Süße Zuckerl oder saure Drops

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ÖVP-Klubchef und Vize-Parteivorsitzender wilhelm molterer lässt an den SPÖ-Plänen kein gutes Haar.

Die Furche: Laut SPÖ-Budgetsprecher Christoph Matznetter bedeute der Entwurf zum SPÖ-Wirtschaftsprogramm einen Kampf um die Herzen der Menschen. Fürchten Sie sich vor der Wirtschaftskompetenz der Sozialdemokraten?

Wilhelm Molterer: Nach der Entwicklung der vergangenen Tage würde ich eher sagen, die SPÖ muss Angst haben, denn so zerfleddert und zerzaust war noch kaum irgendeine Konzeption.

Die Furche: Die SPÖ betont, der Entwurf sei eine Gegenposition zur neoliberalen Regierungspolitik...

Molterer: Da halte ich es mit Hannes Androsch, der gesagt hat, er kenne in Österreich niemanden, der Liberalismus vertritt. Einer der Schlüsselsätze in dem Konzept lautet: Eine hohe Staatsquote ist ein Maßstab für den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft. Das halte ich für ökonomischen Humbug und politisch für eine gefährliche Drohung. Die Konsequenz wäre: Der Staat mit der höchsten Steuerquote ist der mit dem höchsten Zivilisationsstand. Da steckt auch die Frage dahinter, welche Rolle der Staat haben soll, weil ja eine hohe Staatsquote immer mit staatlichen Aufgaben verbunden ist. Mein Verständnis ist, dass der Staat stark sein soll, wo wir ihn dringend brauchen, bei Bildung, Forschung und Entwicklung beispielsweise, sich aber in vielen anderen Bereichen zurückziehen muss.

Die Furche: Die Wirtschaftspolitik beider Parteien, der SPÖ und der ÖVP, will im Sinne der Standortsicherung Maßnahmen setzen. Mit kommendem Jahr wird die Körperschaftssteuer, also die Gewinnsteuer der Unternehmen, auf 25 Prozent gesenkt. Die SPÖ spricht von Steuergeschenken an die Unternehmer, zudem werden Vermögen überhaupt zu gering besteuert im Vergleich zu Löhnen und Einkommen. Tatsächlich ist im Vergleich zum EU-Durchschnitt die Besteuerung von Arbeit hoch, die von Vermögen gering.

Molterer: Die Entlastung der zweiten Etappe der Steuerreform beträgt 2,5 Milliarden Euro. Eine Milliarde Entlastung fließt in die Lohn- und Einkommenssteuern vor allem im kleinen und mittleren Einkommensbereich und führt dazu, dass nach der Umsetzung der Steuerentlastungen nächstes Jahr an die zweieinhalb Millionen Lohn- und Einkommenssteuerpflichtige gar keine Lohn- und Einkommenssteuer mehr bezahlen, weil eben die Steuergrenze im Sinne der Steuerfreiheit angehoben worden ist. Man muss bedenken, dass es etwa 45 Prozent aller Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen sind, die gar keine Lohn- und Einkommenssteuer mehr bezahlen, das ist die große Masse der kleinen Einkommensbezieher. Es ist richtig, dass wir auch im mittleren Einkommenssegment eine Entlastung haben, weil wir auch die Balance finden müssen, damit wir die Leistungsträger nicht überfordern. Ich denke, dass das sozial sehr ausbalanciert ist. Eine weitere Milliarde Euro ist im Bereich der Körperschaftssteuer und der Gruppenbesteuerung von Unternehmen entlastend. Die Betriebe, die von Entlastungen bei Einkommenssteuer, nicht entnommenen Gewinnen und KÖSt profitieren, machen 80 Prozent aller Unternehmen aus, in denen der Großteil der österreichischen Arbeitnehmer arbeitet. Man kann also den Spieß umdrehen: Unsere Strategie heißt, die Unternehmen in Österreich zu halten. Wenn ein Unternehmen abwandert, sind die Arbeitsplätze verloren. Übersehen wird, dass in der erweiterten EU die Hürden für die Abwanderung von Unternehmen und damit Arbeitsplätzen geringer geworden sind. Daher sind wir von der Standortseite her stärker gefordert. Der dritte Teil von den 2,5 Milliarden der zweiten Etappe wird natürlich in einem hohen Ausmaß im Familienbereich eingesetzt und für die Pendler.

Die Furche: Die Sozialdemokraten finden aber, dass gerade Vermögen zu wenig besteuert wird.

Molterer: Vermögen mehr besteuern, das klingt im ersten Moment sehr gut. Aber: Auch Sparbücher und Eigenheime sind Vermögen. Deshalb haben wir uns - zu Zeiten einer anderen Regierungskonstellation - mit der SPÖ geeinigt auf 25 Prozent Kapitalertragssteuer, weil wir wollten, dass das Kapital in Österreich bleibt.

Die Furche: Wie sieht es aus mit der Forderung, die Höchstbemessungsgrundlage zu erhöhen und die Besteuerungsgrundlage zu verbreitern?

Molterer: Verbreitern heißt natürlich erhöhen. Ich bin dagegen. Wir haben in Österreich immer ein Prinzip gehabt - und darüber bestand meiner Meinung nach Konsens -, nach dem vor allem die Krankenversicherung eine Solidarleistung zwischen den Gesunden und den Kranken ist. Jeder bezahlt bis zu einem bestimmten Einkommen ansteigend, darin besteht ja auch ein Verteilungseffekt, der aber durch die Höchstbeitragsgrundlage begrenzt wird. Ergänzt wird das dadurch, dass auch ein Teil des Sozialsystems aus den Steuern bezahlt wird. Und dadurch haben wir auch einen Verteilungseffekt, weil wir ja die Progression haben. Wenn das wegfällt, wird die Progression substanziell verschärft. Wir müssen aber schon aufpassen, dass wir nicht auf immer weniger Leute immer schwerere Lasten legen. Ich glaube daher, dass dieses System sehr ausgewogen ist. Es berücksichtigt die notwendige Solidarität, aber auch, dass man den Mittelstand nicht überfordern darf.

Die Furche:Wie schätzen Sie die Chancen bei den Wählern mit so einem Programm ein?

Molterer: Manche süßen Zuckerln werden schnell zu sauren Drops, vor allem in der Ökonomie. Und die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, was geht und was nicht und dass wir uns - im doppelten Sinn des Wortes - nicht mehr alles leisten können, was wir uns in der Vergangenheit geleistet haben.

WIFO-Wirtschaftsforscher markus marterbauer kann dem SPÖ-Entwurf einiges abgewinnen.

Die Furche: Die SPÖ plant mit ihrem Entwurf zu einem neuen Wirtschaftsprogramm eine Abkehr vom Neoliberalismus der Regierung. Agiert diese tatsächlich so neoliberal?

Markus Marterbauer: Einzelne zentrale Ziele, wie jene der vollständigen Privatisierung, die Senkung der Abgabenquote auf weniger als 40 Prozent des BIP oder der Vorrang des "Nulldefizits" gegenüber der Vollbeschäftigung deuten in diese Richtung.

Die Furche: Wenn es nach der SPÖ ginge, soll künftig mehr in die öffentliche Infrastruktur investiert werden, was zu einer erhöhten Nachfrage führen würde.

Marterbauer: Die Steigerung der Nachfrage durch Investitionen der öffentlichen Hand kann kurzfristig einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitsmarktlage haben, sollte aber natürlich nicht allein unter diesem Gesichtspunkt erfolgen. Sie müssen auch langfristigen Notwendigkeiten genügen. Das ist bei Investitionen wie Infrastruktur, zum Beispiel in die Verkehrsanbindung an die Beitrittsländer oder in die Informationstechnologien sicherlich der Fall.

Die Furche: Verglichen mit dem Durchschnitt der EU wird in Österreich der Faktor Arbeit stark, Vermögenswerte dagegen gering belastet. Die Sozialdemokraten wollen das umdrehen. Wäre das sinnvoll?

Marterbauer: Man darf nicht erwarten, dass das kurzfristig sehr viel bringt. Aber Tatsache ist, dass unser Sozialsystem stark beitragsfinanziert ist, wodurch Arbeitgeber und Arbeitnehmer erheblich belastet werden. Das hat zwei negative Auswirkungen: Einerseits werden die unteren Einkommensschichten proportional stärker belastet. Das sind aber auch die, die mehr Geld für Konsum ausgeben würden, im Gegensatz zu den oberen Einkommensschichten, die eher sparen. Der zweite Aspekt ist, dass vor allem minderqualifizierte Arbeit für den Arbeitgeber teuer ist. Eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge wäre also durchaus sinnvoll, auch um Arbeitsplätze zu schaffen.

Aber natürlich müsste das durch andere Steuern kompensiert werden. Da kann man darüber nachdenken, in welchen Bereichen. Unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten fällt doch auf, dass der Anteil an Vermögenssteuern in Österreich sehr gering ist. Das zeigt schon, dass wir hier einen erheblichen Aufholbedarf haben. Diese Einkommen sind noch dazu Einkommen, die in den vergangenen 20 Jahren überproportional rasch gewachsen sind, sodass man schon argumentieren kann, dass von diesen raschen Einkommenszuwächsen im Vermögensbereich ein Teil zur Finanzierung des Sozialstaates herangezogen werden soll.

Die Furche: Das Gegenargument der Kritiker lautet, dass Vermögen sehr schnell woandershin transferiert würden, wenn es durch Steuern zu stark belastet wird.

Marterbauer: Bei mobilem Vermögen, also Finanzvermögen, stimmt das sicher. Da müssten die Ambitionen mehr in die Richtung gehen, auf europäischer Ebene Vereinheitlichungen vorzunehmen, also den Steuerwettbewerb einzuschränken. Bei dem nicht mobilen Teil des Vermögens sind die nationalstaatlichen Spielräume größer.

Die Furche: Welche Auswirkungen hätte aber eine höhere Besteuerung der Unternehmensgewinne auf den Wirtschaftsstandort?

Marterbauer: Österreich hat im international vor allem nach der Steuerreform 2005 mit der Senkung der Körperschaftssteuer auf 25 Prozent eine relativ geringe Gewinnbesteuerung. Natürlich ist das ein Argument für Standortentscheidungen. Aber wir können erwarten, dass im europäischen Steuerwettbewerb die anderen Länder reagieren, indem sie die Unternehmenssteuern ebenfalls senken, und in ein paar Jahren sind wir alle wieder auf einem Niveau, allerding auf einem viel niedrigeren als heute. Langfristig sollte Österreich daher nicht mit niedrigen Gewinnsteuern im Standortwettbewerb reüssieren, sondern primär mit gut ausgebildeten Arbeitskräften, einer sehr innovativen Wirtschaft und guten Grundlagen in Bezug auf Infrastruktur. Das sind die entscheidenden Argumente. Denn wir werden langfristig vor allem mit den osteuropäischen Ländern nicht über das Steuerniveau konkurrieren können.

Die Furche: Wie bewerten Sie die Wirtschaftspolitik der Regierung, vor allem angesichts der Steuerreform?

Marterbauer: Was auffällt ist, dass wir erhebliche Strukturprobleme haben, die nach den vorliegenden Plänen der Regierung vorläufig nicht reformiert werden, etwa die starke Besteuerung des Faktors Arbeit. Zwar kommt ein Teil der Steuersenkung den Arbeitnehmen zu Gute, aber ausschließlich im Bereich der Lohn- und Einkommenssteuer. Die ist im europäischen Bereich ohnehin schon gering, in der Sozialversicherung tut sich hingegen nichts. Die wirklichen Strukturverbesserungen sehe ich noch nicht, wenn es auch kurzfristig eine Verbesserung für Arbeitnehmer bringt.

Die Furche: Was halten Sie von der Aussage, je höher die Staatsquote, desto höher sei auch der Zivilisationsgrad?

Marterbauer: Man kann schon feststellen, dass Länder mit gut ausgebautem Sozialstaat, etwa die skandinavischen Länder, eine etwa um zehn Prozentpunkte höhere Staatsquote haben als wir. Das sind die Länder, die immer wieder für ihr Sozialsystem und ihre wissensbasierte Wirtschaft gelobt werden. Wenn man denkt, dass der Staat Aufgaben in den Bereichen Innovation, Bildung und Gesundheit wahrzunehmen hat, wird man langfristig nicht auf eine deutlich niedrigere Abgabenquote kommen. Aber das ist eine politische, keine rein ökonomische Entscheidung.

Die Gespräche führte Claudia Feiertag.

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