Soziale Sicherheit macht Gesellschaften nicht arm

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Alle Generationen brauchen den Sozialstaat. Keine Generation kann die allgemeinen Lebensrisiken (Unfall, Krankheit, Arbeitsplatzverlust, nicht marktfähige Ausbildungen, zerbrechende private Beziehungen, eingeschränkte Mobilität, Phasen niedriger oder nicht existenzsichernder Einkommen, hohe Lebenserwartung mit Pflegebedarf, ?) und schon gar nicht die Auswirkungen struktureller Wirtschaftskrisen durch individuelle Vorsorge oder ein noch so hohes Maß an Eigenverantwortung bewältigen.

Der große Vertrauensverlust der heute 20 bis 30-Jährigen in die solidarischen Sicherungssysteme wäre schon seit Jahren als Vorbote einer massiven Gefährdung des sozialen Zusammenhaltes ernst zu nehmen gewesen. Erlebt haben wir, dass kurzsichtige Politik- und Wirtschaftsverantwortliche diesen Vertrauensverlust als gelungene Umorientierung gefeiert haben. Umorientierung wohin? In Richtung Entsolidarisierung und Akzeptanz von noch mehr Marktabhängigkeit? Die Tatsache, dass das vorliegende Budget keinerlei Ansätze längst überfälliger Strukturreformen erkennen lässt, ist ein Beweis dafür, dass dieser Regierung der gerade für junge Menschen so wichtige Blick in eine längerfristige Zukunft weitgehend fremd - oder nicht wichtig genug - ist. Vergraulen wir den Jungen den Sozialstaat, dann können wir uns die anderen Jahrgänge als WählerInnen erhalten, scheint die ausgegebene Devise - nicht erst dieser - Regierung zu sein.

Undifferenziert und handstreichartig

Die undifferenzierte und handstreichartige Kürzung der Familienbeihilfe sowohl für Studierende zwischen 24 und 26 sowie für 18- bis 21-jährige Arbeitslose lässt jede Orientierung am sonst so hoch gehaltenen Vertrauensgrundsatz vermissen. Diese Eingriffe bei den Jungen (egal, wie sie jetzt noch abgemildert werden) legen den Verdacht nahe, dass dort, wo ohnehin noch kein eigenständiger, stabiler Lebensstandard erwirtschaftet werden konnte, auch kein solcher garantiert werden muss! Übersehen wird auch, dass in dieser Altersphase soziale Transferleistungen sowohl in den Familien der jungen Erwerbslosen als auch der Studierenden über das Monetäre hinaus wichtige stabilisierende Wirkungen haben ("sitzt zu Hause, findet keinen Job, aber wir kriegen immerhin die Familienbeihilfe"; "braucht jetzt noch zwei Semester, aber immerhin, es gibt die Familienbeihilfe und damit die Mitversicherung"). Ja, sie haben sogar etwas von Wahrung der Würde junger Leute, weil sie ihr Taschengeld oder den Beitrag zum Lebensaufwand in der WG nicht ausschließlich aus der Tasche der Eltern brauchen, sondern erleben, dass ihre Lebenssituation als solidarisch unterstützenswert eingestuft wird - so wie eben die Lebenslagen von älteren Menschen nach der Phase der Erwerbsarbeit, bei Pflegebedürftigkeit etc.

Der Sozialstaat: historisch eine Solidargemeinschaft der Erwerbs- und Post-Erwerbstätigen? Aber wie damit umgehen, dass der Zugang zu dieser Gemeinschaft vielen jungen Menschen - auch den gut ausgebildeten - heute aufgrund eines irgendwie mutlosen Bildungssystems, großen Veränderungen des Arbeitsmarktes und starker Flexibilisierung der Erwerbsarbeitsverhältnisse äußerst schwer und oft nur unter prekären Bedingungen gelingt? Soziale Sicherheit, so das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, macht Gesellschaften nicht arm, sondern ist ein wesentliches Element des sozialen Zusammenhalts. Soziale Sicherheit ist ein Recht jeder Generation, nicht nur der, die sich Rechte "wohl erwerben" konnte.

* Die Autorin ist Referatsleiterin an der Katholischen Sozial-akademie Österreichs

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