Von der Utopie zum Experiment

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Was passiert, wenn der Staat allen Menschen ein Grundeinkommen zur Verfügung stellt, von dem sie leben können - ganz ohne Gegenleis tungen zu fordern? Würden sich die Leute trotzdem noch einen Job suchen, würden die Kosten für die Stadt steigen oder gar sinken, wie würde sich das soziale Verhalten der Menschen ändern? Genau das soll in Utrecht, der viertgrößten Stadt der Niederlande, in Kürze getestet werden: 300 Testpersonen sollen monatlich 900 Euro erhalten, für einen Zweipersonenhaushalt gibt es 1300 Euro. In fünf Testgruppen wird es jeweils andere Auflagen geben, die erfüllt werden müssen, um das Geld zu erhalten, in einer Gruppe gibt es das Geld ohne Auflagen.

Auch Finnland will das bedingungslose Grundeinkommen für alle Bürger testen. Im Oktober 2015 startete eine Vorstudie zur Untersuchung darüber, wie das Grundeinkommen in Finnland umgesetzt werden könnte. Im nächsten Jahr soll ein zweijähriges Experiment folgen, das die Auswirkungen eines Grundeinkommens auf die individuelle Arbeitswilligkeit und die Veränderungen am Arbeitsmarkt prüft. Die konservative Regierung stellte für das Experiment ganze 20 Milliarden Euro zur Verfügung. Helsinki hofft, so die Arbeitslosenzahlen zu senken und sein unübersichtliches Sozialsystem aufräumen zu können.

Ähnliche Sozialexperimente gab es bereits in einigen US-Städten wie Seattle oder Denver in den 1970er-Jahren. Damals sind die Effekte auf den Arbeitsmarkt eher moderat ausgefallen. Zur Finanzierung des Grundeinkommens müsste es allerdings grundlegende Änderungen im Steuerund Sozialversicherungs-System geben.

1000 Euro monatlich pro Erwachsenem würden bei acht Millionen Einwohnern über 80 Milliarden Euro jährlich kosten. Das ist weniger als die gesamten derzeitigen Sozialausgaben inklusive Pensionen und Gesundheitsausgaben.

Die Schweiz schreitet voran

Der Umsetzung des Grundeinkommens am nähesten sind die Eidgenossen: Am 5. Juni stimmt die Schweiz als erstes Land der Welt über eine Einführung ab. Die Volksinitiative, hinter der eine Gruppe von Publizisten, Künstlern und Intellelektuellen steht, wird von einer deutlichen Mehrheit im Schweizer Parlament abgelehnt. Sogar Vertreter der Sozialdemokraten und der Grünen lehnten den Vorschlag mehrheitlich ab. Dennoch hatte die Initiative mehr Stimmen als jedes andere Anliegen seit 1891 bekommen: 130.000 Eidgenossen haben den Antrag zur Durchführung der Volksbefragung unterschrieben. Gäbe es eine Mehrheit für die Idee - was als sehr unwahrscheinlich gilt - müsste in die Verfassung des Landes aufgenommen werden, dass das einzuführende Grundeinkommen "der gesamten Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen" soll. Die Initiatoren gehen von dem stolzen Betrag von 2500 Schweizer Franken monatlich aus, der rund 2270 Euro entspricht.

Laut einer Umfrage des Schweizer Meinungsforschungs-Instituts Demoscope gaben zehn Prozent der Erwerbstätigen an, dass sie dann ganz oder eher aufhören würden zu arbeiten. 54 Prozent der Befragten gaben an, sie würden die neu gewonnene Zeit nützen, um sich weiterzubilden, 53 Prozent würden sich mehr Zeit für ihre Familie nehmen und 22 Prozent würden sich selbstständig machen. Eine Mehrheit von 56 Prozent kann sich nicht vorstellen, dass die Idee je umgesetzt wird. Anders sehen das die Jungen: Dort sind es 48 Prozent, die an eine Einführung in den nächten 25 Jahren glauben. Fest steht jedenfalls: Das Grundeinkommen wird dann eingeführt, wenn die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger das wollen.

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