Wieviel Soziales verträgt der Staat?

Werbung
Werbung
Werbung

Den Sozialstaat will heute kaum jemand missen, und er trägt stark zum sozialen Frieden im Land bei. Doch neben den Grenzen des Sozialen gibt es auch Lücken, denn mit der Veränderung der Gesellschaft muss sich auch die soziale Verantwortung des Staates wandeln.

Heute ist es auch Aufgabe der Kirchen, unternehmerische Verantwortung einzufordern und auf soziale Missstände hinzuweisen, war der einhellige Tenor einer Veranstaltung am 15. November in der Katholisch-Theologischen Privatuniversität (KTU) in Linz. Im Rahmen der Diskussion rund um das Thema, ob es ein Zuviel an Sozialstaat geben kann, meldete sich im Publikum eine Zuhörerin, die meinte, man soll nicht immer nur auf die Unternehmen schauen, wenngleich das unerlässlich sei. Die Kirchen und auch die Allgemeinheit sollen auch die Ethik jedes einzelnen Arbeitnehmers ansprechen. Denn jeder trägt Verantwortung in der Gesellschaft. Und wenn es verantwortungslos ist, dass ein Betrieb die gesetzlichen Vorgaben aushöhlt und seine Mitarbeiter ausbeutet, so ist es auch unethisch, wenn ein Mitarbeiter "blau macht", nur weil er oder sie an einem Tag ganz einfach nicht in der Stimmung ist zu arbeiten.

Denn ist die Rede vom Sozialstaat, dann kommt sofort die Frage nach der Gerechtigkeit, ob denn jeder, der da Ansprüche geltend macht, diese auch wirklich nötig hat.

Vorschnelles Urteil

Bei der Frage der Gerechtigkeit meldete sich - bei der von Furche-Chefredakteur Rudolf Mitlöhner geleiteten Diskussion - Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich, zu Wort. Seiner Meinung nach wird in Österreich zu vorschnell geurteilt, wenn jemand den Sozialstaat in Anspruch nimmt. Vor allem geht es nicht darum, "dass wir einen zu großen Sozialstaat haben, sondern darum, dass seine Fehlsteuerungen behoben werden müssen". So ist Österreich laut Chalupka, obwohl hohe Mittel für Familien und Bildung aufgewendet werden, nicht unbedingt ein familienfreundliches Land, und das Bildungssystem ist alles andere als sozial durchlässig. Die ganz große Herausforderung für den Sozialstaat wird aber die Pflege der älteren Menschen sein, denn wenn man als Patient einmal den Status "Austherapiert" bekommen hat, hört der Staat - bis auf die geringen Mittel aus dem Pflegegeld - auf, sozial zu sein. Ferdinand Reisinger, Professor an der KTU, gab zu bedenken, dass wir uns, in einem Zeitalter der "Zuvielisation" befinden und zitiert damit den Berliner Soziologen Bernd Guggenberger. Der Begriff Sozialstaat ist schon lange kein Kampfbegriff mehr, und dennoch gibt es gewisse Mindeststandards noch immer nicht für alle, so ist Reisinger überzeugt.

Und vor allem muss das Soziale neu gedacht werden, denn ein moderner Sozialstaat muss sich heute anderen Herausforderungen stellen als früher, wie zum Beispiel der Migration, dem Negativwachstum der Bevölkerung, den Auswüchsen der Freizeitkultur und vieles mehr. In all diesen Bereichen gibt es "neue" Opfer, derer sich der Sozialstaat annehmen muss. Und was kann die Kirche tun? Für Reisinger soll die Kirche krisenbewusst, aber nicht hysterisch agieren und sie muss vor allem bei ihrer Sache bleiben, denn "sie kann nicht alles machen, was gerecht ist". Vor allem aber muss die Kirche auf Fairness plädieren, das heißt auch, dass jene, die mehr fordern, nicht automatisch als Schmarotzer deklassiert werden. "Wir müssen hier mit der Sprachkultur sehr behutsam umgehen", sagt Reisinger.

Grenzen der Solidarität

Klaus Pöttinger, Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich, stellte die Frage in den Raum, ob es nicht doch auch Grenzen für einen Sozialstaat gibt. Er wählt hierfür das Beispiel der Solidarität, die für ihn die Basis des Sozialstaates darstellt. Solidarität für die Menschen in der eigenen Umgebung ist für viele vorstellbar, und da würden sich auch viele sozial zeigen, doch würde man Solidarität mit der ganzen Welt einfordern, so käme man ganz schnell an die Grenzen des Machbaren. "Hilfe geben ist ok, doch daraus darf kein Rechtsanspruch werden", sagt Pöttinger weiter, denn sonst käme man sehr schnell zum "moral hazard": zur Ausbeutung eines Systems, das grundsätzlich dafür da ist, Menschen zu helfen, die ohne Hilfe durch den sozialen Rost fallen.

Pöttinger hält somit auch die Grundsicherung generell für eine gute Idee, doch würde sie vor allem jene Menschen, die nur etwas mehr verdienen als die Grundsicherung ausmacht, davon abhalten, sich eine Arbeit zu suchen. Dieser Meinung kann Chalupka nichts abgewinnen. Er glaubt fest daran, dass sich die Menschen trotz einer Grundsicherung eine Arbeit suchen werden. Denn ist es mit 726 Euro so hoch wie die Armutsgrenze, muss man ohnehin rund 95 Prozent des Geldes für Wohnen, Heizen und Essen ausgeben und es bliebe kaum etwas übrig für Bildung, Mobilität und Kommunikation. Und Reisinger modelt den Spruch der Wirtschaftskammer um: "Wenn es den Menschen schlecht geht, wird es der Wirtschaft nie gut gehen." "Doch zuerst muss der Wohlstand erwirtschaftet werden, erst dann kann es einen Sozialstaat geben", sagt Pöttinger und plädiert dafür, sich statt für ein Grundeinkommen dafür einzusetzen, jene Menschen zu integrieren, die derzeit vom Erwerbsprozess ausgeschlossen sind.

Diese Seite entstand in Kooperation mit der Industriellenvereinigung Österreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung