzer.

Eher indirekt wird deutlich, daß ein gottgefälliges Leben am ehesten führen kann, wer seine tägliche Arbeit tut, sich nicht davon durch Genußsucht ablenken läßt und das, was er erarbeitet hat, weise beieinanderhält.

Industriesoziologen würden sagen, es ist eher ein „instrumentel-les Verhältnis zur Arbeit", allerdings noch mit einer besonderen Variante: Der Arbeitserfolg scheint eigentlich nicht eine Folge der Arbeit zu sein, sondern ein Lohn, ein Segen, den Gott denjenigen Menschen zuteil werden läßt, die ihm gehorchen, die weise, besonnen, diszipliniert und unter anderem auch keine Faulenzer sind...

Ich glaube, daß das Christentum zunächst nicht eine klare Gegenposition zu der Einstellung zur Arbeit, wie sie in der antiken Welt vorherrschte, anzubieten hatte. In dieser Welt arbeiteten nicht nur die Sklaven, sondern auch die Bauern und Handwerker. Die vornehmen Leute bildeten aber eine Mußeklasse. Das heißt nicht, daß sie untätig waren. Sie widmeten sich der Politik, übernahmen öffentliche Amter, zogen als Offiziere in den Krieg. Auch die Verwaltung ihrer Besitztümer verlangte allerlei Sorgfalt und Uber-legung.

Außerdem war es würdig und dem Streben nach Vollkommenheit und Weisheit dienlich, sich der Philosophie zu widmen. Da blieb keine Zeit für zupackende, ganztägige Arbeit. Dafür gab es Sklaven. Deshalb mußte es Sklaven geben.

Freilich gab es auch freie Bürger, die ihr Leben mit Arbeiten zubrachten (z. B. Handwerker). Aber sie mußten sich gefallen lassen, als „Banausen" angesehen zu werden, weil sie keine Chance hatten, sich philosophische und politische Bildung zu erwerben...

Zunächst widerspruchsvoll, aber dann doch in die Zukunft weisend, gerade im Hinblick auf die Einschätzung der Arbeit, ist auch die Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung des Klosterwesens ...

Die Begründung, weshalb der Mönch zu arbeiten hat, entspringt eigentlich nicht einer Hochschätzung der Arbeit als solcher. Der Entschluß, auch niedere Arbeit nicht abzulehnen, ist ein Verzicht auf weltliche Privilegien. Die Mönche entstammten ja oft einer Mußeklasse. Der Eintritt ins Kloster bedeutete nicht nur Preisgabe des Vermögens, Verzicht auf weltliche Vergnügungen, auf Familienbindung, auf Ehe, sondern

auch auf das Recht der Vornehmen, nicht arbeiten zu müssen.

Man darf hier nicht vergessen, daß während des Mittelalters Hand in Hand mit der Eroberung heidnischer Gebiete stets auch Klostergründungen vorgenommen wurden. Diese Klöster übernahmen zugleich neben den Aufgaben der Missionierung und der Herrschaftssicherung auch — so würden wir heute sagen — Entwicklungsaufgaben. Sie hoben die Landwirtschaft auf eine höhere Stufe, führten neue handwerkliche Produktionsweisen ein, verbreiteten „schriftliche Kultur", gründeten Schulen. Das heißt, sie leisteten ihren Beitrag dazu, daß menschliche Arbeit methodischer, disziplinierter, stärker spezialisiert, also auch rationeller und effektiver wurde.

Ich brauche nicht ausführlich auf die Bedeutung des Protestantismus für die Entwicklung der Einstellung zur Arbeit und der Arbeit selbst einzugehen.

Klar ist, daß die ursprüngliche Prädestinationslehre des Calvinismus in der weltlichen Arbeit natürlich nicht ein Tun sieht, mit dem der Mensch sich selbst sein Heil „erarbeiten" kann. Allerdings ist leicht nachvollziehbar, daß die Auffassung, am weltlichen Arbeitserfolg könne man erkennen, ob ein Mensch auserwählt sei, bei Aufweichung der Glaubensinhalte in eine innerweltliche Werkgerechtigkeit umkippen kann.

Ich glaube, daß man auch den lutherischen Berufsgedanken nicht vergessen darf. Wenn der Beruf mit seiner Arbeit der Ort ist, an den Gott den Menschen gestellt hat, dann hat jeder Beruf, auch der geringste, auch der, in dem die niederste Arbeit zu verrichten ist, seine Würde ...

Aber eigentlich hat auch für den Protestantismus Arbeit und Beruf noch nicht jenen hohen Rang und tieferen Sinn, wie es für die spätere bürgerliche Gesellschaft kennzeichnend ist. Genaugenommen ist es ein Phänomen der Säkularisierung, wenn Menschen glauben, sie könnten durch Arbeit zu sich selbst gelangen, sich als autonome Persönlichkeit verwirklichen, schöpferisch tätig werden und die Welt nach ihrem Bilde gestalten und gewissermaßen als Junior-Partner die Firma übernehmen, aus der ein alternder Gott sich langsam zurückzieht.

Aus solchem Denken heraus entsteht freilich etwas völlig Neues in der Weltgeschichte: Zum ersten Mal bezieht eine Oberschicht die Forderung: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot

essen!" auch auf sich selbst und fühlt sich auch noch geehrt, obwohl dieses Wort aus der Genesis eigentlich ein Fluch war. Es gibt nunmehr eine Oberschicht, die keine Mußeklasse ist.

Die neue Oberschicht gestaltet aber nun die gesamte Arbeitswelt um, auch denjenigen, die nicht hoffen können, durch Arbeit sich selbst entfalten zu können und schöpferisch zu sein. Diese werden allerdings dazu veranlaßt, rationell, effektiv, pausenlos zu arbeiten. Organisatorische Voraussetzungen, die unfreiwillige Pausen gar nicht erst entstehen lassen, Kontrolle durch Vorgesetzte und schließlich das Diktat der Maschine lassen den modernen Typ der „reinen unvermischten Arbeit" entstehen.

Die „Gekonntheit" der Arbeit und die Ausdauer bei der Arbeit werden durch Erziehung und Ausbildung gesteigert. Sozialisation und Ausbildung werden ihrerseits in den Dienst des Erwerbs von Arbeitsqualitäten und Arbeitstugenden gestellt.

Alles wird dem Nutzen, den die Arbeit nach der Arbeit bringt, untergeordnet.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Göttingen. Auszug aus: ARBEITSWELT IM UMBRUCH. Von Walter Kerber. Schriften der Kath. Akademie Bayern. Pathmos Verlag, Düsseldorf 1984. 156 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung