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Markus Marterbauer und Margit Appel sind sich einig, dass der Sozialstaat neu gedacht werden muss. Während aber Appel im bedingungslosen Grundeinkommen eine Abkehr von einem ökonomisch verengten Menschenbild sieht, lehnt Marterbauer das Konzept ab: der Mittelstand würde zu stark belastet.

Zunehmende Ungleichheit der Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit und rasche Ausweitung prekärer Arbeitsformen sowie hohe Armutsgefährdung bilden brennende Herausforderungen für den Sozialstaat. Doch die finanziellen Spielräume für die Sozialpolitik sind eng. Denn die hohe Arbeitslosigkeit und das anhaltende Zurückbleiben der Löhne und Gehälter hinter den Einkommen aus Besitz rauben dem Sozialstaat Einnahmen in Höhe von mehreren Milliarden Euro.

Damit kommt das bedingungslose Grundeinkommen wieder als Alternative zum Sozialstaat ins Spiel. Es ist ohne Zweifel umsetzbar und finanzierbar. Ein Grundeinkommen von 800 Euro pro Person und Monat würde pro Jahr etwa 80 Milliarden Euro kosten. Das entspricht den in der Sozialquote erfassten Aufwendungen des Staates für Sozialtransfers (Pensionen, Arbeitslosengelder, Familienbeihilfen u. a.) und das Gesundheitssystem. Bei gleich hohen Steuern und Beiträgen können diese Leistungen des Staates durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bewohner des Landes ersetzt werden.

Zu Lasten der Mittelschicht

Würde das auch sozialen Fortschritt bedeuten? Nein. Die Reform geht vor allem zu Lasten der erwerbstätigen Mittelschicht. Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 1800 Euro pro Monat zahlt man 18% Sozialversicherungsbeiträge, 15% Lohnsteuer und vom verfügbaren Einkommen 15% Mehrwertsteuer, dafür erhält man heute umfassende Leistungen des Staates. Der Mittelstand müsste nun bereit sein, die Abgaben weiter zu entrichten, sich auf der Leistungsseite aber auf das Grundeinkommen zu beschränken. Zum Beispiel durch eine Reduktion der Alterspension von derzeit durchschnittlich 1200 Euro auf das Grundeinkommen von 800 Euro oder den Verzicht auf die kostenlose Behandlung bei Ärzten und in Spitälern.

Für die Bezieher von Notstandshilfe (derzeit durchschnittlich 570 Euro) oder Sozialhilfe (je nach Bundesland etwa 450 Euro plus Wohnbeihilfe) würde das Grundeinkommen unmittelbar eine soziale Verbesserung bedeuten. Doch wie lange wäre der Mittelstand bereit, auf seine Leistungen zu verzichten? Es würden sich wohl rasch Mehrheiten dafür finden, das Grundeinkommen zu reduzieren.

Die Qualität des Sozialstaates basiert auf guten Leistungen für mittlere und obere Einkommensgruppen. Sie sorgen für deren Bereitschaft, in den Sozialtopf einzuzahlen, aus dem viel Geld für die unteren Einkommensgruppen fließt. Das untere Drittel zahlt laut Verteilungsstudie des WIFO 9% aller Steuern und Beiträge, erhält aber 29% aller Staatsausgaben und 47% aller Sozialausgaben.

Zusätzlich zum bestehenden Sozialstaat kann das bedingungslose Grundeinkommen sicherlich nicht eingeführt werden. Dafür fehlen zig Milliarden, die alleine durch eine Erhöhung von vermögensbezogenen Steuern nicht aufgebracht werden können.

Die Ziele eines Grundeinkommens sind richtig: Bekämpfung von Armut, gerechtere Verteilung zwischen Männern und Frauen, Schaffung von Freiräumen. Sie lassen sich viel besser durch Reformen im Sozialstaat erreichen. Etwa durch den Ausbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die die Lücken des sozialen Netzes schließt; eine aktive Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik, die Jugendlichen, Frauen und Langzeitarbeitslosen den (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt und damit ein Erwerbseinkommen ermöglicht; den Umbau vom Geldleistungs-zum Dienstleistungssozialstaat durch Ausbau der Kindergärten und Pflegeleistungen; Investitionen ins Aus- und Weiterbildungssystem, die zu Chancengleichheit für Kinder aus unteren sozialen Schichten führen; eine Verkürzung der Arbeitszeit, die niedrigere Arbeitslosigkeit und mehr Freizeit und Bildungszeit ermöglicht. Diese Maßnahmen verbessern die Wettbewerbsfähigkeit in der Wissensgesellschaft, sorgen für eine gerechtere Verteilung von Einkommen und sozialen Chancen und erleichtern die Finanzierbarkeit des Sozialstaates. Sie kommen vor allem den Frauen zugute - viel stärker als ein Grundeinkommen. Markus Marterbauer

Arbeit

Markus Marterbauer und Margit Appel referierten bei der 23. Waldviertel Akademie, die vergangene Woche in Weitra stattgefunden hat, über ihren Zugang zum Thema "Grundeinkommen und Sozialsystem". "Arbeit - zwischen Fremd- und Selbstbestimmung" war die leitende Fragestellung der Veranstaltung, bei der das jetzige ökonomische System von vielen Perspektiven aus kritisch unter die Lupe genommen und Reformansätze angedacht wurden.

Marterbauer ist seit 1994 Referent für Konjunktur und Makroökonomie im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Appel beschäftigt sich in der Katholischen Sozialakademie Österreichs mit gesellschaftspolitischen Themen und mit politischer Bildung. Sie ist überdies Koordinatorin des "Netzwerkes Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt-B.I.E.N. Austria."

Viel ist vom Reformbedarf des Sozialstaates die Rede; im Zusammenhang damit von den zukünftigen Formen und Funktionen von Erwerbsarbeit. Was wir für die Zukunft brauchen, ist ein gut ausgebauter Sozialstaat, reich an guten Dienstleistungen und reich an existenzsichernden Geldleistungen. Ein Element eines solchen Sozialstaates soll eine steuerfinanzierte, personenbezogene, in existenzsichernder Höhe ausbezahlte Geldleistung sein. Sie steht jedermann und jederfrau unabhängig von ihrem Status am Erwerbsarbeitsmarkt als Rechtsanspruch zur Verfügung: ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Der gesellschaftliche Konsens zur Finanzierung eines solchen Sozialstaates wird aus dem Wissen um die, den sozialen Zusammenhalt sichernde, umverteilende Wirkung des sozialstaatlichen Systems kommen (die Rate der Armutsgefährdung läge in Österreich ohne Sozialtransfers nicht bei 12% sondern bei 40%) und aus der Erfahrung von hoher Qualität der angebotenen Dienstleistungen für alle Bevölkerungsgruppen - nicht nur für die, die es brauchen!

Auf Zukunft hin gesehen geht es um einen Sozialstaat mit Eigenwert. Es geht um ein Umdenken: Sozialstaat nicht als - je nach politischer Orientierung - mehr oder weniger geliebtes Reparaturinstrument für "Auslasser" des Erwerbsarbeitsmarktes. Der Sozialstaat muss in seiner gesellschaftlichen Integrationskraft gestärkt werden; einer Integrationskraft, die wir immer noch überwiegend der Erwerbsarbeit zuschreiben.

Dabei ist offenkundig, dass über den Erwerbsarbeitsmarkt immer nur jene Gruppen gesellschaftlich gut integriert waren und integriert sein werden, die jeweils zur Ausführung der gerade marktfähigen Arbeit gebraucht werden. Frauen wurden lange nicht oder nur zu ganz bestimmten Bedingungen im Bereich der Erwerbsarbeit gebraucht (sehr wohl aber zur unbezahlten Sicherstellung der gesellschaftlich notwendigen, aber nicht marktfähigen Reproduktionsarbeit), die hohe Altersarbeitslosigkeit zeigt, dass ältere Arbeitnehmer nicht gebraucht werden, ebenso Migranten der zweiten Generation oder junge Erwachsene.

Heute funktioniert das System so, dass zentrale politische und soziale Rechte an den Besitz eines Arbeitsplatzes gebunden bleiben: das Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen, auf Aus- und Weiterbildung, auf Bildung von Interessenorganisationen, auf Sozialleistungen. So haben dann die einen die immer weniger werdenden "Normalarbeitsplätze" (dauerhaft sozialversicherungsrechtlich abgesichert) und verfügen damit über einen (Erwerbsarbeits-)Bürgerstatus; die anderen müssen sich mit Teilnahmegelegenheiten zufrieden geben und finden sich in der Rolle der Sozialschmarotzer wieder, denen - bei aller Leistung und Wertschöpfung, die auch sie erbringen - pauschal Leistungsunwilligkeit unterstellt und deren Lebensweise staatlich kontrolliert werden darf.

Neues Menschenbild

Das bedingungslose Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe stört bei entsprechender Ausgestaltung im Rahmen eines gut ausgebauten Sozialstaates diesen heute ungebrochen wirksamen Disziplinierungseffekt von Erwerbsarbeitsmarkt und Sozialstaat gewaltig. Grundeinkommen - so der Sozialphilosoph Manfred Füllsack - ist jener Bereich, in dem sich unsere Gesellschaft erspart zu prüfen, was Menschen tun. Und gerade ein solcher Bereich des "Nicht-Wissens" führt den entscheidenden Schritt weg von dem ethisch fragwürdigen und empirisch gar nicht eindeutig belegbaren Menschenbild, wir würden nur durch (ökonomische) Anreize zu gesellschaftlich wünschenswertem Verhalten gebracht. Demgegenüber wird ein Grundeinkommen vielmehr der aktuellen Situation gerecht, dass in unserer Wissensgesellschaft die Innovationskraft und Kreativität, die Kompetenzen und das Arbeitsvermögen vieler Menschen an produktiven Leistungen Anteil haben. So ist es auch nur schlüssig, durch den u. a. mit einem Grundeinkommen existenzgesicherten Raum selbstbestimmte Arbeit und Tätigsein zu ermöglichen und abzusichern und mit dieser Form des Sozialstaates die demokratische Gleichheit der Bürger zu fundieren.

Margit Appel

Wem gehört der Wohlstand? Perspektiven für eine neue

österreichische Wirtschaftspolitik.

Von Markus Marterbauer

Verlag Paul Zsolnay, Wien 2007

303 Seiten, geb., € 24,20

www.grundeinkommen.at

www.waldviertelakademie.at

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