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„Lebensqualität“ als Umverteilung?

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In seiner jüngsten Pressekonferenz lehnte Finanzminister Androsch alle in letzter Zeit aufgetauchten Forderungen nach Senkung von Steuersätzen rigoros ab. Eine Lohn- und Einkoin-mensteuersenkung, so meinte er, würde dem einzelnen nichts bringen, dafür aber dem Staat wichtige Mittel zur Finanzierung der „Lebensqualität“ nehmen.

An eine Senkung des Mehrwert -Steuersatzes sei schon deshalb nicht zu denken, weil sie zudem nicht preis-, sondern nur gewinnwirksam sei. Dagegen plane er eine Erhöhung der Bahn- und Posttarife und eine Neuregelung der Familienbeihilfen in der Weise, daß die derzeit geltenden Absetzbeträge abgeschafft werden, dafür aber den einkommensschwächeren Familien höhere Fami-lienbeihilfen ausbezahlt werden.

Uber die geplante Neuregelung des Familienbeihilfenwesens läßt sich vorerst deshalb nicht viel sagen, weil noch kein sehr konkreter Vorschlag vorliegt und überdies absolut gleich hohe Steuerleistungen den Keim der Steuerungerechtigkeit in sich tragen.

Hingegen ist gegen Androschs Plan, die aus dem Steuerprogressionssystem erfließenden Inflationsgewinne allein in den Rachen des Staates zu kanalisieren, einiges einzuwenden. Derzeit läuft in Österreich eine Lohnerhöhungswelle auf vollen Touren. Lohnerhöhungen bedeuten unzweifelhaft sowohl Kostenais auch Nachfragesteigerungen. Sie tragen somit den Keim doppelter in-flatorischer Auswirkungen in sich.

So gesehen wäre eine Lohn- und Einkommensteuersenkung, gekoppelt mit einer maßvolleren Lohnpolitik, entschieden stabilitätswirksamer als eben keine Lohn- und Einkommensteuersenkung, dafür aber eine unkontrollierte Lohnforderungspolitik. Dazu kommt noch, daß im vergangenen Jahr die Bruttolöhne und -gehälter um 13 Prozent, die Abzüge dagegen um 16,4 Prozent gestiegen sind und im ersten Halbjahr 1973 die Bruttolöhne und -gehälter um 13,2 Prozent (auf das ganze Jahr umgelegt) gegenüber der Vergleichsperiode im Vorjahr wuchsen, die Abzüge dagegen um 18,9 Prozent. Auf eine Kurzformel gebracht, heißt das, daß in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die Einnahmen des Staates aus den Einkommen der Arbeitnehmer um 43 Prozent stärker gestiegen sind als die Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer!

-Finanzminister Androsch begründet seinen harten steuerpolitischen Kurs mit dem Hinweis darauf, daß mehr und bessere Leistungen für die Gemeinschaft höhere Staatseinnahmen voraussetzen. Dagegen vermeidet er jeden Hinweis darauf, daß eine vernünftige Finanzpolitik zwei schwierige Aufgaben zu erfüllen hat: notwendige Reformen und die Sicherung der Geldwertstabiltät (bei entsprechendem Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung). In Österreich reicht der Spielraum, den das Wachstum des Produktionspotentials der Volkswirtschaft für eine stabilitätskonforme Expansion der öffentlichen Ausgaben schafft, nicht aus.

Es ist daher nicht allein das achtbare Streben nach gerechter Lastverteilung, sondern vor allem der Mangel an Mut, wenn der Finanzminister meint, die Frage nach der Finanzierung von Gemeinschaftseinrichtungen („höhere Lebensqualität“) mit der Frage nach einem „gerechteren“ System der Steuerlastverteilung verquicken zu müssen. Denn der Jammer ist: so spaltet seine Budget- und Finanzpolitik die Bevölkerung in zwei Gruppen.

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