Die Eidgenossen bleiben vorerst skeptisch

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Die Schweizer werden am 5. Juni wohl mehrheitlich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) stimmen. Der Vorstoß hat dennoch eine breite Debatte über Sozialsystem und Arbeitsmarkt ausgelöst.

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Die Schweizer werden am 5. Juni wohl mehrheitlich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) stimmen. Der Vorstoß hat dennoch eine breite Debatte über Sozialsystem und Arbeitsmarkt ausgelöst.

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Der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen" - das ist der Anspruch der "Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen"(BGE). Würde die Volksabstimmung am Sonntag zu einem mehrheitlichen "Ja" führen, bekämen alle Schweizer vom Staat ein monatliches Grundeinkommen, das an keine Leistung gekoppelt ist. Für Erwachsene sehen die Initiatoren 2500 Franken (2256 Euro) vor, für Kinder 625 Franken (567 Euro). Doch am 5. Juni könnten die Stimmberechtigten lediglich den Grundstein dafür legen. Sämtliche Fragen zur Ausgestaltung und Finanzierung des neuen Sozialsystems wären dem Parlament überlassen. Selbst die Höhe des Grundeinkommens würde erst nach der Abstimmung per Gesetz festgelegt werden.

Traditionell sind den Schweizern Sozialmaßnahmen mit umstrittener Finanzierung suspekt. So scheiterten an der Referendums- Urne bereits Initiativen für einen Mindestlohn von rund 12,50 Euro und für eine Verlängerung des gesetzlichen Mindesturlaubs von vier auf sechs Wochen. Auch bei dieser Abstimmung werden sich laut dem Marktforschungsinsitut Dalia Research nur etwa 25 Prozent der Schweizer für die neue Sozialmaßnahme aussprechen. In der EU hingegen würden insgesamt 64 Prozent aller EU-Bürger bei einem Referendum für ein Grundeinkommen stimmen. Doch zurück in die Schweiz, wo Bundesrat und Parlament den Vorschlag ablehnen. Außer den Grünen sind dort alle Parteien dagegen, auch die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Arbeits- und Fachkräftemangel in der Schweiz weiter verschärfen, meinen Kritiker. Die Einführung eines Grundeinkommens würde das traditionelle Sozialsystem, das gezielter und differenzierter sei als ein BGE, auf den Kopf stellen - mit unabsehbaren Folgen, heißt es. Kritiker fragen auch, wieso ein Millionärssohn den gleichen Betrag erhalten soll wie eine invalide Person.

Ansprüche über Existenzminimum hinaus

Vertreter der Volksinitiative kontern darauf, dass Sozialleistungen weiter dort erbracht werden würden, wo ein nachweislicher Bedarf über die Höhe des Grundeinkommens hinaus vorliegt. Zudem stelle sich die Frage, warum Menschen mit einem Grundeinkommen aufhören sollten zu arbeiten, wo sie doch bislang auch nicht die Arbeit niedergelegt haben, sobald sie 2500 Franken verdient haben. Die meisten Menschen würden sich mehr als bloß ein Existenzminimum für sich und ihre Familien wünschen. Außerdem bestünde in Zeiten der Robotisierung und Digitalisierung vielmehr das gegenteilige Problem: Es gibt immer weniger Arbeit, auf die die Menschen jedoch existenziell angewiesen sind.

Zur Finanzierung des Grundeinkommens wären große Einsparungen oder Steuererhöhungen nötig, meinen Grundeinkommens-Gegner. Der Bundesrat rechnet mit einer Finanzierungslücke von 25 Milliarden Franken jährlich. Denn die Summe aller Grundeinkommen käme auf 208 Milliarden Franken jährlich, was einem Drittel des Schweizer Bruttoinlandsproduktes entspricht.

Befürworter spielen indessen mit unterschiedlichen Ideen für zeitgemäße und sinnvolle Steuern. Sie halten die Finanzierung für keine Frage des zusätzlichen Geldes, sondern für eine "schlichte Umwandlung des heute bedingten Grundeinkommensanteils in einen bedingungslosen", so Daniel Häni, Sprecher der Grundeinkommen-Initiative. Zur Deckung der entstehenden Kosten hat sich der ehemalige Schweizer SP-Vizekanzler Oswald Sigg für eine Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Er ist überzeugt, dass mit der Sozialmaßnahme die Gesellschaft nicht der allgemeinen Faulheit anheimfallen würde. "Im Gegenteil: Dank des Grundeinkommens wäre man nicht mehr darauf angewiesen, möglichst viel Geld zu generieren, und könnte sich eine Lehre in einem Tieflohnbetrieb leisten."

In den Niederlanden und in Finnland wird das Grundeinkommen bereits auf kommunaler Ebene in Pilotversuchen getestet. In Finnland kommt ab 2017 eine "Light-Version": Konkret sollen jene Menschen rund 723 Euro erhalten, die bislang mehr Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe erhalten haben, als sie im Falle einer Arbeitsaufnahme in ihrem Beruf verdienen würden - und daher wenig Anlass hatten, etwa als Pflegekräfte zu arbeiten. Während in Finnland namentlich bürgerliche Kreise der Idee viel Zuspruch entgegenbringen, unterstützen in der Schweiz vor allem rot-grüne Kreise das bedingungslose Grundeinkommen.

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