Barbara Prainsack - © Foto: Gregor Hofbauer

Barbara Prainsack: „Schere geht weiter auseinander“

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In Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen und voranschreitender Automatisierung könnte das bedingungslose Grundeinkommen viele Probleme lösen, meint Politologin Barbara Prainsack.

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In Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen und voranschreitender Automatisierung könnte das bedingungslose Grundeinkommen viele Probleme lösen, meint Politologin Barbara Prainsack.

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Barbara Prainsack, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität in Wien, plädiert in ihrem Buch „Vom Wert des Menschen“ für ein bedingungsloses Grundeinkommen – und erklärt, warum es jetzt in der Krise einen neuen Arbeitsbegriff braucht. Ein Gespräch über Leistung, Lohn und Luxus.

DIE FURCHE: Frau Prainsack, Sie erklären in Ihrem Buch „Vom Wert des Menschen“, warum jetzt die Zeit für das bedingungslose Grundeinkommen angebrochen sei. Die Idee wird in Debatten aber häufig als radikal oder Utopie abgetan. Zu Recht?
Barbara Prainsack: Ich glaube, es gibt verschiedene Gründe, war um der Gedanke als radikal angesehen wird. Die Verknüpfung von Arbeit und Tugend spielt in der christlichen Tradition eine große Rolle. Mit der industriellen Revolution und der Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsort wurde dann Arbeit mit lohnabhängiger Erwerbsarbeit gleichgesetzt. Es ist etwas, für das man „aus dem Haus“ geht. Und auch die Idee, dass man für Arbeit Geld bekommt, ist zu etwas Unhinterfragtem geworden. Dies ist jedoch nicht etwas, das man als gegeben ansehen muss.

DIE FURCHE: Braucht es einen neuen Arbeitsbegriff, der Geld und Arbeit trennt?
Prainsack: Ja, weil wenn man sich in Österreich ansieht, woher die Menschen ihr Einkommen beziehen, dann spielt Erwerbsarbeit für viele Menschen schon heute keine große Rolle: für Menschen, die zu jung oder zu alt sind für die Erwerbsarbeit, zum Beispiel; für Menschen, die keine Erwerbsarbeit finden können; und für einige Menschen kommt ein großer Teil ihres Einkommens aus dem Kapitalvermögen. Für sie gibt es jetzt schon ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil Vermögen in Österreich so wenig besteuert wird. Doch das wird komischerweise nicht als Bedrohung angesehen. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Verbindung von Geld und Arbeit neu zu denken.

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DIE FURCHE: Wie könnte ein moderner, zeitgemäßer Arbeitsbegriff künftig aussehen? Prainsack: Ich würde sagen, alles, was ich nicht für mich, sondern für andere Menschen tue, ist eine Form von Arbeit. Es sind Beiträge, die Menschen für andere Menschen leisten. Natürlich kann man hier zwischen Pflegearbeit, Kulturarbeit, Kindererziehung oder der Erwerbsarbeit außer Haus unterscheiden. Diese Tätigkeiten sind nicht alle gleich, aber sie zählen als Arbeit. Wenn ich jedoch auf der Börse spekuliere, dann stellt sich schon die Frage, ob das noch Arbeit ist. Es ist unerträglich, dass Systemerhalter und Systemerhalterinnen beklatscht werden, wir jedoch keine faire Bezahlung für sie durchsetzen können. Ich gehe außerdem davon aus, dass Menschen, die gesund sind, auch arbeiten wollen. Natürlich wird es dann einige wenige geben, die zu Hause sitzen und nur Playstation spielen. Aber das müssen wir als Gesellschaft aushalten können.

Alles, was ich für andere Menschen tue, ist Arbeit. Ob Spekulationen an der Börse dazugehören, bleibt fraglich.

