Grundeinkommen: Geld zum Leben

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist kein Wundermittel und hilft allein nicht aus der Krise. Dennoch sollte man gerade jetzt darüber debattieren. Ein Gastkommentar von Margit Appel.

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist kein Wundermittel und hilft allein nicht aus der Krise. Dennoch sollte man gerade jetzt darüber debattieren. Ein Gastkommentar von Margit Appel.

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In Zeiten von Corona fordern diverse Petitionen ein „Krisen-Grundeinkommen“. Die Reiseleiter(innen) wollen tausend Euro monatlich für ein halbes Jahr; die Frauenministerin soll sich für eine solche Zahlung an Frauen einsetzen, die in den Lockdown-Wochen mit Mehrfach­belastungen konfrontiert waren; die Gewerk­schaften und die SPÖ fordern eine deutliche Erhöhung des Arbeitslosengeldes; die FPÖ will einen „einmaligen Tausender“ für alle;­ Kleinstunternehmer(innen) sollen ebenfalls nicht weniger als tausend Euro bekommen. Die Absicherung der freischaffenden Künstler(innen) in Form einer monatlichen Zahlung in dieser Höhe scheint indes gelungen zu sein – für die Sozialversicherten unter ihnen.

Die aktuelle Krise zeigt überdeutlich, wie rasch Menschen bedürftig werden. Auch jene, die gestern noch vielversprechende Einkommenspläne als Ein-Personen-Unternehmer(innen) oder Mittelständler verfolgten. Auch jene Arbeitnehmer(innen), die bislang mit ihren Jobs ein sicheres Auskommen hatten. Auch wird der Fehler in der Vorstellung deutlich, eine Bundesregierung könnte – selbst in guter Kooperation mit Kammern und Gewerkschaften – Maßnahmen ergreifen, welche die passgenaue Antwort auf jede einzelne Bedürftigkeitssituation bieten. Und das noch „rasch und unbürokratisch“. Umso klarer wird: Es wäre gut, wenn es bereits jetzt ein solches Grundeinkommen gäbe!

In der Krise wird es eng

In der aktuellen Spiegel-Ausgabe geht es etwa um die Pandemiefolgen für die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen. Beschrieben wird unter anderem die Erfahrung eines jahrelang in seinem erlernten Beruf als Großhandelskaufmann Tätigen, der bei „Grundeinkommen e.V.“ gewonnen hat. Der deutsche Verein verlost regelmäßig Jahresgehälter in der Höhe von 12.000 Euro, finanziert durch Crowdfunding – und dokumentiert die Erfahrungen. Jetzt, in der Kurzarbeit, wird es für den jungen Mann sehr eng. Aber da ist ja noch das Grundeinkommen. Die Schlussfolgerung aus der Erfahrung dieses Falls, laut Spiegel: Grundeinkommen in das Infektionsschutzgesetz einarbeiten – und bei der nächsten Pandemie stünde das Instrument dann bereit.

Ganz selbstverständlich hat man sich wieder darauf verlassen, dass vor allem Frauen die Krisenfolgen auffangen.

So lange sollten wir aber nicht warten. Besser Erfahrungen und Erkenntnisse aus der ersten Phase der Coronakrise rascher nutzen. Die klare Erkenntnis lautet: Alle Menschen brauchen ein Einkommen. Das ist wenig überraschend, es zeigt sich nur gerade besonders deutlich. Gebraucht werden verlässliche, individuelle Einkommen, in existenzsichernder Höhe und dauerhaft. Ein Einkommen ohne komplizierte Prüfungen, ohne viel Bürokratie, ohne das Nadelöhr Erwerbsarbeitsplatz. Ein Grundeinkommen eben. Damit ist weder der Sozialstaat zur Gänze obsolet, schon gar nicht die soziale Infrastruktur. Damit braucht es weiterhin Einkommen aus Erwerbsarbeit, Gewerkschaften und Lohnpolitik; es braucht weiterhin Verteilungspolitik, auch entschiedene Maßnahmen zur Verteilung unbezahlter Arbeit (insbesondere Sorge-Arbeit) zwischen Männern und Frauen.

Ganz selbstverständlich hat man sich wieder darauf verlassen, dass vor allem Frauen die Krisenfolgen bedingungslos auffangen. Ein Grundeinkommen allein ändert diese Ungleichheitsstrukturen nicht, „Herdprämie“ ist es aber auch keine. Als soziales Recht ist es auch dann garantiert, wenn man sich nicht rollenkonform verhält. Das Grundeinkommen kann so etwas wie das „Demogeld“ sein, um gegen patriarchale Strukturen auftreten zu können. Die deutsche Politikwissenschafterin Silke Bothfeld hat kürzlich argumentiert, dass Erwerbstätige in schlechter Marktposition gezwungen sind, sich „risikoavers“ zu verhalten. Sind Frauen nicht häufig in einer solchen schlechten Marktposition, und macht ihre erzwungene Risikoaversion es nicht so einfach, sie als „Krisen-Airbags“ (Christa Wichterich) zu benutzen?

Sich risikoavers verhalten, also etwa schlechte Bezahlung und schwierige Arbeitsbedingungen akzeptieren, um einen längeren Ausschluss vom Arbeitsmarkt zu vermeiden, müssen auch viele Angehörige der in der Krise entdeckten „Held(inn)en des Alltags“. Supermarktangestellte, 24-Stunden-Pflegende, Reinigungspersonal, Paketsortierer und Erntehelfer(innen): Ihre Heroisierung verdeckt nur die aufrecht bleibende gesellschaftliche Platzzuweisung, den herrschenden Erwerbsarbeitszwang lassen wir nur allzu gerne unangetastet. Weil wir befürchten, dass bestimmte Jobs zu diesen Löhnen, diesen Arbeitsbedingungen und der geringen gesellschaftlichen Anerkennung dann nicht mehr gemacht werden? Nach den tiefen Einblicken der letzten Wochen in so manche Arbeitsverhältnisse – im Tourismus oder in der Fleischindustrie – haben wir als Gesellschaft dieses Thema mit oder ohne Grundeinkommen ohnehin auf dem Tisch!

Emanzipation und Demokratie

Die Bedeutung eines Grundeinkommens – wie es auch von der soeben verstorbenen Vordenkerin Lieselotte Wohlgenannt beschrieben wurde – liegt in seiner langfristigen Wirkung. Das Grundeinkommen ist kein Wundermittel, und es braucht einen intensiven Prozess, um es in emanzipatorischer Form mit demokratischer Mehrheit umsetzen zu können. Und mit einem Grundeinkommen allein kommt man auch nicht durch eine Krise.

Dennoch lässt sich sagen: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wird eine breite Palette an Leistungen anerkannt. Die Tatkraft und Kreativität vieler Menschen in der Coronakrise geben ein beeindruckendes Beispiel. Grundeinkommen stärkt die Selbsterhaltungsfähigkeit: Man muss nicht ganz unten angekommen sein und den Glauben an die Politik schon verloren haben. Der aufrechte Gang der Bürger(innen) kann eher gelingen, der Zwang zur Anpassung und zu falschem Gehorsam schwächt sich ab. Der Auftrag an die Regierung, für ein solches Einkommen für alle zu sorgen, ist also zu Recht immer deutlicher zu hören.

Die Autorin ist Politikwissenschafterin und engagiert sich im Netzwerk „Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt“.

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