"Tun, was ich wirklich, wirklich will"

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Der Philosoph Frithjof Bergmann im furche-Gespräch über seine Utopie der "Neuen Arbeit".

Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen, angesichts der Tatsache, dass es immer weniger Arbeitsplätze im herkömmlichen Sinn gibt: die zunehmende Arbeitslosigkeit in den industrialisierten Ländern steht im Schatten der Millionen Menschen, die in den Slums von Bombay, Kairo oder Johannesburg leben und für die es schier unmöglich erscheint "richtige" Jobs zu schaffen. Seit Anfang der 80er Jahre arbeitet der Philosoph Frithjof Bergmann nun schon unermüdlich an neuen Perspektiven für die Arbeitsgesellschaft. Seine Alternative zur herkömmlichen Lohnarbeit nennt er die "Neue Arbeit". Bergmann ist eine schillernde Persönlichkeit: 1930 in Sachsen geboren, wuchs er in Österreich auf und wanderte mit 19 Jahren nach Amerika aus. Über abenteuerliche Umwege als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter gelangte er schließlich zur Philosophie. Er lehrte unter anderem in Princeton, Stanford, Berkeley und Ann Arbor. 1984 gründete er das erste Zentrum für Neue Arbeit in der Automobilstadt Flint in Michigan mit General Motors. Seit den 80er Jahren berät Bergmann neben Unternehmen auch Gewerkschaften, Regierungen, Jugendliche und Obdachlose in den usa, in Europa und in diversen Ländern der "Dritten Welt".

Die Furche: Sie vertreten die Ansicht, dass mit dem Eintritt in das post-industrielle Zeitalter auch die Lohnarbeit durch eine neue Form der Arbeit ersetzt werden muss: Wie sieht Ihre Utopie der "Neuen Arbeit" und der "Neuen Kultur" aus?

Frithjof Bergmann: Zum einen geht es mir darum, eine Form der Arbeit zu entwickeln, bei der das zentrale Anliegen lautet, dass jemand etwas "wirklich, wirklich" tun will - im Gegensatz zur Lohnarbeit und der Vorstellung, dass man seine Arbeit - die oft gar nichts mit den eigentlichen Talenten eines Menschen zu tun hat - für jemand anderen macht, der für diese Arbeit bezahlt und dem diese Arbeit letzten Endes aber noch mehr Profit schafft als mir. Da kann man sich etwas Besseres ausdenken. Das beinhaltet natürlich auch die Frage, wie Menschen das, was ich "die Armut der Begierde" nenne, nämlich das nicht Wissen, was man eigentlich in seinem Leben tatsächlich auch gerne arbeiten würde, überwunden werden kann und wie diese Arbeitsform wirtschaftlich realisierbar ist.

Die zweite Komponente meiner Utopie ist die Idee einer neuen Form der Selbstversorgung durch die High-Tech-Eigenproduktion.

Die Furche: Zunächst zur High-Tech-Eigenproduktion: Was kann man sich unter dieser neue Selbstversorgung vorstellen?

Bergmann: Es geht dabei nicht etwa darum, Tomaten und Orangen selbst anzubauen - quasi als Rückschritt in die vor-industrielle bäuerliche Produktionsweise - oder darum, dass die Menschen in ihren privaten Kellern mit biblischem Schweiß die Dinge selbst produzieren: das geht auch eleganter. Die "Dinosaurier des Industriezeitalters", die großen Fabriken, werden in der Zukunft durch viele kleine, hochtechnisierte, flexible Werkstätten ersetzt werden, die den Menschen ermöglichen, bis zu 80 Prozent aller nötigen Verbrauchsgüter - in einer Form und einem Design, das ihnen zusagt - zu produzieren, und das bei weitem effizienter und sparsamer. Durch die Weiterentwicklung des Computers wird es in Zukunft möglichen sein, nicht nur Papier zu bedrucken, sondern alle Gegenstände zu produzieren, die für ein elegantes, komfortables und modernes Leben nötig sind. Ich stelle mir diese Gemeinschaftswerkstätten als eine Art Pendant zu den Internet Cafés vor, also eine Art "Produktions-Cafés".

Der Gedanke der High-Tech-Eigenproduktion wird allerdings oft missverstanden. Das hat, denke ich, etwas mit dem Alter zu tun: Die alte Generation ist bockig und weil sie sich das nicht vorstellen kann, heißt es sofort: Das ist Sience-Fiction.

Ich stelle mir das so vor, dass man, modellhaft gesprochen, ungefähr einen Tag in der Woche im Treibhaus verbringt, um sich mit Nahrungsmittel zu versorgen, ein bis zwei Tage geht man, so wie jetzt, der Lohnarbeit nach, damit man etwas Bargeld verdient und den Rest der Woche verbringt man mit seiner Wunscharbeit, der Arbeit, die man "wirklich, wirklich" will.

Die Furche: Wie steht es aber um die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit dieser selbstbestimmten Wunscharbeit?

Bergmann: Was die Wirtschaftlichkeit der Wunscharbeit angeht, habe ich das Gefühl, auf dickem Eis zu sein: Jeder Mensch, der einen Betrieb managt, weiß, dass dort unglaublich viel "blau gemacht" wird. Auch wird sehr viel Geld für, wie man sie auf Englisch nennt, "Motivational speakers" ausgegeben: Leute, die in den Betrieb kommen, um Stimmung zu machen und die Beschäftigten anzufeuern: "Arbeitet, arbeitet!" Sehr oft funktioniert das aber gar nicht gut. Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass Menschen miserabel arbeiten, wenn sie unter Zwang stehen und ihrer Arbeit nachgehen, als wäre sie eine milde Krankheit, und unvergleichlich viel intensiver und produktiver arbeiten, wenn sie etwas tun, das sie begeistert und an das sie glauben.

Die Furche: Unter diesem Gesichtspunkt mag Neue Arbeit ja für Betriebe interessant sein, wer aber bezahlt sie, vor allem wenn sie nicht im Rahmen der herkömmlichen Lohnarbeit möglich ist?

Bergmann: Für viele Menschen ist dieser finanzielle Aspekt ein wunder Punkt. Zunächst muss man bedenken, dass man auf Grund der neuen Form der Selbstversorgung ohnehin weniger Geld brauchen würde. Zweitens bekommt man etwas zusätzliches Bargeld durch die Lohnarbeit, die ja nicht völlig abgeschafft werden soll. Vor allem könnte man, anstatt den Unternehmen, wie es derzeit der Fall ist, Subventionen zu zahlen, den Menschen Stipendien auszahlen, damit sie der Arbeit, die sie wirklich wollen, nachgehen können. Im Augenblick werde enorme Beträge dafür ausgegeben, um das klapprige und kranke Lohnarbeitssystem zu unterstützen: Abgesehen von den staatlichen Finanzspritzen für Unternehmen geht das bis hinunter zu dem Geld, das ausgegeben wird, um Arbeitsplätze zu vermitteln. All das Geld, das im Moment ausgegeben wird, um die Lohnarbeit aufzupäppeln, wäre viel vernünftiger in die Arbeit von Menschen investiert, die sie auch wirklich tun wollen.

Mein Lieblingsbeispiel stammt aus Südafrika, wo circa 280 Millionen Dollar, die genaue Zahl weiß ich leider nicht, in die Rehabilitation eines Bergwerks geflossen sind und letztendlich sind ganze13 Arbeitsplätze entstanden.

Manche schätzen das Verhältnis der Kosten von einem Arbeitsplatz der neuen Art und einem herkömmlichen Job, der geschaffen werden soll, mit 1:1000 ein. Ein Stipendium für eine Arbeit, die jemand auch wirklich tun will, würde also nur ein Bruchstück von dem kosten, was im Augenblick ausgegeben wird, um einen Arbeitsplatz zu schaffen. Und wenn diese Relation ungefähr stimmt, dann würde es sehr viel Sinn machen, ein solches Stipendiensystem einzuführen. Ich möchte noch hinzufügen, dass ich sehr für Stipendien und gegen ein Grundeinkommen bin, das von vielen gefordert wird, denn dieses macht den Menschen abhängig und nicht selbstbestimmt.

Die Furche: Sie wollen die Lohnarbeit also nicht gänzlich ausgemerzt sehen?

Bergmann: Nein, denn ich glaube, es wäre einfach zu anstrengend, immer nur das zu tun, was man will. Ich betrachte es also nicht als Kompromiss, wenn ein Drittel der Zeit weiterhin mit Lohnarbeit verbracht wird, sondern als etwas absolut Positives. Ich betone auch immer, dass es mir nicht darum geht etwas völlig Neues zu erfinden, sondern etwas weiter zu entwickeln, was bereits vorhanden ist: Menschen, die einer Arbeit nachgehen, die sie wirklich wollen, gibt es schon immer, ich denke da zum Beispiel an Erfinder und Künstler.

Die Furche: Wenn es so einfach wäre, würden ja sicher schon alle einer Neuen Arbeit nachgehen ...

Bergmann: So wie ich die Welt sehe, hängt derzeit unheimlich viel davon ab, dass die meisten Menschen sich nichts anderes auch nur vorstellen können und deshalb sagen sie zu allem ja: mehr Steuern, mehr Arbeit, knappere Altersversicherung. Ich versuche mit aller Kraft, das, woran ich arbeite, zu einer konkreten und realisierbaren Alternative in den Köpfen von vielen Menschen zu machen. Es geht mir nicht darum, eine Alternative für eine kleine privilegierte Gruppe zu entwickeln, sondern eine für einen großen Teil der Menschheit.

Die Furche: Worin liegen die Schwierigkeiten, die Menschen von der Neuen Arbeit zu überzeugen?

Bergmann: Man stelle sich eine Gruppe von Männern vor, die herumhocken und seit Generationen überhaupt nichts tun. Wenn man einfach in eine Spelunke hineinmarschiert und diese Männer fragt, was sie wirklich tun wollen, anstatt einfach nur da zu sitzen und die achte Flasche Bier zu trinken, bekommt man eine sehr grobe Antwort. Das liegt zum einen an dem, was ich die "Armut der Begierde" nenne, nämlich die Unfähigkeit, Wünsche zu äußern und eigene Projekte zu realisieren. Nicht zuletzt deshalb klammern wir uns an Jobs, die nicht nur unseren Lebensunterhalt, sondern einen Platz in der Gesellschaft sichern.

Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen tief in sich drinnen doch immer etwas finden, das ihnen schon ewig vorschwebt, aber leider nicht geklappt hat. Das muss gar nichts Außergewöhnliches sein: Etwas, das mich als Mann wirklich sehr gerührt hat, ist von Arbeitern zu hören, wie wenig Zeit sie für ihre eigenen Kinder haben und wie sehr sie mit Kindern arbeiten möchten. Natürlich spielt aber auch das Kreative sehr oft eine Rolle. Bei unserer Arbeit ist vor allem wichtig, eine Fülle von Vorschlägen machen zu können und den Menschen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen.

Das Gespräch führte Veronika Thiel.

Info: www.newwork-newculture.net

Buchtipp:

Neue Arbeit, Neue Kultur

Von Frithjof Bergmann. Aus dem Amerikanischen von Stephan Schuhmacher

Arbor Verlag, Freiamt, 2004.

440 Seiten, geb., e 25,50

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