Barbara Prainsack

DIE FURCHE: Welche weiteren Vorteile sehen Sie darin?
Prainsack: Gerade jetzt, in einer Zeit von steigenden Arbeitslosenzahlen, hätte das bedingungslose Grundeinkommen den Vorteil, dass ich Menschen nicht einteile in die Kategorie „Gut genug für den Arbeitsmarkt“ und „Nicht vermittelbar“. In den meisten Studien hat sich herausgestellt, dass das Grundeinkommen nicht zu einem erheblichen Rückgang der klassischen Erwerbsarbeit führt. Und dort, wo es Rückgänge gibt, sind es gute Rückgänge. Zum Beispiel sind junge Männer länger in der Ausbildung geblieben, und junge Mütter konnten sich von Tätigkeiten lösen, die sie neben dem Kind nicht managen konnten. Menschen wären weniger Burnout-gefährdet. Auch das würde uns Kosten im Gesundheits- und Sozialsystem ersparen. Es ist ja derzeit noch so, dass in vielen gesundheitsschädigenden, gefährlichen Jobs Menschen immer noch billiger sind als Maschinen. Doch die Automatisierung wird voranschreiten. Andere schlecht bezahlte Arbeiten, wie die Pflege, kann man nicht automatisieren. Und diese Frauen würden dann besser bezahlt werden, weil sie eine Wahl hätten, wann und für wen sie arbeiten.

DIE FURCHE: Aber kann man das den Unternehmern zumuten?
Prainsack: Erstens bekommen auch Unternehmer ein Grundeinkommen, auch Millionäre würden eines bekommen, also alle Menschen. Zweitens könnte das Grundeinkommen auch eine Lohn-Subvention bedeuten. Menschen, die etwas gerne tun, würden das dann unter Umständen für weniger Geld tun, weil sie ja zusätzlich auch das Grundeinkommen haben. Drittens würde sich selbstverständlich etwas bei den Lohnnebenkosten ändern, weil bestimmte Abgaben wegfallen. So gäbe es keine Arbeitslosenversicherung mehr. Auch die Krankenversicherungsbeiträge müssten sich verändern, wenn die Krankenversicherung nicht mehr an den Erwerbsstatus gekoppelt ist.

Die Menschen bekommen mit, dass die Zahl der Arbeitslosen steigt und es gleichzeitig in der Immobilienbranche eine Hochkonjunktur gibt.

Barbara Prainsack

DIE FURCHE: Und das Arbeitsmarktservice würde dann verschwinden?
Prainsack: Nein, das Arbeitsmarktservice würde neue Aufgaben übernehmen. Im HighSkills-Bereich könnte das AMS Menschen weiterbilden oder umschulen. All das wäre mit dem Grundeinkommen selbstverständlich weiterhin möglich. Derzeit haben wir ja das Ideal der Vollbeschäftigung. Doch dieses entspricht einfach nicht mehr der Realität, da wir viele Kreuzungen haben. Wir haben neue, prekäre Arbeitsbedingungen, flexiblere Arbeitszeiten – und wir haben schlichtweg Menschen, die aufgrund von Erkrankungen nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrierbar sind. Das ist die Realität, die wir anerkennen müssen.

DIE FURCHE: Hat die Sozialdemokratie hier versagt, weil immer mehr Menschen trotz Arbeit nicht genug zum Leben haben?
Prainsack: Ein großer Teil der ökonomischen Aktivitäten findet nicht mehr in der Realökonomie statt. Und das ist ein sehr großes Problem. Immer mehr Gewinne fließen in Finanzmärkte und werden in diesen erzielt – und nicht in Firmen investiert, die etwas produzieren und Arbeitskräfte bezahlen. Große Autokonzerne etwa machen immer mehr Geld mit Finanzprodukten – und nicht nur mit dem Verkauf von Autos. Und das gilt für ganz viele Branchen. Diese Tatsache nützt niemandem etwas außer den Shareholdern. Und die zunehmende Vernetzung von öffentlichen und wirtschaftlichen Interessen hat schon dazu beigetragen, dass Politiker, auch in Österreich, zunehmend zu Vertretern der Interessen großer Unternehmen und Konzerne geworden sind. Die Idee ist nicht mehr, dass die Wirtschaft den Menschen dienen soll, sondern die Menschen der Wirtschaft.

