6929861-1982_25_05.jpg
Digital In Arbeit

Nur Geld allein lindert die soziale Not nicht

Werbung
Werbung
Werbung

In einer Zeit, die sich von der Unfinanzierbarkeit der Sozialversicherung, steigender Arbeitslosigkeit und einer allgemeinen Wirtschaftskrise bedroht sieht, findet sich wohl kaum ein aktuelleres Thema der Sozialpolitik, freilich auch kaum ein weniger leicht lösbares: die soziale Sicherheit in einer unsicheren Welt.

Das wurde auch bei der Jahrestagung des steirischen Karl-Kummer-Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform am 18. und 19. Juni in Graz deutlich.

Die Ausgangslage ist durch den Wandel der Strukturen, durch Konflikte zwischen den Generationen, durch regionale Ungleichgewichte und durch die Gefährdung des Friedens — gekennzeichnet von Unsicherheit also.

Konnte die Sozialpolitik bisher ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht werden, den jeweils dazuer-worbenen Wohlstand gerechter zu verteilen helfen, steht sie heute vor einem Dilemma. Einerseits findet sie keinen neuen Wohlstand mehr vor und andererseits sieht sie sich mit Wünschen nach dauernder Erweiterung der sozialen Sicherheit konfrontiert.

Dazu gesellt sich die Erkenntnis, daß soziale Nöte durch Geld allein nicht zu lindern sind. Ein noch dichteres Netz sozialer Hilfen wird nur durch die Weckung eines Sozialbewußtseins, durch die Bereitschaft, freiwillige Leistungen auf Basis der Mitmenschlichkeit zu erbringen (Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfegruppen), durch die materielle und ideelle Förderung solcher Leistungen — und nicht zuletzt durch entsprechende Informationen über bereits bestehende Möglichkeiten, soziale Hilfen zu erlangen, zu flechten sein.

Angesichts solcher Prämissen stellt sich die Frage nach der Zukunft des Wohlfahrtsstaates von selbst.

Seine ursprünglichen Zielsetzungen bezogen sich auf eine durch gesamtwirtschaftliche Verantwortung begründete Umverteilung und den Schutz vor Risiken mittels einer adäquaten makroökonomischen Wirtschaftspolitik. Ohne auf die Funktionen des Marktes verzichten zu wollen, sollten die Negativa des Kapitalismus beseitigt oder neutralisiert werden. Dabei kam es zur Ent-ideologisierung der Grundfragen und zur Suche nach der optimalen technokratischen Lösung.

Dem nunmehr zu teuer gewordenen System stehen einige, als Therapie mißverstandene Symptomkuren gegenüber. Es sei nur auf Mitterands und Reagans Ansätze verwiesen, die zwar gegensätzlich aufgebaut sind, die aber das wegen ihrer Unbedingtheit voraussehbare Scheitern verbindet.

Der Wohlfahrtsstaat als Antwort auf die sozialen Krisen der Industriealisierung hat durch die Herstellung von Stabilität und Ordnung, durch seine integrative Wirkung die angestrebten gesellschaftlichen Ziele erreicht.

Durch das allgemeine Wahlrecht und die entstandene „Geschenke-Demokratie” hat er sich auf alle Bereiche zu erstrecken begonnen. Er ist so heute eine Quelle jener Unsicherheit geworden, zu deren Bekämpfung er entwickelt worden war.

Die klassische Sozialpolitik weiß keine Antwort auf die Neue Soziale Frage, die wirklich Armen sind heute kinderreiche Familien, Alte und alleinstehende Frauen.

Die Zukunft des Sozialstaates wird nur dann gesichert sein, wenn die finanziellen und organisatorischen Fragen gelöst sind. Ein „Weiterwursteln”, heute als „Krisenmanagement” bezeichnet, kann nicht mehr helfen.

Es gilt, eine konsequente Sparpolitik herbeizuführen; an die Stelle ungehemmter Leistungsausweitung muß die Konzentration auf wirklich Hilfsbedürftige treten. Der größte soziale Mangel der Gegenwart heißt nicht mehr „materielle Not,” sondern „seelische Armut”.

Statt einer instrumentalisierten Beziehung der Menschen untereinander (Geld — Ware oder Leistung — Geld) ist neuer Raum für menschliche Begegnung zu schaffen. Bürokratie und Marktmechanismus, die diese Funktionen an sich gezogen haben, sind weitgehend optimiert, die rein menschliche Komponente des Beziehungsgeflechtes aber verkümmert zusehends.

Als Voraussetzung dieser,.Politik angewandter Subsidiarität” nannte Warnfried Dettling, Leiter der Hauptabteilung Politik in der Bundesgeschäftsstelle der CDU, in Graz stabile wirtschaftliche Verhältnisse und ebenso stabile gesellschaftliche Verhältnisse. Wenn der Wohlfahrtsstaat weiter bestehen soll, werde eine Entscheidung zwischen „Mensch” und „Ökonomie” fallen müssen: zu wessen Gunsten ist offensichtlich.

Das heißt: Soziale Bindungen, die durch die Bürokratie ersetzt worden sind, müssen wieder an die Menschen zurückgegeben werden.

Aufgabe von Politik und Wirtschaft wird es sein müssen, die Grundlagen und die Realisierung ökonomischer Stabilität zu schaffen. Aufgabe aller aber wird es sein müssen, eine an Menschlichkeit reichere Gesellschaft anzustreben.

Als ein Anwendungsbeispiel für die Erlangung höherer sozialer Sicherheit trotz unsicherer Ausgangslage wurde bei der Grazer Tagung die Möglichkeit erörtert, das bestehende System des Lohnarbeitsvertrages durch neue Formen abzulösen.

Der Salzburger Universitäts-Professor Theo Mayer-Maly, der sich in seinem Beitrag mehrfach auf schon in den fünfziger Jahren erhobene Forderungen Karl Kummers bezog, stellte dem gegenwärtigen System ein breites Spektrum denkbarer und teilweise bereits realisierter Formen der Beteiligung von Arbeitnehmern am eigenen Unternehmen gegenüber (Werksgenossenschaftsgesetz von 1946, Bauhütte Leitl; Süß-muth-Glashütte und Verlag Bertelsmann in der BRD).

Was Mayer-Maly für diese konkrete Sachfrage, wiederum Karl Kummer zitierend, als das wesentlichste Handlungsprinzip hervorhob, nämlich mit Konsequenz und Beharrlichkeit, aber frei von erzwungener Uberstürzt-heit vorzugehen und das Neue stets anzustreben, erweist seine Gültigkeit für alle sozialreforma-torischen Anliegen gerade heute. „Denn”, so Mayer-Maly resümierend, „wir stehen am Anfang einer bedeutungsvollen Evolution der Sozialpolitik.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung