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Freiheit, die sie meinen

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„Freiheit statt Sozialismus“ tönt es seit der deutschen Bundestagswahl aus dem nichtsozialistischen Lager halb Europas. Die polemische, lieblos vereinfachte Formel hat Zugkraft bewiesen. Viele tausend des wuchernden, ständig neue Steuern, Belastungen und Abgaben erfindenden Staates überdrüssige Wähler beginnen, sich zur Wehr zu setzen. Ein neoliberaler, antibürokratischer Herbst-wind bläst durch die Lande — und den Sozialisten ins Gesicht.

„Mehr Freiheit durch Sozialismus“ schießen nun seit einigen Tagen die Genossen zurück. Der Kampf um das freie, gleiche und geheime Wahlrecht sei der erste Freiheitskampf des Sozialismus gewesen; Streich Nummer 2 war der begonnene Kampf um den Wohlfahrtsstaat, nun gehe es darum, der gesellschaftlichen Demokratie zu nie dagewesener Blüte zu verhelfen. So ließ Kanzler Krei-sky dieser Tage auf einer Diskussionsveranstaltung des Karl-Renner-Institutes verlauten. Sozialismus sozusagen als conditio sine qua non des Freiheitsbegriffes; oder umgekehrt — je nach Belieben.

Daß die Sozialisten nun gar so engagiert die Diskussion rund um den Freiheitsbegriff aufgegriffen haben, ist ein Signal: Dafür, wie sehr doch auch in unserem lauwarmen Klima das Thema Freiheit unter die Haut geht. Kanzler Kreisky weiß, und sein Programmdenker Egon Matzner weiß es noch besser, daß die Wähler von 1979 unweigerlich auch in Österreich nach Freiheit rufen werden. ' Die Wähler werden aber nicht nur fragen: „Wie hältst du's mit der Freiheit?“ Sie werden auch an der verführerischen Zuckerglasur zu kratzen beginnen und weiterfragen: „Welche ist die Freiheit, die sie meinen?“

Das heurige Jahr bringt der Regierung aus der Sicht des vom ständig sich ausweitenden Staatsbürokratismus bedrohten Zeitgenossen eindeutige Zensuren: Das Budgetdefizit, im Voranschlag mit 36 Milliarden berechnet, wächst sich auf 46 Milliarden aus. Die gesamten Staatsschulden haben sich auf eine Höhe von 120 bis 130 Milliarden hinaufkatapultiert. Die Gesamtsumme der Zwangsabgaben (direkte und indirekte Steuern sowie Sozialversicherungsabgaben) hat sich, gemessen am Bruttonationalprodukt, in den letzten sechs Jahren von 36,2 auf 39,4 Prozent vergrößert. Schließlich rechnet der ÖAAB noch vor, die Einnahmen aus der Lohnsteuer hätten sich zwischen 1969 und 1974 nominell um mehr als 140 Prozent erhöht, während das Pro-Kopf-Einkommen der Arbeitnehmer nur um 70 Prozent gestiegen sei.

Es verdient, näher unter die Lupe genommen zu werden, was da so in den letzten Monaten an Steuern und Abgaben auf uns heruntergeprasselt oder fürs kommende Jahr angekündigt worden ist: Die erhöhte Mehrwertsteuer haben wir längst vergessen. Daß sie völlig undifferenziert bessere und schlechtere Verdiener gleichermaßen belastet ist ein grober Schönheitsfehler für eine sozialistische Regierung. Hauptsache, man spürt sie nicht.

Dann hätten wir die Mineralölsteuer, die Kfz-Steuer, die Telephongebühren (die innerhalb kürzester Zeit ein zweites Mal angehoben werden sollen), die geplante Erhöhung der ORF-Gebühren, der Vermögenssteuer und der Bahntarife — nur,um die aktuellsten Beispiele zu nennen. Neuerdings wird auch der Hebel bei den längere Zeit unangetastet gebliebenen Gebühren angesetzt: Die von Androsch vorgelegte Novelle zum Gebührengesetz sieht eine Erhöhung der Stempelmarkenwerte um 208 bis 526 Prozent vor! Jene amtlichen Drucksorten, die der Staatsbürger bisher mit einer 3.80-Stem-pelmarke bekleben durfte, verlangen in Hinkunft eine 20-Schilling-Marke.

Letzteres bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß ein Student seine nunmehr erhöhte Studienbeihilfe in Form von Stempelmarken auf diverse Zeugnisse und Formulare picken kann. Was ihm von der Beihilfenerhöhung bleibt, ist kaum mehr, als bitterer Nachgeschmack.

In der langen Liste darf nun auch nicht die vom Fmanzmindster im heurigen Jahr einigermaßen abmontierte Sparförderung vergessen werden. Freilich ist es viel Geld, wenn der Staat jährlich bei fünf Milliarden in die Sparförderung stecken muß. Aber wenn nun einmal das Prämien- und das Bausparen seiner Vorteile beraubt wird und der Fi-nanaminister in dieser Woche auch noch mittelfristig einen Abbau der staatlichen Förderung beim Wert-papiersparen in Aussicht gestellt bat, dann ist das mehr als nur eine weitere Sparmaßnahme. Dann ist das Ausfluß der Tatsache, daß die Spar- und Investitionslust des Staates in der PrioritätenJiste weit vor jener des Normalverbrauchers rangiert.

Mit der Feststellung, die MultipK-katorwirkung des privaten Konsums habe ihre Funktion als Motor des Konjunikturablaufes verloren, ließ Androsch kürzlich aufhorchen. Wie recht er doch hat. Aber auslösendes Moment für diese Feststellung ist die Tatsache, daß der private Konsum — und nicht etwa die Multipiikatorwir-kung —• relativ geschrumpft ist. Denn der Staat macht sich breit und eignet sich immer neue Kompetenzen an. Nichts, woran er nicht gedacht haben will. Nichts, was nicht im Rahmen einer gigantischen sozialen Apotheke im Selfostbedienungsver-fahren dem Staatsbürger angeboten werden könnte. Koste, was es wolle; aber auch das ist Freiheit, die sie meinen.

Vordringliche Domäne der Fredheitsdebatte werden auch weiterhin der breite Bereich des Bildungs- und Erziehungswesens sowie des Fami-Menrechtes sein. Die Freiheit aber, wenigstens ein paar Schritte im Leben ohne staatliche Hilfe und ohne Bürokratie gehen zu können, ist sicher ein bisher sträflich vernachlässigter Aspekt des Freiheitsfoegrif-fes.

So wie es vor rund hundert Jahren galt, die Staatsbürger vor den Übergriffen eines Polizeistaates zu schützen, so gilt es heute, einen Schutzwall gegen die wuchernde Staatsbürokratie zu errichten. Daß die Gesellschaften des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts höhere Kollektivausgaben verlangen als je zuvor, sei weder bestritten, noch verurteilt. Doch sei überlegt, wo die Grenze zur leistungshemmenden sozialen Pragmatisierung sämtlicher Staatsbürger verläuft.

Freiheit bedeutet nicht nur die Freiheit, etwas zu bekommen, was man vielleicht gar nicht will. Freiheit heißt auch, den Staat in seine Grenzen verweisen. Und diese Freiheit meinen viele.

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