DIE FURCHE: Warum glauben Sie, dass sich das jetzt ändern könnte?
Prainsack: Es gibt in jedem Fall neue Denkmodelle und Initiativen. Eine davon, die in der Schweiz derzeit als „Vollgeld“-Initiative bekannt ist, setzt sich dafür ein, die Produktion des Geldes in die Kontrolle der Bevölkerung, und nicht der privaten Banken zu stellen. Die Zentralbank sollte Geld produzieren und es der öffentlichen Hand und den Betrieben zinsfrei zur Verfügung stellen. Ein solches gesichertes Geld könnte in Bankenkrisen nicht verschwinden – und Finanzspekulationen wären eingedämmt. Irgendetwas muss sich ändern: Die Menschen bekommen mit, dass die Zahl der Arbeitslosen zwar seit sechs Monaten steigt – es gleichzeitig aber in der Immobilienbranche eine Hochkonjunktur gibt. Die Schere geht im Schnelltempo weiter auseinander.

DIE FURCHE: In Ihrem Buch geht es auch um die Idee der Vorverteilung. Was ist damit gemeint?
Prainsack: Vorverteilung meint, im Gegensatz zur Umverteilung, dass das Geld, noch bevor es umverteilt wird, in Dinge fließt, die für alle einen Mehrwert bedeuten, wie etwa in die Infrastruktur, in Bildung und vieles mehr. Es kann bedeuten, dass es eine kostengünstige Hochschulbildung und eine kostengünstige Krankenversorgung gibt. All das zählt zur Vorverteilung. Denn natürlich soll es nicht so sein, dass man mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, von etwa 1500 Euro, alles andere privatisiert. Der Staat würde es sich zu leicht machen, wenn er sagt: „Ich gebe dir 1500 Euro, und du zahlst dir alles selbst.“ Das Modell der Vorverteilung spielt hier also weiterhin eine Rolle. Und es ist in Österreich – noch – selbstverständlich. Aber in anderen Ländern längst nicht mehr.

Natürlich wird es einige wenige geben, die zu Hause sitzen und Playstation spielen. Aber das müssen wir als Gesellschaft aushalten können.

Barbara Prainsack

DIE FURCHE: Wie ließe sich das bedingungslose Grundeinkommen finanzieren?
Prainsack: Wenn man nicht davon ausgeht, dass dann kaum jemand mehr einer Erwerbsarbeit nachgeht, dann ist es finanzierbar. Wie genau, dafür gibt es viele unterschiedliche Modelle. Diese zielen auf geringere Kosten im Gesundheitssystem, auf eine veränderte Einkommensstruktur, eine Erhöhung der Konsumsteuer, eine Einführung der Vermögenssteuer und vieles mehr ab. Und man hört auch immer häufiger das Argument, dass der Staat, solange die Geldmenge durch Wirtschaftsleistung gedeckt ist, auch Geld ausgeben kann, ohne dass dies eine große Gefahr darstellt. Dies wäre ein Neudenken alter, keynesianischer Ideen. Nämlich dass der Staat Geld ausgibt, das am Ende den Bürgern zugutekommt – nur diesmal auch direkt. Damit möchte ich nicht gesagt haben, dass es egal ist, was später passiert. Aber die Vorstellung, dass der Staat alles Geld, das er ausgibt, vorher eingenommen haben muss, stimmt so nicht.

Barbara Prainsack - © Foto: Brandstätter Verlag
© Foto: Brandstätter Verlag
Buch

Vom Wert des Menschen

Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen
Von Barbara Prainsack
Brandstätter 2020, 192 S., TB, € 20,–

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